Hart durchgreifen, statt sich durch ellenlange Tutorials quälen

Die berüchtigte Videospielserie "Splatterhouse" meldet sich mit bizarren Gewaltorgien zurück

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Gordon Rennie ist einer der maßgeblichen Autoren des unfreundlichen Judge Dredd-Universums. Ein äußerst produktiver außerdem, wie sein immenser bibliographischer Eintrag eindrucksvoll beweist. In den frühen 2000ern hat er, nach hunderten von Comics, für sich erkannt, dass "Videospiele eine schönere Zukunft vor sich haben als Comics. Außerdem zahlen sie besser."

Sein erster Versuch, der Ego Shooter Killzone, krankte zwar ein wenig an technischen Unzulänglichkeiten wie hakeliger Steuerung, wechselhafter künstlicher Intelligenz und Framerate-Einbrüchen, verstand es aber mit einer gut entwickelter Geschichte um die Invasion durch eine Art außerirdischer Nationalsozialisten und der daraus resultierenden apokalyptischen Stimmung die Gemeinde so zu faszinieren, dass sich viele der seinerzeit noch überwiegend am PC kämpfenden virtuellen Söldner eine Playstation 2 zugelegt haben, um den exklusiv für Sony entwickelten Titel spielen zu können. Die Marke Killzone ist bis heute ähnlich wie God Of War ein Systemseller, der dritte Teil soll im nächsten Februar erscheinen.

Auch Splatterhouse ist eine Franchise mit Geschichte. Im Jahr 1988 erschien das Original auf japanischen und amerikanischen Spielhallen-Automaten. In den Vereinigten Staaten "gelang" es dem Game sogar, als erstes Videospiel schlechthin mit einem Parental Advisory-Warnsticker ausgezeichnet zu werden - Publisher Namco Bandai bewirbt die Serie bis zum heutigen Tag stolz damit. Das Gameplay zeigt einen klassischen Sidescroller, dessen comichaft dargestellte Gewalteinlagen im Zeitalter von Call Of Duty eher drollig wirken. Ein Doppelgänger von Jason Vorhees läuft von links nach rechts und prügelt, hackt oder schießt die ihm in Massen entgegenstolpernden Ungeheuer zu Brei, um die Freundin zu retten, die vom Vorgesetzten der Monsterriege, einem gewissen Dr. West, entführt wurde. Als ein grundlegendes Erfolgsgeheimnis des Spiels gilt die Verwendung der an die (zur Entstehungszeit sehr populären) Freitag, der 13.-Filmserie erinnernden Eishockey-Maske, die es dem Spieler ermöglichte, als Jason zu agieren, bei allem Blutdurst dabei aber trotzdem keinen Bösewicht, sondern den Helden darzustellen.

In den nächsten Jahren sind neben einem Nintendo-Ableger namens Splatterhouse: Wanpaku Graffiti im betont kindischen Chibi-Stil zwei offizielle Fortsetzungen für die Sega Dreamcast erschienen, nach 1993 wurde es aber ruhig um Rick Taylor und seine dämonische Maske. Dies änderte sich erst im Jahr 2007, als Namco Bandai eine Wiederbelebung der Serie ankündigte. Für die Erstellung von Konzept und Storyline wurde der eingangs erwähnte Gordon Rennie verpflichtet, der wiederum bald Comiczeichner (Lobo, 2000 AD) und Coverdesigner (Danzig) Simon Bisley hinzuzog, um mit ihm an der optischen Gestaltung der Hauptfigur Rick Taylor zu arbeiten. Ein vergleichender Blick auf eine Jason Vorhees-Studie von Bisley anläßlich der Jason-vs.-Leatherface-Crossover-Miniserie offenbart, wie groß der Einfluss des hervorragenden Zeichners auf den grafischen Stil des Splatterhouse-Remakes gewesen ist.

Als mit BottleRocket (sic!) auch ein geeignetes Entwicklungsteam gefunden war, nannte man den April 2009 als Zeitpunkt der voraussichtlichen Veröffentlichung. Auch die Werbeabteilung wurde tätig: Man hatte beschlossen, Splatterhouse nicht nur den Konsolenspielern, sondern auch den Gruselfreunden und Heavy Metal Fans anzudienen. Die beiden ersten Zielgruppen ergeben sich aus Form beziehungsweise Inhalt der Produktion, die Headbanger wurden wohl wegen ihrer überdurchschnittlichen Affinität zu blutrünstiger Unterhaltung als dritte Säule des Vermarktungskonzepts ausgewählt. Ob deswegen nun gleich der komplette Soundtrack aus schweren Death-Metal-Bollwerken und fiesem Grindcore-Gurgeln bestehen muss, ist Geschmackssache. Soweit schien alles für einen pünktlichen Release vorbereitet, bis Namco Bandai im Herbst 2008 völlig überraschend bekannt gab, dass man sich von BottleRocket getrennt und die Developer Konsolen bereits einkassiert hätte, um Splatterhouse nun vom hauseigenen Entwicklerteam fertigstellen zu lassen, das kurz vorher Afro Samurai realisiert hatte. Nun begann eine Zeit immer neuer Terminverschiebungen, unterbrochen nur von der Meldung, dass BottleRocket nach der von NB lediglich mit "Performance Issues" begründeten Trennung in die Insolvenz gehen musste, worauf hin die wichtigsten Mitarbeiter der abgewickelten Firma von Namco Bandai direkt angestellt wurden - damit sie Splatterhouse vollenden konnten. Nach solchem Hin und Herr und einer beinahe vierjährigen Wartezeit hatte so mancher bereits den Glauben an ein neues Splatterhouse verloren, als das fertige Spiel Ende November 2010 tatsächlich in den Läden auslag. Unter den geschilderten Umständen ist eine gewisse Skepsis dem Produkt gegenüber durchaus angebracht, eine Skepsis, die durch ausgesprochen katastrophale erste Bewertungen auf den führenden amerikanischen Spieleseiten Gamespot ("poor") und IGN ("bad" ) noch verstärkt wurde.

