Hamburg: Eskalation bei "Welcome to hell"-Demo
Nachdem tagelang vielfältig, bunt und phantasievoll gegen den G-20-Gipfel demonstriert wurde, geriet die Situation am Donnerstagabend komplett außer Kontrolle
"Es wird wohl eine lange Nacht werden", schätzte der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer am Donnerstagabend in dem der "Tagesschau" folgenden ARD "Brennpunkt" zum Thema "G20" die Situation ein. Kurz zuvor war am Hamburger Fischmarkt die "Welcome to Hell"-Demo offiziell aufgelöst worden.
Es wurden Bilder eingespielt, auf denen Wasserwerfer im Einsatz zu sehen waren. Ein junger Mann war offenbar zu Boden gegangen, später war zu erkennen, dass eine verletzte Person von Sanitätern auf einer Trage weggebracht wurde.
Etwa 15 Minuten vorher hatte die Tagesschau berichtet, dass die Polizei die Demo gestoppt habe. Binnen dieser kurzen Zeit hatte sich die Szenerie von ausgelassener Stimmung in den absoluten Super-GAU verwandelt. Meyer berichtete im "Brennpunkt" von Feuerwerkskörpern, die gezündet und "Gegenständen", die auf die Polizeibeamte geworfen worden seien. Moderator Andreas Cichowicz sprach von Pfefferspray, das gegen die Protestierenden eingesetzt worden sei.
Grund für die Eskalation waren laut Meyer ca. 1.000 Teilnehmende, die gegen das Vermummungsverbot verstoßen hätten. ARD-Reporter Björn Staschen, der von vor Ort zugeschaltet wurde, allerdings betonte, dass "wir, also das ARD-Team, weitaus weniger Vermummte wahrgenommen" hätten.
Ziel, so Mayer, sei es gewesen, zwei sogenannte schwarze Blöcke, bestehend aus jeweils 1.000 Personen aus dem autonomen Spektrum, vom Rest der Demo zu separieren. Daraufhin sei es zum Einsatz der Pyrotechnik und den Angriffen auf die Uniformierten gekommen.
Die Versammlungsleitung löste die Demo offiziell auf. Umgehend wurden Barrikaden errichtet, und nach Lage der Dinge war davon auszugehen, dass sich der Schauplatz vermutlich nach und nach über St. Pauli in das Schanzenviertel verlegen wird. Eine Antwort auf die Frage, was die Polizei nun zu tun gedächte, um die Lage unter Kontrolle zu behalten, hatte Meyer nicht.
Über die Tage in Hamburg wurde es in Hamburg immer bunter und der Protest vielfältiger
Nachdem am vergangenen Sonntagabend die ersten Machtproben mit der Polizei um die Schlafzelte auf dem Protestcamp auf der Elbhalbinsel Entenwerder zu deren Gunsten ausgegangen war (Verdächtige Stille im Rathaus), entspannte sich die Lage von Stunde zu Stunde mehr.
Montagabend wurden Sit-Ins im Schanzenviertel von der Polizei mittels Einsatz von Wasserwerfern beendet, danach blieb die Lage unerwartet völlig ruhig. Das Schauspielhaus und die St. Pauli Kirche öffneten schließlich ihre Türen und boten Schlafplätze an (Nachtaktive Ordnungsmacht). Das führte dazu, dass am Mittwoch mittels Schlafbörse die kleinsten Kammern, Schrebergärten und Rasenflächen vorm Haus für die angereisten G-20-Gegnerinnen und Gegner zur Verfügung gestellt wurden. Mehrere Kirchen taten es der St. Pauli Kirche gleich, und auch der FC ST. Pauli stellte Schlafplätze im Stadion zur Verfügung. Schlussendlich wurden sogar zwei Camps mit Schlafzelten offiziell erlaubt.
