Handtuchdesigner oder Popstars?
Wie das Unternehmen Activision den ersten Geniekult um Spieleentwickler schuf
Als der Eigentümer Warner Communications beim Computer und Spielehersteller Atari 1978 den Gründer und Präsidenten Nolan Bushnell durch Ray Kassar ersetzte, versammelte Kasar die Spieldesigner, um sich vorzustellen.
Der damalige Spieleentwickler Alan Miller gibt das Gespräch so wieder:
"Was ist ihr beruflicher Hintergrund?"
- "Ich komme aus der Textilindustrie."
- "Und wie werden sie mit den Entwicklern hier umgehen?"
- "Nun, ich habe mein ganzes Leben schon mit Designern zusammengearbeitet."
Miller fragte sich, was für Designer das wohl gewesen waren. Kasar begann seinen nächsten Satz mit der berühmten Antwort: "Die Handtuchdesigner. . ."
Handtuchdesigner haben mit Spieleentwicklern wenig gemeinsam. Zumindest aus der Perspektive der Spielentwickler. Die verstanden sich damals schon als Künstler. Nach der Übernahme durch Warner verließen zahlreiche Designer das Unternehmen. Miller kritisierte später die Entscheidung Ataris, die Namen der Entwickler eines Spiels nicht zu nennen:
"Als ich bei der NASA arbeitete, konnte ich Leuten, die mich nach meinem Job fragten, nie genau sagen, woran ich gerade arbeitete. Dort beschäftigte man einfach mit sehr kleinen Teilen eines sehr viel größeren Ganzen. Aber Spieldesign ist etwas anderes. Man schafft etwas, was Ausdruck der eigenen Person ist. Ein Spieleentwickler hat das gleiche Recht für seine Arbeit bekannt zu sein wie ein Komponist."
Während in fast allen Künsten die Autoren im Zwanzigsten Jahrhundert entmachtet wurden, mussten die Entwickler von Computerspielen sich erst als solche emanzipieren. 1979 gründeten die ehemaligen Atari-Designer Alan Miller, Bob Whitehead, Jim Levy und Larry Kaplan das erste Unternehmen, das ausschließlich mit dem Programmieren von Computerspielen Geld verdienen sollte: Activision. Einige Monate zuvor war zwar Infocom entstanden, doch dessen Gründer dachten zunächst an das Programmieren von Wirtschaftssoftware. Die Motive der fünf Väter von Activision: mehr Anerkennung. Und mehr Geld.
Heute ist Activision eines der größten internationalen Vertriebs- und Entwicklungshäuser für Computerspiele. Im Jahr 2001 wurde Activision vom US-Wirtschaftsmagazin Fortune in die Top-100-Liste der am schnellsten wachsenden, börsennotierten US-Unternehmen aufgenommen. Zwar nur auf Platz 86, aber die Mindestanforderungen sind hart genug, zum Beispiel mindestens 30 Prozent Wachstum in Umsatz und Gewinn je Aktie in jedem der vergangenen drei Jahre.
Wichtiger als die reinen Finanzstatistiken ist die Strategie Activision in frühen Jahren. Das Unternehmen pflegte als erstes einen Geniekult um seine Entwickler. Etwa um David Crane, dem beim Autofahren die Vision kam, wie ein Huhn sich an eine Straßenüberquerung macht. "Die Idee war in zehn Minuten da, das machte Spaß. Der Rest war harte Arbeit." Über eine halbe Million Exemplare wurde von "Freeway" für den Atari 2600 verkauft. Die Idee hatte sich Crane aus dem Ärmel geschüttelt. Ebenso wie jene zu "Pitfall!", von dem vier Millionen Exemplare verkauft wurden:
"Ich wollte ein Spiel mit einem rennenden Mann machen. Er musste irgendwo rennen. Also malte ich einen Pfad. Und dann musste ein Ort existieren. Also wählte ich den Dschungel."
"Pitfall!" begründete nebenbei das Genre der seitwärtsscrollenden Jump'n'Run-Spiele. Ein Genie wurde Crane erstmals öffentlich 1984 von dem Videospielmagazin "Hi-Res" genannt. Activision befeuerte diesen Kult: Die Entwicklungsabteilung durfte nur von zehn nicht zum Entwicklerteam gehörenden Mitarbeitern betreten werden. Memos drangen nicht bis dorthin vor, die Telefone klingelten nicht, sondern ließen kleine Lämpchen blinken. Jim Levy sagte:
"Designer müssen von so viel Ablenkung befreit werden, wie es die rationale Welt erlaubt. Wenn man ein Videospiel macht, muss man Tausend verschiedene Details zugleich im Kopf behalten, um sicher zu gehen, dass nachher alles funktioniert. Jede Unterbrechung bedeutet einen Neuanfang."
