Harte Live-Debatte zwischen Rutte und Wilders
Seite 3: Identität und Integration
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Zum heiklen Thema der Identität und Integration setzte Rutte seinen optimistischen Kurs fort: Es sei gelungen, den Zustrom von Flüchtlingen um 90 bis 95 Prozent zu reduzieren. Demgegenüber löse Wilders' Vorschlag, die Grenzen zu schließen und von Tür zu Tür zu gehen, um den (dann verbotenen) Koran einzusammeln, keine Probleme.
Anstatt zu erklären, wie er seine Politik umsetzen wolle, appellierte Wilders ans Vaterland. Das Land müsse wieder den Niederländern gehören. Ferner rechnete der von rund 11.500 Flüchtlingen im letzten Quartal 2016 auf (einschließlich Familiennachzug) insgesamt 200.000 im Jahr.
"Voodoozahlen" über Flüchtlinge
Gemäß dem Faktencheck bezeichnete Rutte das während der Debatte aber zu Recht als "Voodoozahlen". In Wilders Angaben seien bereits die Familiennachzüge enthalten und insgesamt habe es im Jahr 2016 nur ein Zehntel der von ihm hochgerechneten Asylanträge gegeben.
Die niederländischen Grenzen zu schließen, das bedeutet, dass anständige Menschen wie Sie und ich bald an der Grenze im Stau stehen, und dass die falschen Leute einfach weiter über Schleichwege in die Niederlande kommen. Das ist eine Scheinlösung und das ist, Herr Wilders, das Problem der PVV: Sie haben bei der VVD angefangen. Damals sagten Sie ziemlich vernünftige Dinge. Danach wechselten Sie zur PVV und verkaufen uns jetzt Scheinlösungen. … Und das begreift auch jeder.
Mark Rutte; Übers. d. A.
Zum Ende hin erhielt die Debatte mehr Dynamik. Die Kontrahenten fielen einander häufiger ins Wort. Rutte forderte immer wieder konkrete Vorschläge für Lösungen, während Wilders weiter die Probleme benannte. Dieser wirkte gerade bei seinem Kernthema allmählich ermüdet und zeigte dem amtierenden Premier häufiger die Stirn - das schien aber nicht angriffslustig, sondern eher wie ein Schild, hinter dem Wilders sich versteckte.
Nach der Wahl: Problem der Regierungsbildung
Ob die aktuellen diplomatischen Spannungen mit der Türkei oder die Live-Debatte den Wahlausgang beeinflussen, wird sich am Mittwoch zeigen. Es wäre auch nicht das erste Mal in jüngerer Zeit, dass die Prognosen danebenliegen. So gibt es bereits Gerüchte, Wählerinnen und Wähler von GroenLinks könnten strategisch für die VVD stimmen, damit Wilders' PVV nicht die stärkste Fraktion wird.
Wie die Wahlen aber auch ausgehen werden, das Bilden einer Regierung wird danach schwierig sein. Um die nötigen 76 Sitze für eine Mehrheit in der Tweede Kamer zu erzielen, werden aller Wahrscheinlichkeit nach vier oder gar fünf Parteien koalieren müssen. Ob das zu einer stabilen Regierung führt, wird sich zeigen müssen.
Stephan Schleim arbeitet an der Universität Groningen und lebt seit 2009 überwiegend in den Niederlanden.