"Hat er wirklich geglaubt, ich sei schuldig?"
- "Hat er wirklich geglaubt, ich sei schuldig?"
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Dogan Akhanli ist frei. Über seine Verfolgung durch die Türkei hat er ein Buch geschrieben. Die große Welle der Solidarität zeigt, wie chancenlos der Versuch ist, repressiv auf das freie Wort zu reagieren. Ein Kommentar
September 2016: Das KulturForum Türkei Deutschland lädt zu einem Solidaritätsabend ins Literaturhaus Köln. Es soll ein Zeichen gesetzt werden für die in der Türkei inhaftierte (und heute in Deutschland lebende) Schriftstellerin Asli Erdogan. Auf der Bühne sitzt neben der damaligen SPD-Abgeordneten Lale Akgün, dem Schriftsteller Atilla Keskin, dem Journalisten Günter Wallraff und weiteren auch Dogan Akhanli und setzt sich für seine Kollegin ein.
Er liest aus einem Brief, den er ihr ins Frauengefängnis Bakirköy bei Istanbul geschickt hat. Dogan Akhanli hat selbst mehrfach in der Türkei in Haft gesessen. In den Siebzigern, in den Achtzigern (wo er gefoltert wurde) und erneut 2010. Die Anklagen gegen ihn waren nicht weniger hanebüchen als die gegen Asli Erdogan, in deren Fall die Anklageschrift großteils aus ihren eigenen Texten bestand.
Das ist in der Türkei üblich, dem, wie Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagt, "Land mit der freiesten Presse der Welt". Journalisten, die ihre Arbeit gut machen, werden zu Terrorunterstützern gestempelt und weggesperrt. In dem Land stand es noch nie sonderlich gut um die Meinungsfreiheit. Doch seit dem gescheiterten Putsch vom Sommer 2016 regiert endgültig die Willkür.
Wenn die Staatsmacht nicht loslässt
Ich lernte Dogan Akhanli 2011 kennen - nur wenige Monate nach seiner Rückkehr aus Istanbul, wohin er gereist war, um seinen todkranken Vater zu besuchen. Er wurde direkt am Flughafen festgenommen. Sein Vater starb, während er hinter Gittern saß, er erfuhr es aus der Zeitung. Warum saß er hinter Gittern?
Weil die Staatsanwaltschaft ihm vorwarf, im Jahr 1989 an einem Raubüberfall auf eine Wechselstube beteiligt gewesen zu sein, bei dem der Inhaber des Geschäfts erschossen wurde. Doch selbst als dessen Söhne Dogan vor Gericht zweifelsfrei entlasteten, gab die Staatsmacht nicht auf.
Der Prozess war eine Farce. Dogan, der von der Türkei bereits Ende der Neunziger ausgebürgert worden war, erregte die Gemüter der Mächtigen offensichtlich noch immer so sehr, dass sie diese aussichtslosen Angriffe gegen ihn fortführten. Warum? Zum Beispiel, weil er als Schriftsteller kritische Texte verfasst und sich nicht den Mund verbieten lässt.
Eines seiner Kernthemen ist der Genozid an den Armeniern, der in der Türkei bis heute geleugnet wird. Sein Buch "Die Richter des jüngsten Gerichts" war der erste türkische Roman, der den Völkermord in den Mittelpunkt stellte. Das Buch ist bis heute in der Türkei frei erhältlich. Dass sein Autor frei rumläuft, ist den reaktionären Kräften aber zu viel.
Und zwar so sehr, dass sie gar nicht daran denken, aufzugeben. An einem Samstagmorgen im August 2017, ich saß gerade beim Frühstück, trudelte via KulturForum Türkei Deutschland (mit dem ich auch zusammenarbeite) eine eilige Pressemitteilung ein: Dogan wurde festgenommen. In Spanien. Wo er mit seiner Lebensgefährtin einen ruhigen Urlaub verbringen wollte.
Offenbar hatten die türkischen Behörden den alten Haftbefehl von 2010 wieder aktiviert und via Interpol mit einem Dringlichkeitsvermerk, einer so genannten Red Notice versehen. Für die Polizei bedeutet das in der Regel: Der Gesuchte ist gefährlich und muss umgehend eingesackt werden.
Gefährliche Texte
Nun ist Dogan ein absolut friedfertiger und sanftmütiger Mensch. Was mich an ihm immer wieder erstaunt hat: Selbst angesichts solchen Unrechts habe ich ihn noch kein einziges Mal wütend oder aufgebracht erlebt. Er spricht mit leiser Stimme, wählt seine Worte mit Bedacht, lächelt viel. Unsere erste Begegnung bei einer Lesung in Köln begann und endete mit einer Umarmung.
Nein, gefährlich ist Dogan nicht. Gefährlich aber können seine Texte für ein gewisses Klientel sein, das Verbrechen nicht nur leugnet, sondern auch selbst begeht. Es ist kein Wunder, dass Schriftsteller und Journalisten stets die ersten sind, denen repressive und faschistische Staatssysteme an den Kragen wollen.
Die spanischen Polizisten konnten das freilich nicht wissen. In seinem gerade erschienen Buch "Verhaftung in Granada oder Treibt die Türkei in die Diktatur?" beschreibt Dogan die ratlosen Blicke der Beamten, die offenbar einen bewaffneten Terroristen erwarten, denen stattdessen ein verschlafener Schriftsteller im Morgenmantel die Tür seines Hotelzimmers öffnet. Dass sie so genau wussten, wann er sich wo aufhält, nährt zudem den Verdacht, dass er schon in Deutschland bespitzelt wurde.
Interpol wie einen Spamordner mit zehntausenden Haftbefehlen zugemüllt
Später stellte sich heraus, dass die deutschen Behörden von der Interpol-Fahndung wohl wussten, es aber nicht für nötig erachteten, ihn zu warnen. Viele Kollegen haben seither eine Selbstauskunft bei Interpol beantragt. Es ist kein Geheimnis, dass die türkischen Behörden Interpol wie einen Spamordner mit zehntausenden Haftbefehlen zugemüllt haben, seit die Säuberungen gegen Regimegegner im Jahr 2016 richtig Fahrt aufnahmen.
Diese Mail am Samstagmorgen, nur wenige Stunden nach Dogans Festnahme, ließ mich erschaudern. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass das wirklich geschah, dass es sich nicht um ein Missverständnis handelte. Warum zum Teufel schon wieder? Warum wieder Dogan? Können sie ihn nicht endlich in Ruhe lassen?
Ich klemmte mich ans Telefon, leitete die Mitteilung an Redaktionen und Kollegen weiter, versuchte, Dogans Anwalt Ilias Uyar zu erreichen - der bereits auf dem Weg nach Madrid war. Ich sammelte alle Informationen, die ich kriegen konnte und schrieb noch am Mittag zwei Artikel, und ich war längst nicht der einzige. Zahlreiche Kollegen im ganzen Land reagierten ähnlich.
Am Abend war Dogan das Top-Thema in den deutschen Medien und der Aufmacher der Tagesschau.