Wer kommt denn auf die Idee, seinem Gegner die Faust in den Anus zu rammen, um ihm anschließend die Wirbelsäule aus dem Leib zu reißen?

Dabei macht Splatterhouse auf Anhieb keineswegs einen schlechten Eindruck. Wer in den letzten Jahren Hack'n'Slay-Titel wie God Of War, Dante's Inferno oder auch den hierzulande wegen seiner äußerst gewalttätigen Tendenz ebenfalls nicht veröffentlichten 360-Exklusiv-Titel Wolverine - Uncaged Edition gespielt hat, findet sich sofort zurecht, ohne das Handbuch bemühen zu müssen - Splatterhouse hat die Gameplay-Konventionen des Genres 1:1 übernommen. Zwei Buttons für normale und schwere Attacken, eine zum Hüpfen, eine für Spezialaktionen. Mit kombinierten Schultertasten lassen sich weitere Moves abrufen, der linke Stick bewegt den Avatar, während der rechte die Kamera kontrolliert. Der einschlägig erfahrene Leser wird an dieser Stelle bereits ahnen, mit welchem Button man Tür und Tor öffnet oder die Quicktime-"Splatterkills" auslöst. Was auf den ersten Blick nach Einfallslosigkeit aussieht, ist in Wirklichkeit sehr vernünftig, da der nach heftigen Auseinandersetzungen dürstende Spieler auch bei diesem Titel sofort losziehen kann, um in der jeweiligen virtuellen Welt hart durchzugreifen, statt sich durch ellenlange Tutorials zu quälen.

Nach einigen einleitenden Animationsclips mit angemessener und stimmig umgesetzter Gruselcomic-Atmosphäre steuert man den eben von einer dämonischen Maya-Maske zu einem gewaltigen Muskelberg umgewandelten Rick Taylor durch recht lineare, meist mit einem Sinn für sinistren Chic gestaltete Level, um seine Freundin Jenny zu retten, die vom verrückten Wissenschaftler Dr. West entführt wurde. Dieser ist jedoch ein erfahrener Monsterschöpfer und Dämonenbeschwörer, der dem Helden wahre Fluten von Unholden verschiedenster Couleur entgegenschickt, um dessen Aufholjagd zu stoppen. Daraus resultiert ein unaufhörliches Blutbad, das immer wieder beinahe lachhafte Formen annimmt. Der unbedingte Wille der Entwickler, das bedenkenloseste und aberwitzigste Gemetzel der Videospielgeschichte abzuliefern, ist jederzeit spürbar. Einige gestalterische Königsideen wie der von innen literweise gegen den Bildschirm klatschende Blut- und Gedärmematsch (im späteren Verlauf kann man mit einer Keule komplette Gegner gegen die Mattscheibe klatschen, an der sie dann langsam herunterrutschen) treffen auf bisher nicht da gewesene Geschmacklosigkeiten. Wer kommt denn auf die Idee, seinem Gegner die Faust in den Anus zu rammen, um ihm anschließend die Wirbelsäule aus dem Leib zu reißen?

Ist Splatterhouse also tatsächlich die Enttäuschung des Jahres, als die das Spiel in mancher Rezension bereits ausgemacht wurde? Keineswegs. Zwar ärgert man sich während manchen Massenkämpfen über ungünstige Winkel der Autokamera (wer gerade versucht, mit seinem rechten Daumen Legionen von Monstern zu vernichten, kann den selben natürlich in dem Moment nicht verwenden, um die Kamera vernünftig zu steuern - was seit jeher bei vielen Spielen dieser Gattung zum gelegentlichen"Cheap Death" führt), an anderen Stellen schien es kurze Verzögerungen bei der Befehlseingabe zu geben. Auf der anderen Seite liefert Splatterhouse genau das was die Serie seit jeher verspricht: Ein einziges, fast ununterbrochenes Massaker, das von einer Story getragen wird, die sich zwar meist dezent im Hintergrund hält, im richtigen Moment aber einen unvermuteten Twist präsentiert oder das auf Dauer etwas gleichförmige Tagesgeschäft zugunsten von ausufernden, aber zwischen Herausforderung und Machbarkeit gut ausbalancierten Kämpfen gegen eindrucksvolle, mit viel Phantasie gestaltete Riesenbosse unterbricht. Zusätzlich schaltet das Spiel des öfteren zu einer modernen Variante des traditionellen Sidescrolling-Gameplays um, was meist gut funktioniert und für zusätzliche Abwechslung sorgt.

Wer zur Zielgruppe gehört, also den ganzen Tag Reign In Blood und Altars Of Madness hört, Tanz der Teufel oder Story Of Ricky sieht und gerne das passende Spiel dazu hätte, dürfte von Splatterhouse trotz kleinerer Mängel entzückt sein. Historisch interessierte Konsoleros werden vor allem von den Dreingaben begeistert sein, die als Boni mitgeliefert werden: Das Spiel enthält alle drei Vorläufer der Serie, nur der Chibi-Ableger Wanpaku Graffiti wurde weggelassen, da er laut NB nicht zur originalen Serie gerechnet werden soll. Wer aber einfach einen Hack'n'Slay-Titel mit halbwegs moderatem Härtegrad sucht, ist auch weiterhin mit dem neuen Castlevania oder God Of War besser beraten.

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