Hat der Wii-Faktor Zukunft?
Über das händewedelnde Spielen
Nun ist sie da, die angebliche „Revolution des Videospielens“: Nintendos Wii-Wagnis. Und der Nachfolger des GameCubes verkauft sich, kurz vor Weihnachten, erwartungsgemäß gut. Mehr als eine Million Geräte wurden bisher allein in den USA (Launch: 19.11.) und Japan (02.12.) abgesetzt und auch Europa (08.12.) hat angebissen: 325.000 Geräte in zwei Tagen, Ausverkauf in Deutschland nach wenigen Stunden.
Nintendos Ziel bis Jahresende vier Millionen Wiis verkauft zu haben, scheint durchaus möglich. Das Kiotoer Unternehmen hat einen Start hingelegt, den die Konkurrenz sicher nicht gefeiert hat: In vielen Haushalten hat Nintendos neueste Vorstellung vom Videospielen eine Lücke gefüllt. Obwohl Xbox 360 und PlayStation 3 technisch in einer anderen Liga spielen, erwägen die wenigsten Gamer (22% der Bevölkerung in Deutschland) die Anschaffung eines zweiten Systems - zumal Dritthersteller gewinnbringende Titel oft plattformübergreifend anbieten.
Dass der Spieler ein neugieriges Wesen mit Lust auf Innovationen ist, konnte Nintendo vor einem Jahr beweisen. Den Siegeszug der Spielkonsole Nintendo DS, deren Touchscreen-Funktion dem Spieler technisch ähnlich-direkte Eingriffmöglichkeiten ins Spiel bietet wie die Wii-mote-Zeigesteuerung, hatten wenige Marktstrategen erwartet.
Der Wii (-Konsole) wohnt generell ein verwandter Geist inne. Sie ist eine Plattform, deren Idee ohne Umweg auf den Spielspaß des Konsumenten zielt, statt multimediales Highstandard-Zentrum weiterer Interessen zu sein.
Dass Telefone Fotos schießen und Musik abspielen, führt zu zwei gegensätzlichen Positionen des Konsumverhaltens, deren tendenzielle Gewichtverteilung schwer absehbar ist: Während der eine Nutzer komplexe All-in-one-Produkte sucht, ist der andere von unterschiedlichen Funktionen überfordert, an ihnen desinteressiert oder er bevorzugt ein spezielles Basisgerät pro Medium.
Die Wii ist zwar auch onlinefähig und es lassen sich Daten wie alte Super Nintendo- oder N64-Games laden, ist aber mehr Spielzeug als Hightechgerät, was auch in der Natur der Firma Nintendo liegt.
1889 als Spielkartenhersteller gegründet steigt das Kiotoer Unternehmen Mitte der 1970er in die Unterhaltungselektronik ein, wird einerseits Erfinder des Game Boys und verliert anschließend, mit dem Verschlafen der CD-Rom-Elektronik beim Nintendo 64, die Marktführung an Sony. Als erfinderisch bekannt, lag Nintendo mit übereilten Zukunftsvisionen wie dem Virtual Boy (1995) auch schon mal arg daneben.
Demgegenüber stehen der weltweit größte Betriebssystemhersteller Microsoft, sowie der mächtigste Elektrokonzern Japans, Sony. Der Konzerncharakter der Xbox 360 zeigt sich in der multimedialen Vernetzung von Soft- und Hardware, der Vision eines naht- und drahtlos zusammenhängenden Haushalts mit der Xbox als einer der Knotenpunkte. In Sonys PS3 arbeitet hingegen ein Blu-ray-Laufwerk für die mögliche nächste Generation der Speicher- und Filmformate sowie Technik vom Feinsten, die auch in Jahren noch konkurrenzfähig sein wird.
Die Vereinfachung der Spielsteuerung ist das besondere an der Wii, nicht die Grafik. Neue Spielertypen will Nintendo aus der Gruppe bisheriger Nichtspieler herauslösen, u. a. die nicht zu unterschätzende Zahl von Ex-Spielern, die vor 20 Jahren Steuerknüppel und Feuerknopf bedienten und Klempner Mario gegen Donkey Kong die Stahlträger hoch schickten. Kaum einer war damals nicht fasziniert von dieser noch neuen Form der Unterhaltung.
Während jene Generation mehr und mehr Zeit im Beruf verbrachte, verkomplizierte sich die Steuerung und angesichts heutiger Joypads mit ihren zig Knöpfen, Schiebern und Hebeln fühlt sie sich entfremdet und höchstens zu Videospielemulatoren wie Mame oder Retro-Game-Compilations hingezogen. Die wenig lustige Lernphase einer komplexen Spielsteuerung von heute gleicht einer Barriere und obwohl das Medium eine leicht herzustellende Kontaktstelle zu den eigenen Kindern wäre, wird es in den seltensten Fällen zur gemeinsamen Beschäftigung sowie Chance des Einblicks in diesen von Außenstehenden als immer düsterer empfundenen Bereich genutzt.
