Handke-Kontroverse: Das hat nichts mit Literatur zu tun

Sarajewo. Bild: Teseo La Marca

In der Debatte um Handkes Nobelpreis wird oft so getan, als ginge es um die (moralische) Freiheit der Kunst. In Wirklichkeit schwelt darunter die noch nicht abschließend geklärte Frage nach Ursachen, Schuld und richtiger Darstellung der Jugoslawienkriege

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Peter Handke ist wütend auf die Medien. Von Journalisten werde er nur noch zur Jugoslawienkrieg-Kontroverse befragt, kaum einer spreche noch von seinen Büchern, von Literatur, von sprachlichen Meisterleistungen: den Gründen also, weshalb ihm eigentlich der Nobelpreis verliehen wurde. Das ist seine Wahrnehmung und er echauffiert sich darüber.

Einige springen ihm dabei zur Seite, verteidigen die Freiheit der Kunst. Darum geht es ja auch auf den ersten Blick: um die Frage, was Kunst darf oder nicht darf. Worauf sich in dieser Debatte allerdings niemand berufen kann, ist das Credo, dass Kunst bzw. Literatur das Eine und Politik das Andere sei. Handke selbst hat nicht ausreichend Sorge dafür getragen, die beiden Bereiche zu trennen, mit seinen Reiseberichten aus Serbien vermengte er Literatur und politische Stellungnahme bis zur Unkenntlichkeit.

In seinem "Umwegzeugenbericht" aus dem Tribunal in Den Haag erklärte er, dass es für ihn nur diese eine Art der literarischen Zeugnisablegung geben könne. Und selbst seine teils auf Serbokroatisch gehaltene Rede an Miloševićs Begräbnis nahm sich außerordentlich literarisch aus: "Die sogenannte Welt weiß die Wahrheit. (…) Die sogenannte Welt ist nicht die Welt. Ich weiß, dass ich nicht weiß. Ich weiß die Wahrheit nicht. Aber ich schaue. Ich höre. Ich fühle. Ich erinnere mich. Ich frage."

Gleich zu Beginn dieser Rede stellte Handke klar, als Schriftsteller hier zu sein. Wenn Handke also jetzt, wo es um seine Literatur gehen soll, unweigerlich auch auf diese "weltlichen" Angelegenheiten angesprochen wird, ist in Wirklichkeit niemand anderes als er selbst dafür verantwortlich.

"Wenig Ambivalenztoleranz"

Dennoch läuft in der Debatte um Handkes Nobelpreis einiges gründlich schief. Man merkt es an der Überspanntheit, auch an den vielen Ungereimtheiten. Da war zuerst die Aufregung um die emotionale Ansprache des Schriftstellers Saša Stanišić, der selbst als Kind mit seiner Familie nach Deutschland fliehen musste, um der Gewalt durch serbische Milizen zu entkommen.

"Nur noch Lüge" erkennt Stanišić in Handkes Berichten. Und gibt selbst ironischerweise eine Passage aus Handkes Reisebericht verfälscht wieder: Handke fragt im "Sommerlichen Nachtrag", wie es möglich sei, dass sich eine Horde von Barfüßlern "gegenüber einer mehrheitlich muslimischen, für den Krieg schon gut gerüsteten, überdies noch die Obrigkeit stellenden Bevölkerung" ungehindert austoben konnte. Und Stanišić paraphrasiert, Handke habe Milizen beschrieben, "die barfuß nicht die Verbrechen begangen haben können, die sie begangen haben". Die Frage nach den Bedingungen eines Genozids wird dadurch zu einer Leugnung des Genozids.