Die Geisteshaltung hinter dieser Sätze erinnert an Caspar David Friedrichs Gemälde "Der Wanderer über dem Nebelmeer": Am Horizont öffnet sich die unendliche Weite des Himmels, die allein die unermessliche Größe des menschlichen Geistes aufzeigen kann. Doch natürlich ist sie nicht zu fassen - der Wanderer steht davor, seinen Rücken hat er dem Betrachter zugewandt. Er allein kann die Unermesslichkeit sehen und begreifen, allein durch ihn ist sie für die Betrachter sichtbar, so wie der Blick auf die Welt allein durch das Genie des sie auf die Leinwand bannenden Malers möglich wird. Eben diese romantische Ehrfurcht vor dem Autor wirkte in dem Geniekult bei Activision, im Kult um den Autor beim Computerspiel überhaupt. Denn natürlich scheint das Spiel noch viel mehr den Inhalt des Schöpferkopfes abzubilden als Malerei. Kann sogar der Impressionismus noch als Gestaltung des Eindrucks einer äußeren Wirklichkeit begriffen werden, ist dies bei Spielwelten, deren Reiz ja in ihrer Eigengesetzlichkeit und Geschlossenheit liegt, unmöglich. Dies ist die Spiegelung einer inneren Wirklichkeit.
Nur wird bei solcher Verehrung mehr als ein Jahrhundert Geistesgeschichte vergessen. Schopenhauers Ausspruch "Die Welt ist meine Vorstellung." etwa. Oder Nietzsche, der das Fazit zog, es gebe keine Tatsachen, nur "Interpretationen mit Hilfe psychischer Fiktionen." Wo also ist der Spieler, der Betrachter, dessen Spiel, dessen Blick erst das Werk schafft?
Natürlich ist er vorhanden. Denn Activisions Spieleentwickler waren nicht nur Genies - sie waren auch Popstars. In jeder Spielpackung befanden sich Fotos der Entwickler und ein persönlich gehaltener Brief mit Hinweisen von ihnen an den Spieler. Die Designer wurden in Limousinen umherchauffiert, in unterschiedliche Flugzeuge gesteckt, damit bei einem Crash nicht die gesamte Entwicklungsabteilung verloren ging. Ungefähr 12000 Fanbriefe trafen jede Woche bei Activision ein und natürlich hatten einige Designer BMWs mit der Nummernschild-Sonderanfertigung: "PITFALL". Sie waren eben Popstars.
Und die wesentliche Eigenschaft von Popstars ist ihre Servicefunktion. Sie leben stellvertretend für ihre Fans, sie nehmen an ihrer Stelle Drogen und haben viel Sex. Diese Stellvertreterfunktion ist bei den Popstars unter den Spieldesigner weit spannender. Anschaulich wird das bei Dan Kitchen, einem der ersten Entwickler, die Activision für den Unternehmenssitz in New Jersey anstellte. Kitchen erzählte, nachdem er zu Job und Ruhm kam:
"Ich hatte mit meinem Bruder Garry viel am Atari 2600 gebastelt, um zu lernen, wie man Spiele programmiert. Wir entwickelten also in unserem Keller Spiele. An die Wand hatten wir einen alten Activision-Katalog geheftet - jenen mit den Fotos aller Entwickler. Wir sagten uns immer wieder: 'Wir werden eines Tages für sie arbeiten.' Sie waren Superstars und wir wollten werden wie sie."
Dieses Popstartum hatte sich in wenigen Jahren aus dem Geniekult entwickelt. Die Spieler hatten nicht länger das Gefühl, mit unverständlicher Magie umzugehen, deren Wesen allein Künstlergenies zu erkennen vermochten. Die Popstars unter den Spielentwicklern beherrschten anstelle ihrer Fans die Technik. Die Botschaft des Pop "Jeder kann ein Star sein" bedeutete für Computerspieler "Jeder kann programmieren". Was ein tolles Gefühl ist - auch wenn die wenigsten es tun.
Downloads
Da viele Activision-Spiele für den Atari 2600 erschienen sind, empfiehlt sich bei den Emulatoren zum Beispiel Stella. Die Roms zur Emulation müssen von gesonderten Seiten geladen werden. Über Suchmaschinen wie Google sind am schnellsten spezifische Titel zu finden. Das Urheberrecht verbietet das Laden von Roms, die man nicht als Original besitzt.
Eine kleine Auswahl an Roms
Bücher
Steven L. Kent: "The First Quarter : A 25-year History of Video Games".Bothel, 2000. S.92 ff.
Internet
Selbstdarstellung von Activision