Hasswelle: Die Agitation gegen einen Vertreter der Meinungsfreiheit
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Fall des ermordeten Lehrers legen methodisches Aufhetzen nahe. Beteiligt ist ein dem Geheimdienst bekannter Islamist
Die Gewalt und der Hass, die sich im Fall des massakrierten Lehrers in Frankreich zeigen, sind bestürzend. Der leitende Staatsanwalt, Jean-François Ricard, gab gestern auf einer Pressekonferenz vorläufige Ermittlungsergebnisse bekannt.
Sie führen zum einen den Druck und die Angst vor Augen, unter dem die Polizisten standen, die mit dem Täter konfrontiert waren, zum anderen - und dies ist die Hauptsache, die Frankreich noch länger beschäftigen wird -, welche Auswirkung im aufgereizten Klima ein Video haben kann, das allen Indizien nach bewusst agitatorisch aufgeladen wurde, eine weite Verbreitung fand und auf einen Fanatiker traf, der den Behörden bislang nicht als Radikaler aufgefallen war, der zu einer Mordtat bereit sein könnte.
Mit neun Schüssen wurde der 18-jährige Russe, der aus Tschetschenien stammte (mit einer Aufenthaltsgenehmigung bis 2030), von drei Polizisten erschossen, gab Jean-François Ricard gestern bekannt. Man kann sich fragen, ob denn nicht gezielte Schüsse genügt hätten, um den Mann außer Gefecht zu setzen, mussten es tödliche sein und gleich neun Schüsse?
Die Mitteilung des Staatsanwaltes legt nahe, dass die Polizisten aus Notwehr handelten, aber es spielt sicher auch die längere Vorgeschichte der vielen Terror-Attentate in Frankreich, bei denen Polizisten Opfer wurden, mit hinein und natürlich, dass dieser Mann einige Minuten zuvor einen Lehrer auf grausame Art mit seinem Messer umgebracht hatte und also gefährlich war.
Dazu kommt, dass der Mann neben einem Messer auch eine Air-Gun bei sich hatte, diese Art der Waffen sind einer scharfen Waffe so ähnlich, dass dies in einer Extremsituation, die rasend schnell abläuft, kaum gefasst und ruhig einzuschätzen ist - vor allem wenn der Mann mit dieser Waffen in der Hand "Allahu Akbar" rufend auf einen zuläuft. Auch wurden die französischen Polizisten aufgrund der Terror-Vorgeschichten darin geschult, kein unnötiges Risiko einzugehen und schnell zu schießen.
Die Videos
Der 18-Jährige nahm sich zuvor viel Zeit, um seinen Mordplan auszuführen. Er brauchte von seinem 100 Kilometer entfernten Wohnort wahrscheinlich über eine Stunde, um zur Schule zu fahren, in der der Lehrer arbeitete. Dort sprach er nach Auskunft des Staatsanwalts Schüler vor dem Schulgebäude auf den Lehrer an, um ihn erkennen zu können, mit dem Ziel, wie sich dann herausstellte, ihn zu töten.
Die Frage ist, wie der im Viertel Madeleine von Evreux (Eure) lebende Mann zuvor vom Lehrer im Provinzort Conflans-Saint-Honorine erfahren hat? Vieles spricht dafür, dass Videos eine Rolle spielten, die über Facebook, WhatsApp, Instagram, Twitter, Snapchat verbreitet wurden. Die Mutter eines Schülers der Unterrichtsklasse erwähnt, dass ihr eins der Videos aus Algerien zugeschickt wurde.
Angefertigt wurden die zwei Videos vom Vater einer Schülerin. Sie beschuldigen den Lehrer, dass er den Schülern "pornografische Bilder" (gemeint ist eine Karikatur, die den Propheten nackt "auf allen Vieren" zeigt mit einem Stern am Hintern, Titel: "Ein Stern ist geboren") präsentiert, dass er muslimische Schüler aus der Klasse verwiesen habe, um Mohammed-Karikaturen zu zeigen - und dass Macron die Franzosen gegen den Islam aufwiegele. In den Videos wurde gefordert, dass der Lehrer aus dem Schuldienst entlassen werden soll und dass man dafür mobilisieren will.
Laut Medienberichten hat dies zu einer regelrechten Hatz gegen den Lehrer geführt, zur Empörung einiger Eltern, die sich derartig auswuchs, dass höhere Schulbehörden eingeschaltet wurden - wie auch der Inlandsgeheimdienst.