Der Mittwoch stand ganz im Zeichen des entspannten Widerstands. Yoga-Gruppen zogen spontan an die Alster, an vielen Orten fanden phantasievolle und witzige Aktionen statt. Der Abend endete mit dem Motto "Lieber tanz ich als G20", ebenfalls auf dem Fischmarkt. Daran haben sich den Veranstaltern zufolge etwa 25.000 Menschen beteiligt. Zu Einbruch der Dunkelheit wurde die Situation kurz brenzlig, mehrere Polizei-Einheiten zogen am Fischmarkt auf. Doch diese wurden von den Tanzenden schlicht ignoriert.
"Welcome to Hell"
Am Donnerstagmorgen hieß es zur allgemeinen Überraschung, die "Welcome to Hell"-Demo sei erlaubt und dürfe sogar bis direkt vor die Messehallen ziehen. Dort findet am Freitag der G20-Gipfel statt.
Die "Welcome to Hell"-Demo begann planmäßig gegen 16 Uhr auf dem Fischmarkt mit einem Kulturprogramm. Zunächst war von ca. 1.200 Teilnehmenden die Rede. Doch nach und nach füllte sich der Platz. Gegen 18:50h, als sich der Demozug formierte, posteten verschiedene Teilnehmende noch locker-flockige Sprüche in den sozialen Netzwerken.
Gegen 19 Uhr wollte sich die Demo, die inzwischen deutlich gewachsen und von "dem größten schwarzen Block" angeführt wurde, in Bewegung setzen. Wenige Minuten später wurde sie von der Polizei gestoppt, die an beiden Seiten Wasserwerfer und Räumfahrzeuge auffahren ließ. Die Tagesschau berichtete darüber. Innerhalb einer knappen Viertelstunde hat sich dann die Lage so zugespitzt, dass die oben beschriebenen Bilder im ARD-Brennpunkt zu sehen waren.
"Auch nachdem der Veranstalter die 'Welcome to Hell'-Demonstration für beendet erklärt hatte, kam es zu Ausschreitungen in mehreren Stadtteilen. In Altona und St. Pauli gebe es Angriffe auf Einsatzkräfte sowie Sachbeschädigungen, teilte ein Polizeisprecher mit. Im Altonaer Ikea-Kaufhaus und in einer Sparkasse gingen Schaufensterscheiben zu Bruch", ist im Liveblog des NDR zu lesen.
Im Newsblog des Tagesspiegels ist von Verletzten "auf beiden Seiten" die Rede: "Bei den Zusammenstößen zwischen Demonstranten der Kundgebung 'Welcome to Hell' und der Polizei sind nach Polizeiangaben mindestens sechs Beamte verletzt worden. Sie … hätten ihren Dienst aber fortsetzen können … Der sogenannte G20-Ermittlungsausschuss, der in Kontakt mit Aktivisten ist, erklärte ebenfalls, er habe noch keine verlässlichen Angaben zur Zahl der Verletzten unter den Demonstranten. Es habe in jeden Fall Schwerverletzte gegeben, sagte ein Sprecher. Er schilderte die Lage als relativ chaotisch. Die Polizei habe die Lage nicht unter Kontrolle. Unser Reporter Sebastian Leber hat selbst mehrere Verletzte gesehen. Er hat auch einige Fälle beobachtet, in denen Demonstranten von Polizisten niedergeknüppelt worden sind. Ein Demonstrant war offenbar so schwer verletzt, dass er auf einer Trage mit Sichtschutz vor Gaffern weggetragen werden musste."
Auf der Reeperbahn haben sich Tausende versammelt. Um 22 Uhr ist von dort aus eine Demo nach Gesprächen mit der Polizei in Richtung Messehallen gestartet, wurde aber ein paar Minuten später schon wieder aufgehalten, weil Vermummte sich im Demonstrationszug befanden. Die Polizei: "Wichtiger Hinweis: Eine Vermummung in einem Aufzug ist ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und wird von uns nicht geduldet." In St. Pauli und Altona wurden Barrikaden gebaut und Autos angezündet.