An der Grenze zwischen Serbien und Montenegro. Bild: Teseo La Marca

Das ist nur eine von vielen Aussagen Handkes, die im Lauf der Jahre willentlich oder versehentlich falsch wiedergegeben wurden und die Suhrkamp mittlerweile mit einem eigenen Band einzeln zu berichtigen versuchte. Der Klassiker der Falschzitationen bleibt weiterhin Handkes Beschimpfung eines Reporters, er solle sich seine "Betroffenheit in den Arsch schieben" - was schon an sich schlimm genug wäre, aber mehrmals und zuletzt sogar in der New York Times wurde diese Formulierung als "Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch schieben" reproduziert. Diese Verdrehung geht auf Peter Stolle zurück, der 1999 im Spiegel schrieb, Handke habe Kritik öffentlich mit dem Ausspruch "‘Sie können sich Ihre Leichen in den Arsch stecken‘" abgeschmettert.1

Zu solchen Unachtsamkeiten kommen etliche gezielte Verunglimpfungen, so etwa, wenn der dänische Schriftsteller Carsten Jensen Handke einen "offenen Fürsprecher von Völkermord und Säuberungen" nennt. Ein ungalanter Ausrutscher vielleicht, aber wenn man genauer hinsieht, erweisen sich derartige Ausfälle lediglich als die Überspitzung einer Debatte, die auch in ihrer Breite nur Extreme kennt: Entweder man ist für oder gegen Handke. Für oder gegen einen Apologeten von Kriegsverbrechern. Sehr treffend ortet die Frankfurter Allgemeine Zeitung angesichts dessen einen Mangel an "Ambivalenztoleranz".

Dass nun die Heftigkeit der Wortmeldungen allein der Frage gilt, was Kunst alles darf bzw. nicht darf, ist zumindest sehr unwahrscheinlich. Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass unter dem Deckmantel der Kunst bzw. Literatur eine viel handfestere Kontroverse darauf wartet, endlich ausgefochten zu werden. Das legt auch der offene Brief nahe, der am 14. November von namhaften Schriftstellern (u. a. Daniel Wisser, Doron Rabinovici, Michael Krüger, Clemens J. Setz) gegen die "Anti-Handke-Propaganda" unterzeichnet wurde.

Darin rufen die Unterzeichner dazu auf, "sich an den unmittelbar auf Handke zutreffenden Fakten zu orientieren, anstatt über den Umweg einer Debatte über Peter Handke die versäumte Auseinandersetzung mit einem außerhalb der betroffenen Länder ansonsten ganz und gar verdrängten Kapitel jüngerer europäischer Geschichte nachzuholen." Geht es also gar nicht so sehr um Literatur als vielmehr um Historiographie? Schwelt unterhalb der oberflächlichen Frage, ob der Nobelpreis für Handke legitim war, möglicherweise noch immer die Frage, wem die Schuld an den blutigen Jugoslawienkriegen anzulasten ist?

Es ist wieder ein bisschen so, wie ein ZEIT-Artikel im Jahr 1994 die damalige Lage in der Berichterstattung beschrieb: "Der Balkankonflikt kennt viele Wahrheiten, ihnen nachzugehen ist ein schwieriges Geschäft. Nicht alle westlichen Medien machen sich diese Mühe, manche berichten nach dem Motto: Zum Teufel mit den Fakten, wenn nur das Feindbild stimmt."

Der Balkankonflikt ist längst zu Ende, der Kampf um die Deutungshoheit, um die Frage nach Ursachen, Schuld und Darstellung der Ereignisse geht aber erbittert weiter - auch wenn es an der Oberfläche so aussieht, als würde es nur um einen Nobelpreis gehen. Das Feindbild in der Schlacht der Meinungen jedenfalls steht fest: Handke, ein vom rechten Weg abgekommener Literat.

Unverdaute Geschichte: Wandmalerei im serbischen Teil Mitrovicas, Kosovo. Bild: Teseo La Marca

Verhärtete Fronten

Handke selbst liegt mit seinen Darstellungen freilich vielfach falsch. Das muss inzwischen nicht mehr länger erörtert werden, ein Blick in sein letztes Interview mit der ZEIT vom 20. November genügt. Darin bezichtigt er die deutsche Bundesregierung unter Helmut Kohl erneut, sie hätte mit einer vorschnellen Anerkennung der nationalistisch agierenden ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien, Kroatien und Bosnien einen vorhersehbaren "Bruderkrieg" mitverursacht.

