Handys für die Revolution

Kuba gibt den Mobilfunk- und Elektronikmarkt frei. Westlichen Spekulanten bereiten sich auf Geschäfte vor

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Ein langsamer Wandel in Kuba kündigt sich an: Gut einen Monat nachdem Raúl Castro die Staats- und Regierungsführung in dem Inselstaat übernommen hat, wurden nun eine Reihe von Reformen bekannt gegeben. So soll der Besitz von Handys künftig nicht mehr nur auf Ausländer und staatliche Funktionäre beschränkt bleiben. Auch werden Kubanerinnen und Kubaner sich in Touristenhotels einmieten können. Der Verkauf weiterer Güter von PCs bis hin zu DVD-Playern wird liberalisiert und das Kleinunternehmertum auf dem Land von Staat unterstützt.

Die Neuregelungen waren von Raúl Castro schon am 24. Februar angekündigt worden. Damals, kurz nach seiner Wahl an die Staatsspitze, kritisierte der 76-Jährige ein „Übermaß an Verboten und Regulierungen“. Zugleich kündigte er an, „die einfachsten von ihnen aufzuheben“. Die Beschränkungen hätten in der Vergangenheit Sinn gehabt, hatte Castro schon einige Wochen zuvor gesagt. Inzwischen würden sie aber mehr Schaden als Nutzen bringen.

Staat hinkt Realität hinterher

Tatsächlich hat Kubas Staatsführung seit dem Zusammenbruch des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe 1991 zwischen der Öffnung der Binnenökonomie und der Rückkehr zu einer restriktiven Wirtschaftspolitik geschwankt. So wurde in den 90er Jahren privates Unternehmertum im Agrarsektor erlaubt, um seine Funktion später wieder einzuschränken. Einen eben solchen Schlingerkurs fuhr die Regierung auch in weiteren Bereichen der privaten Wirtschaft.

Mit aufkommendem Tourismus Anfang der 90er Jahre wurden als Teil von rund 150 Kleingewerben auch Familienrestaurants, so genannte Paladares, erlaubt. Bis zu zwölf Tische durften die privaten Gastronomiebetriebe haben. Nach wenigen Jahren dann vergab die Regierung keine weiteren Lizenzen mehr. Zu groß wurden die Bedenken vor neuen sozialen Gegensätzen zwischen den Erwerbstätigen im staatlichen Sektor und den neuen Kleinunternehmern, denn die einen verdienten nur den schwachen kubanischen Peso, die anderen kamen an Devisen. Andere Maßnahmen wie Zugangsverbote zu Touristenhotels sollten zunächst negativen Aspekten wie der Prostitution entgegen wirken, wurden dann aber politisch problematisiert: Anticastristische Gruppen im Ausland zogen gegen die "Apartheid" in Kuba zu Felde. Fest steht: Mit dem aufkommenden Massentourismus entzog sich die soziale Dynamik in Kuba immer stärker der staatlichen Regulationskompetenz.

Auch mit den jüngsten Reformen hinkt der Staat der Realität hinterher. Am Freitag veröffentlichte die offizielle Tageszeitung Granma eine Erklärung der Telefongesellschaft ETECSA, nach der künftig jeder Kubaner ein Mobiltelefon kaufen kann. Bislang war dies de jure Ausländern oder staatlichen Funktionären vorbehalten. Tatsächlich aber besaßen viel mehr Kubanerinnen und Kubaner ein Handy. Die Verträge waren gemeinhin auf Ausländer, nicht selten auf Touristen, ausgestellt. Künftig sei es möglich, die Kontrakte „auf direktem Weg“ abzuschließen, hieß es in der ETECSA-Erklärung.

Es ist wie ein Déjà-vu: Bereits 1993 hatte die kubanische Führung den Besitz des US-Dollars legalisiert – und damit die wirtschaftlichen Realitäten im Land anerkannt. Denn die US-Devise hatte den Schwarzmarkt in den Jahren zuvor wachsen und gedeihen lassen. Mit der Akzeptanz des US-Dollars als offizielle Devisenwährung gewann der Staat ein Stück der Kontrolle wieder, die ihm in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise entglitten war.

Ähnlich verhält es sich mit den aktuellen Reformen. Mit der Öffnung des Landes hin zum Tourismus und zu den kubanischen Auslandsgemeinden sowie mit zunehmenden Einsätzen kubanischen Fachpersonals im Ausland kamen in den vergangenen Jahren immer mehr Luxusgüter ins Land. Aus kaum einem lateinamerikanischen Staat hebt ein Flugzeug in Richtung Kuba ab, ohne einen Lehrer oder Arzt samt Großeinkauf im Gepäck. Je mehr Waren ins Land kamen, desto größer wurde der Zwang für die Regierung, den Besitz von elektronischen Luxusgütern allen Einwohnern zu erlauben.

