Hamburg: Nachtaktive Ordnungsmacht
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Nach einem einigermaßen ruhigen Tag begann die Polizei am späten Dienstagabend rigoros Versammlungsorte zu räumen
Nachdem am vergangenen Sonntagabend das Protestcamp auf der Elbhalbinsel Entenwerder geräumt wurde und sich am Montag keine einvernehmliche Lösung abzeichnete, entstanden am Dienstag an verschiedenen Stellen der Stadt neue Camps. Teilweise wurden diese als Versammlungsorte akzeptiert, teilweise fühlten die Aktiven sich derart drangsaliert, dass sie die Camps wieder auflösten.
Innensenator Andy Grote signalisierte im ZDF "Morgenmagazin" ein klares "Nein" zu Schlafzelten, trotzdem gelang es am frühen Abend im Stadtteil Altona, 10 solcher Übernachtungsgelegenheiten durchzusetzen. Zumindest wurden sie spätabends noch von der Polizei geduldet. An vielen Orten in Altona und im Schanzenviertel kamen Menschen zusammen, die bis kurz vor Mitternacht friedlich zusammensaßen und dann z. T. von Wasserwerfern auseinandergetrieben wurden.
Am späten Abend hieß es, das Schauspielhaus in der Innenstadt sei besetzt. Diese Information machte am Nachmittag schon mal die Runde, entpuppte sich aber als Gerücht. Vor dem Theater wurden daraufhin massiv Polizeikräfte eingesetzt. Kurz nach 23 Uhr stellte die Leitung des Theaters klar, dass Übernachtungsgäste aufgenommen würden. Zunächst versuchten die Uniformierten Augenzeugenberichten zufolge, den Aktiven den Zugang zum Schauspielhaus zu verweigern, zogen dann aber ab. Die St. Pauli Kirche bot ebenfalls Platz zum Schlafen an. Aus dem Schanzenviertel kamen Informationen, dass zu Einbruch der Dunkelheit dort massiv Polizeikräfte zusammengezogen würden .
Alles in allem schien es zu später Stunde, als ob die Polizei sich auf eine lange Nacht vorbereite. Die Bilder, die via Facebook und Twitter gepostet wurden, ließen nichts Gutes ahnen. Unter dem Hashtag #nog20 lassen sich die Ereignisse verfolgen.
Der Dudde-Effekt
Vermutlich hätte kaum jemand Notiz von dessen Existenz genommen: Entenwerder, ein hübsches Fleckchen Erde, idyllisch im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort direkt an der Elbe gelegen, das bislang ein beschauliches Dasein führte. Bis am vergangenen Sonntagabend Einsatzleiter Hartmut Dudde das dort errichtete G-20-Protestcamp mit rabiaten Methoden räumen ließ. Seither ist Entenwerder in den Schlagzeilen aller Medien.
Die Räumung begründete Dudde mit "Gefährdern" und einem "Rückzugsgebiet", das es zu verhindern gegolten habe. Am Montag gab ihm das Verwaltungsgericht Hamburg rückwirkend Recht. Trotzdem verlangt die Fraktion der Partei DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft den Rücktritt des Innensenators Andy Grote (SPD), der ihrer Ansicht nach letztendlich die Konsequenz für diesen "Rechtsbruch" trage. Schließlich sei das Camp ca. 32 Stunden lang erlaubt gewesen, und darüber habe Dudde sich hinweggesetzt (Verdächtige Stille im Rathaus).
Das ist indes nicht der einzige Wind, der Dudde entgegen bläst. Medien konstatieren Eskalation eher auf Seiten der Polizei, denn bei den Protestierenden. Bislang zumindest.
Die größte Überraschung aber dürfte für den Senat und die Polizeiführung sein, dass die Bevölkerung sich zu einem großen Teil hinter die als gefährlich gebrandmarkten Protestierenden stellte. Nicht nur das: Plötzlich fanden sich so einige, die sich nicht hätten träumen lassen, jemals Teil einer Protestbewegung zu sein, als deren Unterstützer wieder: Sit-Ins in der Nachbarschaft wurden organisiert, "cornern" genannt.
Hunderte sollten am Abend u.a. in der Sternschanze und in Rothenburgsort den entsprechenden Aufrufen folgen. Schlafplätze wurden spontan angeboten. Fast scheint es, als sei Dudde in doppelter Mission unterwegs, und habe mit seiner Aktion die PR-Maschine pro G-20-Protest in Gang setzen wollen.
Das nennt sich dann wohl "Streisand-Effekt": Die Künstlerin Barbara Streisand hatte erfolglos einen Fotografen verklagt, weil eines seiner Fotos eine Luftaufnahme ihres Hauses zu sehen war. Dabei handelte es sich um eine von ca. 12.000 Aufnahmen, die auf einer Webseite veröffentlicht waren. Durch die juristische Intervention der Künstlerin wurde die Aufmerksamkeit auf dieses Foto gelenkt und die Verbindung zu ihrem Wohnort gezogen. Das Foto verbreitete sich in Windeseile im Internet, und es wussten quasi alle, wo Barbara Streisand wohnt. Seither wird ein Versuch, eine unliebsame Sache aus der Welt zu schaffen und dadurch das Gegenteil, nämlich noch mehr Ungemach, z.B. enorme Aufmerksamkeit zu erreichen, als "Streisand-Effekt" bezeichnet.
Der Dudde-Effekt wäre dann sozusagen der Versuch, legitime Proteste als verkappten Anschlag auf die öffentliche Ordnung zu bezeichnen, und statt der gewünschten Empörung eine Welle der Solidarität mit den Diffamierten auszulösen.