In Wirklichkeit kam es im Falle Sloweniens und Kroatiens schon lange vor der Anerkennung im Januar 1992 zu massiven Kampfhandlungen und Massakern an Zivilisten. Nur im Falle Bosniens erfolgte die militärische Eskalation erst nach der internationalen Anerkennung eines unabhängigen Bosniens. Und auch die altinternationalistische Träumerei von Milošević als letztem Statthalter eines vereinten, brüderlichen Jugoslawiens, so als wäre ihm jeglicher serbischer Nationalismus fremd gewesen, wiederholt Handke in dem Interview zum x-ten Mal: Das Begräbnis Miloševićs war für ihn "das Begräbnis von Jugoslawien."

Handke steht, trotz all der Feindseligkeit, die ihm von den meisten Meinungsmachern dafür entgegenschlägt, mit solchen unhaltbaren Positionen längst nicht alleine da. Sie sind noch weit verbreitet und in bestimmten Milieus fest verankert, und zwar nicht nur in einer rechten, grundsätzlich nationalistischen und russophilen (daher auch serbophilen) Szene, sondern mindestens genauso stark auch in einer traditionslinken (nicht einmal linksextremen) Szene. Dahinter stehen, wie bei Handke, oft eine naive Sympathie für die Idee des alten Jugoslawiens, aber auch ein Antiamerikanismus oder ein Pazifismus, die sich an der Intervention der NATO stören.

Aber allein Differenzen der politischen Weltanschauung können die historiographischen Differenzen in diesem Ausmaß nicht erklären. Es stellt sich ernsthaft die Frage: Wie ist es möglich, dass fast 25 Jahre nach Kriegsende, nach unzähligen Büchern, Abhandlungen, Forschungen und nicht zuletzt nach 24 Jahren juristischer Schwerarbeit am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag die Kluft zwischen den verschiedenen Darstellungen und Deutungen der Jugoslawienkriege noch immer so unfassbar groß ist?

Einen guten Anteil daran hat sicherlich die Kriegsberichterstattung aus den 90er-Jahren, die von Anfang an von unappetitlichen Kontroversen geprägt war. Während auf der einen Seite sich nicht nur einige Kriegsreporter, sondern auch PR-Agenturen und im späteren Kosovo-Krieg zu guter Letzt auch Politiker wie Joschka Fischer um Analogien zwischen Serben und Nazis und zwischen serbischen Lagern und Ausschwitz bemühten, gab es auf der anderen Seite Journalisten, die versuchten, solche fragwürdigen Darstellungen mit ebenso zweifelhaften Methoden und Behauptungen zu konterkarieren: So wurde 1993 nach einem entsprechenden Artikel von Peter Brock diskutiert, ob der ausgemergelte Mann auf dem berühmten TIME-Cover, der später als der bosnische Muslime Fikret Alic identifiziert wurde, nicht in Wirklichkeit ein Serbe sei, der an Tuberkulose leide. Auf allen Seiten kam es wiederholt vor, dass Reporter nicht verifizierte Berichte oder sogar Gerüchte an die Zentralredaktionen weiterleiteten - solange sie nur dem eigenen Feindbild entsprachen.

Im Laufe des Krieges verfestigte sich in der öffentlichen Meinung zunehmend die Analogie zwischen Serben und Nazis, was auch später, im Kosovo-Krieg 1999, eine erneute militärische Intervention gegen Serbien gegenüber 1995 erheblich erleichterte. Während des Kosovo-Krieges wurden die Kriegsverbrechen der kosovarischen UCK, die von der deutschen Bundesregierung zunächst als Terrorgruppe eingestuft wurde, von den meisten Medien schon gar nicht mehr erwähnt, und wenn, dann erschienen sie im Lichte eines vertretbaren Kampfes gegen die serbische Unterdrückung, wofür notfalls auch einige hässliche Mittel in Kauf zu nehmen sind.

So trug die Analogie zwischen Serben und Nazis nicht nur zu einer verzerrten Darstellung der Ereignisse, sondern auch zu einer weiteren Emotionalisierung der aufgrund der vielen Gräueltaten bereits sehr emotional wahrgenommenen Jugoslawienkriege bei - und verhinderten dadurch auch langfristig eine sachliche Historisierung des Geschehenen. Auf Halbwahrheiten folgten somit keine Ergänzungen, sondern als Reaktion noch unvollständigere Halbwahrheiten. Peter Handke ist ein großartiges Beispiel dafür.