Trotzdem wird der Besitz der neuen Importwaren nicht für alle erschwinglich sein. Die staatliche Telefongesellschaft ETECSA stellt pro Handyvertrag 111 konvertible Peso in Rechnung – rund 120 US-Dollar. Eine einminütige Verbindung im Land kostet 50 Dollarcent, Gespräche ins Ausland gar mehrere Dollar. Die Kosten sind nach wie vor so hoch, weil die US-Blockade das Land zwingt, teure Satellitenverbindungen zu nutzen.

Auch andere Luxuswaren werden für die Bevölkerungsmehrheit zu teuer sein. Zu den Errungenschaften der kubanischen Revolution werden Handys, PCs oder DVD-Player auch künftig nicht gezählt werden. Denn auch wenn man die zahlreichen staatlichen Subventionierungen von Miete bis zur Stromversorgung sowie die kostenfreien sozialen Dienste beachtet – der durchschnittliche Monatslohn in Kuba beträgt am Ende umgerechnet nur 17 US-Dollar.

Hoffen auf Geschäfte in Kuba

Die nun bekannt gegebenen Reformen sind Ausdruck eines neuen Pragmatismus der kubanischen Führung. Die erzwungenen Neuerungen in der Wirtschaftspolitik Anfang der 90er Jahre haben eine Entwicklung in Gang gebracht, die schwer aufzuhalten ist. Gerade auf dem Telefonmarkt werden die daraus erwachsenden sozialen Probleme anschaulich. Während Einwohner mit US-Dollar nun Handys kaufen können, verfügen 141 der 886 Verwaltungsbezirke Kubas nach wie vor über keinen Festnetzanschluss.

Ramón Linares Torres, Kubas Vizeminister für Informatik und Kommunikation, kündigte an, dass diese Versorgungslücken bis zum Jahresende geschlossen werden sollen. „Vor der Revolution 1959 haben in Kuba nur 170.000 Telefonanschlüsse existiert, die meisten davon, 73 Prozent, in Havanna und größeren Städten“, fügte er in Gespräch mit der Staatszeitung Granma an. Ein Ziel der Revolution sei es gewesen, den Ausgleich zwischen Stadt und Land herzustellen. Ähnliche Ziele habe die Regierung nun beim Mobilfunk. In mehreren Dutzend Landeslokalen, in denen ab Mitte April Handys verkauft werden, könnten Verträge auch für kubanische Pesos (24 Peso entsprechen einem US-Dollar) beantragt werden. Man werde die Anträge berücksichtigen, „solange dadurch nicht die Rentabilität des Systems gefährdet wird“, sagte Linares Torres.

Um die jüngste Entwicklung in Kuba zu bewerten, hilft auch ein Blick auf das europäische Bankengeschäft. Ende März emittierte die französische Société Générale zwei so genannte Zertifikate für Kuba. Die Geschäftsbank stellt dabei Aktienkörbe aus gut einem Dutzend Unternehmen zusammen, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Kuba unterhalten. Wer in den "SG Cuba Basket" investiert, hofft auf das "theoretisch vorhandene Wachstumspotential", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung über das Spekulationsgeschäft. Doch das Vorhaben ist hoch riskant: Die Investition lohnt sich nur dann, wenn die politischen und wirtschaftlichen Reformen in Kuba tatsächlich auf eine Beseitigung des Sozialismus abzielten. Ist dem nicht so, sind die im "Cuba Basket" investierten Gelder im wahrsten Sinne des Wortes im Eimer.

Wer an Kuba verdienen will, muss deswegen weiter auf politischen Aktivismus setzen. Die US-Regierung vergibt jährlich Abermillionen US-Dollar an Gruppen, die auf einen Umsturz in dem Karibikstaat hinarbeiten. Mitunter gehen die Profiteure aber auch dabei zu dreist vor. Am Freitag musste ein Sonderberater für die Beziehungen zu Kuba im Weißen Haus zurücktreten. Felipe Sixto hatte Umsturzgelder der US-Organisation USAID veruntreut. Sixto arbeitete seit Juli 2007 im Weißen Haus, zum Sonderberater des Präsidenten wurde er erst vor wenigen Wochen berufen. Als er die Gelder unterschlug, war er Chef des "Zentrums für ein freies Kuba".