"Hanau-Untersuchungsausschuss" zu rassistischen Morden nimmt Arbeit auf

Transparent auf einer Gedenkkundgebung für die Opfer des Anschlags vom 19. Februar 2020. Foto: Andreas Schwarzkopf / CC-BY-SA-4.0

Das Gremium im Hessischen Landtag soll klären, was die Behörden über den Attentäter wussten, wieso er legal an Waffen kam und warum die Notrufnummer nicht erreichbar war

Fast anderthalb Jahre ist es her, dass Tobias Rathjen in Hanau neun Menschen mit Migrationsgeschichte erschoss, nachdem er zur Begründung ein "Manifest" verfasst und ins Internet gestellt hatte. Die Namen der Opfer waren Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtovic, Vili Viorel Păun, Fatih Saracoglu, Ferhat Unver und Kaloyan Velkov.

Vili Viorel Păun, wurde inzwischen posthum mit der hessischen Medaille für Zivilcourage ausgezeichnet. Der aus Rumänien stammende Rom hatte den Täter stoppen wollen und ihn im Auto verfolgt, da der Notruf nicht erreichbar war. So erschoss Rathjen auch ihn, bevor er schließlich seine eigene Mutter und sich selbst tötete.

Für den Vater von Vili Viorel Păun ist die posthume Ehrung seines Sohnes ein schwacher Trost - zumal die Staatsanwaltschaft Hanau vergangene Woche bekannt gab, dass sie die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens betreffend den Vorwurf der Nichterreichbarkeit des polizeilichen Notrufs ablehnt. "Wenn mein Sohn den Notruf hätte erreichen könne, dann wäre er noch am Leben. Daran ändert sich auch nichts mit dem langen Papier von der Staatsanwaltschaft. Das sagt nur, dass hier wieder mal keiner die Verantwortung übernehmen will", erklärte Niculescu Păun laut der Initiative 19. Februar in Hanau.

Allerdings haben dieses und andere Versäumnisse im Zusammenhang mit den rassistischen Terrorattacken jetzt ein parlamentarisches Nachspiel: An diesem Mittwoch hat der "Hanau-Untersuchungsausschuss" im Hessischen Landtag seine Arbeit aufgenommen. Beantragt hatten ihn die Oppositionsfraktionen von SPD, Freie Demokraten und Die Linke. Die Regierungsfraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen stimmten dem Antrag zu - nur die AfD votierte dagegen.

Nicht nur der Täter selbst hätte als Zeitbombe auffallen können

Das Gremium soll nicht nur klären, warum der Notruf nicht erreichbar war, sondern beispielsweise auch, wieso Tobias Rathjen legalen Zugang zu Waffen hatte und was die Sicherheitsbehörden zu welchem Zeitpunkt über ihn und seinen Vater wussten.

Tobias Rathjen war Inhaber von Waffenbesitzkarten, obwohl er polizeibekannt war und als psychisch krank galt. Hans-Gerd Rathjen scheint zumindest die rassistischen Überzeugungen seines Sohnes geteilt beziehungsweise gefördert zu haben. Laut Medienberichten stellte der Mann in den Monaten nach dem Massaker Strafanzeigen, aus denen hervorgeht, dass er seinen Sohn als eigentliches Opfer sieht. Beispielsweise habe er Gedenkorte für die Getöteten als "Volksverhetzung" bezeichnet und sowohl die Tatwaffen aus der Asservatenkammer zurückgefordert als auch verlangt, dass die Internetseite seines Sohnes wieder freigeschaltet wird. Als es den Hinterbliebenen reichte, zeigten sie ihrerseits den 73jährigen wegen möglicher Beihilfe zum Mord an.

Kritische Presse und Angehörige erzeugten den nötigen Druck

Alle offenen Fragen müssten nun auf den Tisch, erklärte am Mittwoch Saadet Sönmez, die Obfrau der Fraktion Die Linke im Hanau-Untersuchungsausschuss. "Wir haben jetzt die Chance, einen der schlimmsten rassistischen Terroranschläge in der Geschichte Hessens aufzuklären. Wir hoffen, dass alle demokratischen Fraktionen konstruktiv zur Aufklärung beitragen."

Nur dem unermüdlichen Einsatz von Journalistinnen und Journalisten sowie Familien und Angehörigen, die recherchiert und kritische Fragen gestellt hätten, sei es zu verdanken, sei diese Chance zu verdanken, so Sönmez. Nur so sei der nötige politische Druck für einen Untersuchungsausschuss entstanden.