All das soll Wii nun ändern, doch der Hardware muss auch Software folgen: Ankündigungen für unterschiedliche Genres klären noch nicht, was sich ändern wird. Der Wii-Faktor wird erst deutlich, wenn von bewegungsintensiven Fitnessspielen gesprochen wird – „Wii-mote“ (so der Name der Wi-Steuerung) als Sportgerätersatz.
Der ideelle Erfolg des Wii resultiert aus seinem kommerziellen und der daraus wachsenden Bereitschaft der Entwickler diese Grundlage für spannende Programme – nicht unbedingt nur Spiele im herkömmlichen Sinne – zu nutzen. Das, was größtenteils mit Wii-Release erschienen ist, könnte erst ein Vorgeschmack des Möglichen sein. Die Gefahr besteht jedoch, dass sich die Spielkonzepte auf Dauer zu ähnlich sind und zum gelegentlichen Partyspaß im Stile von EyeToy „verkommen“.
Wie die Wii ein neues Spielgefühl erzeugen kann, zeigen erst wenige Beispiele: So liefert Ubisoft mit der Minigame-Sammlung "Rayman Raving Rabbids" ein Spiel, das die Controller-Technik voll nutzt und mal mehr, mal weniger körperlich fordert. Die knapp 70 Disziplinen lassen sich einzeln anwählen oder als Turnier für bis zu vier Spieler zusammenstellen. Hohe Zielgenauigkeit wird verlangt, wenn im Moorhuhn-Stil Saugnapfpfeile nach den verrückten Comic-Hasen geschossen werden oder beim Kuhweitwurf zunächst der Controller wie ein Lasso geschwungen werden muss, um im richtigen Moment an der Abwurfstelle den Knopf am Wii-mote zu drücken.
Förmlich ins Schwitzen gerät man bei Minigames wie dem Strandwettrennen, das Titelheld Rayman erst läuft, wenn man wie ein Schlagzeuger die Wii-mote und den daran angeschlossenen zweiten Teil für die andere Hand, den Nunchak, so schnell wie möglich auf und ab bewegt. Erstaunlich, wie intuitiv der Umgang mit dem Controller ist: Zeigebewegungen auf den Bildschirm führt man so aus, als würde man mit einer Taschenlampe eine Stelle anleuchten.
Beim Shooter "Red Steel" hapert es jedoch mit der Präsentation, auch wenn das Ballerspiel aus der Ego-Perspektive zeigt, wozu die Steuerung fähig ist. Die bewaffnete Hand entspricht der Spielerhand, in der die Fernbedienung liegt, während der Nunchak für die sekundären Aktionen bewegt werden muss, sprich: Das Alter Ego lädt nach, öffnet Türen oder tritt Gegenstände, indem das zweite Controller-Teil kurz geschüttelt wird. Unintuitiv wirkt die Funktion des Heranvisierens entfernter Gegner, bei der der Spieler geradeaus in den Raum deuten muss.
Die Umsetzung einer Handvoll Sportarten funktioniert hingegen einwandfrei: "Wii Sports", Nintendos hauseigene Produktion, enthält virtuelles Tennis, Boxen, Bowling, Baseball oder Golf. Auslösende Aktionen erfolgen nicht, wie bei herkömmlichen Sportspielen, per lang oder kurz gedrücktem Knopfdruck, sondern sind z.B. bei Golf Resultat der realen Schwingbewegung – man empfindet den Moment des Abschlags als spannunglösendes Ergebnis körperlichen Einsatzes.
Doch die Wii wird erst zum Kultobjekt, wenn sie dem extrem ausbaufähigen, seit dem Schritt in die 3D-Grafik stagnierenden Medium einen Impuls gibt und ihm dahin hilft, wo Science-Fiction-Autoren es schon lange sehen. Allgemeine Grafikentwicklung ist zum Selbstläufer geworden; lange wird es nicht mehr dauern, bis dem Auge wirklich glaubwürdig künstliche Realität vorgetäuscht wird.
Die größte Herausforderung für Spieleentwickler ist es heute einen Weg zu finden, den Spieler mit der virtuellen Realität zu verschmelzen. Bevor das geläufige Joypad als lächerlich umständlich empfunden werden kann und der ganze Körper ins Spiel eingreift, ist das freie Manipulieren des aktiven Subjekts hinein in den virtuellen Raum über einen Gegenstand in der Realität (die Wii-mote) jedenfalls ein guter Anfang.