Was ist zu tun?

Viel wäre schon erreicht, wenn eine solche Medienkritik, die von Historikern, Politikwissenschaftlern und renommierten Institutionen wie dem "Institute for War and Peace Reporting" häufig geäußert wird, auch manchmal ihren Weg in die mediale Öffentlichkeit findet. Stattdessen hüten sich die Leitmedien bis heute, derartige Stimmen zuzulassen.

Noch unverhohlener ergriffen während des Kriegs manche einheimischen Journalisten für die eigene Regierung oder ethnische Gruppe Partei und schürten durch erfundene Gräuelgeschichten den Volkshass in den jeweiligen Kriegsländern. Ihre Schuld an den Massakern wurde allerdings nie wirklich zum Thema gemacht - nur ein Gericht in Belgrad hat einmal die Rolle serbischer Journalisten im Zusammenhang mit dem Vukovar-Massaker untersucht. Sie sollen erfundene Geschichten über kroatische Gewalttaten in Umlauf gebracht und dadurch den nationalistischen Hass unter den Menschen weiter angefacht haben. Heute würde man von Fake News sprechen.

Indoktrination von oben. Vergiftung der Köpfe durch Politiker und Journalisten. Auf meiner Balkanreise im Herbst 2016 durch Kroatien, Bosnien, Montenegro, Serbien und Kosovo hörte ich solche Sätze erfreulich oft: Vielen Menschen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten ist heute bewusst, wie sehr der ethnische Hass auf Manipulation durch skrupellose Rattenfänger zurückgeht. Bosnische Muslime wurden in den Gebieten der heutigen Republika Srpska als hinterhältige Wölfe beschrieben, Kroaten als ruchlose Ustascha-Faschisten. Im Gegenzug sprach man unter Kroaten und bosnischen Muslimen von den grausamen serbischen Tschetniks.

Wer den Feind nicht als Erster vertreibt oder tötet, fällt ihm früher oder später selbst zum Opfer. Dieses Klima der Angst wurde systematisch unters Volk gebracht, das war in den 90er-Jahren die Atmosphäre, in der die unvorstellbarsten Gräueltaten möglich wurden.

Angesichts dessen sollte klar sein, dass jegliche weitere Emotionalisierung des Konflikts einer nachhaltigen Aufarbeitung der Fragen nach den Ursachen der Gewalt und nach der Verantwortung für die Gewaltausübung im Wege stehen. Das müssen sich auch die internationalen und deutschsprachigen Medien vor Augen halten. Und vor allem müssen Journalisten aufhören, wenn sie von Tätern und Opfern sprechen, sie pauschal die Serben, die Kroaten oder die Bosnier zu nennen. Die Mörder, die das Massaker von Srebrenica veranstalteten, waren keine Serben, sondern serbische Extremisten.

Zusammenleben in Sarajevo - muslimisches Minarett neben orthodoxem Kirchturm. Bild: Teseo La Marca

Sprache kann hier ganz entscheidend dazu beitragen, einen Konflikt aufzuarbeiten oder aber Gut-Böse-Schemata zu schaffen, mit denen sich die Fronten verschärfen und eine ganze Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht gestellt wird. Man stelle sich nur vor, was es mit der internationalen Wahrnehmung Deutschlands anrichten würde, wenn in den Darstellungen des Zweiten Weltkriegs nicht von nationalsozialistischen, sondern von deutschen Verbrechen die Rede wäre: nicht die Nazis, sondern die Deutschen hätten Polen überfallen, die Deutschen hätten mehr als 6 Millionen Juden und Roma vernichtet, die Deutschen hätten im damaligen Jugoslawien 300.000 Serben massakriert.

Hier war man aber klug genug, um zwischen Deutschen und Nazis zu unterscheiden. Und so sollte es auch in der Berichterstattung über andere Tätergruppen gehalten werden.

