Hardliner, Neoliberale, Oligarchen: Der fragwürdige Erfolg der Ukraine

Seite 3: Absturz auf Niveau von Sri Lanka und Iran

Mit der Stagnation des realsozialistischen Systems in den 1970er- und 1980er-Jahren drehte sich das Verhältnis um, seit dem Übergang der Ukraine in den Kapitalismus entfernten sich die Abstände zwischen Ländern wie der Ukraine und beispielsweise Frankreich oder Deutschland und seit der EU-Assoziierung des osteuropäischen Landes verstärkte sich diese Entwicklung noch einmal.

Beim Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) sah es im Jahr 2021 ebenfalls nicht besser aus. Der Index fasst verschiedene Werte wie die Lebenserwartung, die durchschnittliche Schulzeit und das Pro-Kopf-Einkommen zusammen.

Beim HDI landete das osteuropäische Land bei einem Wert von 0,773 und damit knapp hinter Sri Lanka (0,782) und dem Iran (0,774) sowie noch zwei Plätze vor der Volksrepublik China (0,768). Seitens des UNDP konnte auch keine ukrainische Erfolgsgeschichte festgestellt werden.

In Reaktion auf die desaströse wirtschaftliche Lage, das politische Klima und die gesellschaftlichen Entwicklungen in der Ukraine emigrierten immer mehr Menschen. Wie der damalige Außenminister Pawlo Klimkin 2018 einräumte, verließen jedes Jahr rund eine Million Menschen das Land. "Die Lage ist katastrophal", erklärte der Politiker dem ukrainischen Fernsehsender Nastojaschaja Wremja (Unsere Zeit) und prophezeite: "Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen."

Für deutsche Konzerne hingegen sah die Situation ganz anders aus: Wie es Andreas Lier, der Präsident der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer, im Jahr 2018 formulierte, war die mit der EU assoziierte Ukraine die "beste Ukraine, die es jemals gab".

Während man seitens deutscher Großkonzerne über diese Ukraine frohlockte, sank die Größe der Bevölkerung immer weiter. Als Folge der sinkenden Lebenserwartung und ansteigenden Emigration schrumpfte die ukrainische Bevölkerung der Ukraine von 1990 bis 2021 von 51,8 Millionen auf 41,2 Millionen Einwohner:innen – ein Rückgang von über einem Fünftel. Nachdem die Bevölkerung der Ukraine in der realsozialistischen Zeit stetig gewachsen war, endete das Wachstum kurz nach dem Übergang in den Kapitalismus.

Ein langsamer Niedergang setzte ein und verstärkte sich infolge der EU-Assoziierung. Allein im Jahr 2021 verlor die Ukraine über 440.000 Menschen durch niedrige Geburtenraten, hohe Sterbezahlen und eine anhaltende Emigration.

Nach Erkenntnissen des IWF rutschte die Ukraine 2018 erstmals zum ärmsten Land Europas ab – noch hinter dem langjährigen Schlusslicht, der benachbarten Republik Moldau. Laut Angaben der neoliberal ausgerichteten Weltbank stieg die Zahl der Menschen, die unterhalb der offiziellen Armutsschwelle lebten, von 15 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2014 auf 25 Prozent im Jahr 2018.

Das lag neben der allgemeinen Preisentwicklungen, den niedrigen Löhnen unter anderem an der Entwicklung der Energiepreise: Die Gaspreise für die einfache Bevölkerung stiegen von 2014 bis 2022 um sage und schreibe 650 Prozent. Bis in die Gegenwart erreichte die Ukraine nicht das BIP-pro-Kopf-Niveau von 1990 wieder. Ganz im Gegenteil: Laut Berechnungen der Weltbank liegt das BIP pro Kopf heute sogar 20 Prozent darunter.

Die Geschichte der an die EU angelehnten und seit 2016 offiziell assoziierten Ukraine ist keine Erfolgsgeschichte, sondern eine Geschichte eines anhaltenden wirtschaftlichen Niedergangs, einer schrumpfenden Bevölkerung mit immer niedrigerer Lebenserwartung, einer immer größeren Emigration von Menschen aus dem Land und einem zerbröselnden Gesundheitssystems.

Wenn Politiker in Westeuropa meinen, dass die Ukraine für "unsere Werte" kämpfe, dann meinen sie nicht wirklich eine repräsentative Demokratie – sondern einen kaum gezügelten Neoliberalismus, der das Land de facto aber sozioökonomisch heruntergewirtschaftet hat.

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