Die Schüler, die nicht da waren, und der Islamist, der nicht zur Schule gehört
Interessant sind über die Agitation gegen den Lehrer in den Videos hinaus zwei Fakten: Die Schülerin, die als eine Art Kronzeugin der Social-Media-Anklage gegen den Lehrer fungierte, war bei der Unterrichtsstunde, um die es geht, gar nicht dabei. Sie wurde am Tag zuvor von der Schule für zwei Tage suspendiert.
Als Begründung kursiert, dass sie sich über das erträgliche Maß hinaus über die Ansage des Lehrers aufregte. Der hatte erklärt, dass er anderntags über Mohammed-Karikaturen in seiner Unterrichtsstunde sprechen werde. Dabei gab er zu verstehen, dass Schüler, die das Zeigen der Bilder nicht mit ihrer Religion vereinbaren können, fernbleiben können - oder wegschauen. "Wenn Sie wollen, können Sie die Klasse verlassen oder die Augen schließen oder woanders hinschauen."
Eine Untersuchung des Vorfalls durch die Schule und Behörden kam zum Ergebnis, dass der Lehrer angemessen reagiert habe. Die Direktorin der Schule erklärte später, dass die Schülerin auch nicht wegen ihrer Aufregung über die Ankündigung des Lehrers für zwei Tage suspendiert wurde, sondern weil sie zuvor schon Verhaltensweisen gezeigt habe, die nicht mehr geduldet würden.
Der zweite bizarre Fakt: Im Video taucht ein Mann auf namens Abdelhakim Sefrioui auf, der seit Jahren als Islamist bekannt ist.
"Eine dritte Person sagt (im Video, Anm. d. Verf.), dass Präsident Macron den Hass auf Muslime angeheizt habe. Dieser Mann verlangte den Ausschluss des Lehrers." (Jean-François Ricard)
Medienberichte stellen heraus, dass der Salafist "Agit-Prop" betreibe. In den Berichten werden Kontakte des Mannes zu radikalen und extremistischen Gruppierungen und Personen beschrieben. Genannt werden die Hamas, Yusuf al-Qaradawi, der bei den Muslimbrüdern eine wichtige Rolle spielt, sowie auch eine rechtsextreme Gruppe, die mit Verschwörungstheorien agiert. Er soll darüber hinaus Anhänger des antisemitischen Agitators und Satirikers Dieudonné sein.
Was immer man von den Hintergründen hält, die von Ouest-France oder von der rechtsnationalistischen Publikation Marianne ausgebreitet werden, der Salafist legte sich immer wieder mit moderaten Vertretern des Islams in Frankreich an und fiel durch seine Radikalität und seinen Propaganda-Aktivismus auf: Er ist auch dem Geheimdienst gut bekannt.
Wie kommt dieser Mann nun dazu, dass er den Vater der genannten Schülerin bei dessen Gang zur Direktorin einer Provinzschule begleitete, wo der Vater die Entlassung des Lehrers forderte, und wie kommt der radikale Hetzer dazu, dass er in einem Video gegen den Lehrer eine Rolle spielt? Man darf gespannt sein, was hier noch ermittelt wird. Abdelhakim Sefrioui findet sich in Polizeigewahrsam.
Verbindung zu Netzwerken?
Geht es nach Ermittlungen der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft, so zeigte sich laut Jean-François Ricard, dass eine Halbschwester des Vaters der Schülerin 2014 nach Syrien gereist sei, um sich dem IS anzuschließen. Daraus ergibt sich - wie auch aus dem Kontakt zu Abdelhakim Sefrioui - die Frage, ob der Vater mit islamistischen Netzwerken zu tun hat. Das rückt die Produktion der beiden Videos in den Verdacht, dass damit absichtlich Entrüstung geschürt wurde, die möglichst weite Kreise zieht und dabei auch Radikale anspricht.
Auffällig ist, dass der Lehrer seit drei Jahren regelmäßig die Unterrichtsstunde zur Meinungsfreiheit im Rahmen eines nationalen Bildungsprogramms abgehalten hat, ohne dass es Probleme gab, wie frühere Schüler aussagen (siehe auch hier). Schon in den Jahren zuvor soll der Lehrer Schülerinnen und Schülern Bescheid gegeben haben, dass sie den Unterricht verlassen können, wenn sie die Bilder schockieren. Sie seien nicht dazu verpflichtet, am Unterricht teilzunehmen. Bisher habe es nie Probleme gegeben.
Für heute Nachmittag sind in mehreren Städten Frankreichs Demonstrationen angekündigt. Auch Chefs der großen Parteien haben sich angekündigt.