Zurück zu Handke

Ich selbst, ein Kind der 90er-Jahre, bin mit dem Bild der grausamen, brutalen und nationalistischen Serben aufgewachsen und habe lange daran geglaubt. Als ich dann im Herbst 2016 durch Serbien reiste und mit den Menschen sprach, musste ich meine Vorurteile, die trotz rationalen Hinterfragens auch zu diesem Zeitpunkt noch irgendwo in den unbewussten Winkeln meines limbischen Systems festsaßen, revidieren. Ich wurde zum Tee eingeladen, mein Gegenüber unterbreitete mir seine humanistischen Ideen und hin und wieder wurden alte, serbische Gedichte rezitiert.

Ich glaube, ähnlich Wundervolles muss auch Handke in Serbien widerfahren sein, ihm und so vielen anderen Reisenden, die sich trotz westeuropäischer Vorurteile so weit in das Innere des Balkans wagten. Der Schweizer Schriftsteller Nicolas Bouvier, der Serbien im Jahr 1953 bereiste, schrieb: "Unerschöpflich ist der Schatz an persönlicher Großherzigkeit in Serbien, und trotz allem, woran es noch mangelt, ist es dort warm. Frankreich mag das Gehirn von Europa sein, wie die liebenswürdigen Serben uns gern versicherten, aber das Herz ist der Balkan; man wird nie genug davon bekommen."

Man wird nie genug davon bekommen. Und trotzdem beschrieb Handke leider nicht nur solche Begegnungen, sondern begab sich mutwillig in die Nähe jener Menschen, die als Ideologen für die Verbrechen des Krieges, für Mord, Folter und Vergewaltigungen, mitverantwortlich zeichnen. Damit hat er Serbien und vor allem den Serben keine Gerechtigkeit verschafft. Er hat die Ungerechtigkeit, die bereits durch einseitige Berichterstattungen und sprachliche Fehlgriffe getan wurde, noch einmal vervielfacht. Echte Gerechtigkeit würde eine sachliche Debatte schaffen, die ohne voreilige Schwarz-Weiß-Schemata auskommt.

Eine durch qualifizierte Historiker kommentierte Ausgabe von Handkes Reiseberichten, wie von der Schriftstellerin Jagoda Marinić angedacht, wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Eine solche kommentierte Ausgabe könnte nicht nur der immer wieder neu aufflammenden Meinungsschlacht um Peter Handke, sondern auch sonstigen Geschichtsrevisionisten und Verschwörungstheoretikern etwas Wind aus den Segeln nehmen. Sie könnte ein konstruktiver Beitrag innerhalb eines umfangreicheren Historisierungsprozess sein.

Nur eines könnte auch eine solche Historisierung nicht leisten: die Motive Handkes erkennen; erklären, weshalb sich Handke so einseitig hinter die serbische Kriegsseite gestellt hat. Möglicherweise meinte er, dadurch die einseitige Sichtweise anderer Beobachter wiedergutmachen zu können. Möglicherweise war er aber auch, nachdem er die Berichte über die Brutalität und Menschenfeindlichkeit der Serben kannte, von der Tatsache überfordert, sich auf seiner Serbienreise von überwiegend guten Menschen umgeben zu finden. Sicherlich war auch der Radovan Karadžić, den Handke 1996 in Pale getroffen hat, ein umgänglicher Zeitgenosse, er schenkte Schnaps aus und überreichte dem Gast einen Band mit eigenen Gedichten. Wie lässt sich das auch vereinbaren?

Handke hatte möglicherweise Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass die überwiegend guten Menschen - die es überall gibt - von schlechten Ideen besessen sein könnten, und dass diese schlechten Ideen sie zu grausamen Tätern machen können. So viel lässt sich trotz aller Kontroversen tatsächlich noch mit Sicherheit behaupten: Der serbische Nationalismus - genauso wie der kroatische, der bosnisch-muslimische, der kosovarische und alle anderen Nationalismen - war und ist eine sehr schlechte Idee.

Wenn die vertiefte Auseinandersetzung mit der jugoslawischen Zeitgeschichte durch Peter Handke angeregt werden sollte, dann wäre das immerhin ein positiver Nebeneffekt der Nobelpreisverleihung und einer ansonsten unnötig emotional geführten Debatte.

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