Harte Live-Debatte zwischen Rutte und Wilders

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Wilders beschimpft Premier als "Pinocchio der Niederlande". Rutte stellt Kontrahenten als Feigling dar

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Unter großem Applaus zogen der amtierende Premierminister Mark Rutte und sein Herausforderer Geert Wilders am Abend des 13. März in einen Vorlesungssaal der Erasmus-Universität Rotterdam ein. Der Anlass hierfür war die im Fernsehen, Radio und Internet live übertragene Debatte der beiden politischen Widersacher. Diese dürfte den Höhepunkt des niederländischen Wahlkampfs für die nächste Tweede Kamer darstellen, das Parlament in Den Haag.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Die Spannung war hoch, herrscht zwischen den beiden größten Parteien in den Umfragen doch seit Wochen ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Auf 24 Sitze (oder 16%) kämen sowohl Ruttes VVD als auch Wilders' PVV gemäß der neuesten Prognose. Dabei stellt diese Zahl für den amtierenden Premier einen großen Verlust dar.

2012 kam seine Partei immerhin auf 41 Sitze. Wilders hingegen musste sich damals noch mit 15 Sitzen begnügen und wird damit nach der progressiv-liberalen GroenLinks wahrscheinlich der größte Wahlgewinner sein (Geert Wilders' Endspurt um Platz 1).

Vergleich des amtlichen Ergebnisses der Wahlen von 2012 (blau) mit der Prognose für den 15. März 2017 (orange). Aufgrund des anderen Wahlrechts werden in den Niederlanden keine Prozentwerte, sondern gleich die Anzahl der Sitze im Parlament (Tweede Kamer) angegeben. Für das Bilden einer Mehrheit sind mindestens 76 der 150 Parlamentssitze notwendig. Im Vergleich zur Vorwoche schließt die christdemokratische CDA fast zu den ersten beiden Parteien auf. Die sozialdemokratische PvdA stürzt auf fast ein Viertel ihrer Sitze ab. Quelle: Medianwert über Umfragen von TNS NIPO, I&O Research, IPSOS, Maurice de Hond und EenVandaag im Zeitraum 9. bis 13. März 2017

Für die niederländischen Wählerinnen und Wähler war es eine seltene Gelegenheit, den Herausforderer Wilders näher zu betrachten, jedenfalls während des Wahlkampfes. Im Februar sagte dieser nämlich mit Verweis auf Sicherheitsbedenken alle weiteren Wahlauftritte ab. Aber auch die angesehene Carré-Debatte am 5. März in Amsterdam hatte er den acht anderen Fraktionsvorsitzenden überlassen.

Wilders' Vorteil: Spannungen mit Türkei

Für das TV-Duell am Montagabend hätten die Voraussetzungen für den islam- und türkeikritischen Wilders kaum besser sein können. Immerhin schaukeln sich die diplomatischen Spannungen zwischen den Niederlanden und der Türkei noch beim Schreiben dieser Zeilen weiter hoch:

Nach der Ausweisung der türkischen Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya, die um Stimmen für das Verfassungsreferendum im April werben wollte, war es am Wochenende erst in Rotterdam, dann in Amsterdam zu gewaltsamen Protesten von Erdogan-Anhängern gekommen. In beiden Städten wurden Wasserwerfer und eine Spezialeinheit der Polizei eingesetzt, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen.

Auf diplomatischer Ebene kam es zu Nazi- und Faschismusvorwürfen seitens der türkischen Regierung. Premierminister Rutte setzte auf Deeskalation, fordert gleichzeitig aber auch eine Rücknahme der "völlig inakzeptablen Behauptungen". Dieses Tagesgeschehen stellte dann auch den inhaltlichen Einstieg in die Debatte dar.

Schwere persönliche Vorwürfe

Die beiden Kontrahenten, die bis zu Wilders' Gründung seiner eigenen Partei beide zusammen in der marktliberalen VVD gewesen waren, begrüßten einander zunächst sportlich mit Handschlag und Schulterklopfen. Das ist nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass Wilders den amtierenden Premierminister als "Pinocchio der Niederlande" und die Tweede Kamer als "Scheinparlament" verunglimpfte.

Für Wilders waren die Demonstranten mit türkischer Flagge keine Niederländer, sondern Türken. Rutte hielt dem entgegen, dass 80% der Türken etwas Positives zum Land beitrügen und gut integriert seien. Dem widersprach wiederum Wilders mit Verweis auf eine Abstimmung im Jahr 2016, derzufolge 69% der türkischstämmigen Niederländer für Erdogan gewählt hätten.

Ein späterer Faktencheck ergab allerdings, dass diese Abstimmung nicht repräsentativ war und wahrscheinlich überproportional viele Erdogan-Befürworter daran teilgenommen hatten. Korrekt ist allerdings, dass die Zustimmung in den Niederlanden größer war als in allen anderen Ländern.