"Hat er wirklich geglaubt, ich sei schuldig?"
Seite 2: Ein schlechter Scherz des Rechtssystems
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Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel, der gerade in Spanien bei seinem Amtskollegen weilte, schaltete sich ein. Und so gelang es, dass Dogan nach nur einer Nacht im Gefängnis wieder auf freien Fuß kam, allerdings mit der Auflage, Spanien bis zur Klärung der Angelegenheit nicht zu verlassen. Die Türkei wurde nun aufgefordert, den Haftbefehl und die Red Notice zu begründen.
Auch das so ein schlechter Scherz des Rechtssystems: Eine Red Notice wird erstmal weder begründet noch überprüft. Die Behörden gehen einfach davon aus, dass das schon seine Richtigkeit hat. Dass das türkische Auslieferungsersuchen aussichtslos ist, dürfte man auch in Ankara sofort begriffen haben. Also ließ man sich dort mit einer Antwort wochenlang Zeit, die Dogan in einer Wohnung des Goethe Instituts verbrachte.
Nun war wiederum ich es, der gemeinsam mit Bettina Fischer vom Kölner Literaturhaus kurzfristig einen Termin für einen Solidaritätsabend anberaumte - im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Stimmen der Freiheit", bei der wir regelmäßig und an unterschiedlichen Orten Texte von in der Türkei verfolgten oder inhaftierten Kollegen vortragen. Ich rief Freunde von Dogan an: Günter Wallraff, Osman Okkan, die Grünen-Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz, den Musiker Ulrich Klan, Dogans Anwalt Ilias Uyar - und alle sagten sofort zu.
Es war uns dabei nicht nur wichtig, ein Zeichen für Dogan zu setzen, so wie Dogan selbst und viele der Beteiligten es fast genau ein Jahr zuvor für Asli Erdogan getan hatten. Sondern es war auch wichtig zu hinterfragen, wie es sein kann, dass das türkische Regime seine Gegner bis nach Europa verfolgen kann und dabei noch Amtshilfe von hiesigen Behörden erhält.
Erdogans Vorhaben geht nach hinten los
Wie im Vorjahr war das Literaturhaus bis auf den letzten Platz besetzt, und noch auf der Straße standen Menschen, um den Sprechern zu lauschen. Das allein war eine immens wichtige Message, dieses enorme Publikumsinteresse.
Es zeigte, dass Erdogans Vorhaben, seine Kritiker verstummen zu lassen, völlig nach hinten losgeht, dass er mit den Repressionen sogar das genaue Gegenteil erreicht: Mit jedem Angriff werden die Stimmen von Dogan Akhanli, Asli Erdogan und weiteren nur lauter, werden von immer mehr Menschen gehört.
Es war ein erleichternder Moment, als dann im November beide, Dogan und Asli Erdogan, gemeinsam auf der Bühne des Kölner VHS Forums saßen, in Freiheit, und über ihre Haftbedingungen ebenso sprachen wie über die Lage in ihrem Heimatland.
Dogan selbst wird dabei nicht müde, auf die teils haarsträubenden Widersprüche hinzuweisen. Zum Beispiel auf die Tatsache, dass er verfolgt wird, man seine Bücher in der Türkei aber problemlos kaufen kann. Wobei sein dortiger Verleger sich bislang zurückhaltend zeigt, was eine türkische Ausgabe von "Verhaftung in Granada" angeht. Der Druck nimmt zu.
Der jetzt auch verfolgte Staatsanwalt
Oder auch dies: Celal Kara, der Staatsanwalt, der 2010 so erpicht darauf war, Dogan hinter Gitter zu bringen, steht heute selbst auf Erdogans Fahndungslisten. Er soll zur Gülen-Bewegung gehören. Und er soll sich nach Deutschland abgesetzt haben. Auch ihn wollte Erdogan via Interpol ausliefern lassen, bislang ebenfalls erfolglos.
Und Dogan? "Ich würde gerne mit ihm sprechen", sagt er. "Ihn fragen, welche Motivation die Anklage damals hatte. Selbst als alle Anklagepunkte entkräftet waren, gab er nicht auf. Hat er wirklich geglaubt, ich sei schuldig? War es der Ehrgeiz, über das Schicksal eines Menschen bestimmen zu können? Mir ist das ein Rätsel. Und ich würde ihn gerne fragen, was er heute für ein Gefühl hat, wo er selbst verfolgt wird."
"Wir sind ja nicht zum Spaß hier"
Von Deniz Yücel erschien aktuell ein Buch mit Titel: "Wir sind ja nicht zum Spaß hier". Mit vielen Texten der letzten Jahre - einige davon finden sich auch in der Anklageschrift wieder, die ihm "Terrorpropaganda" vorwirft. Andere der Texte konnte Deniz Yücel aus dem Gefängnis schmuggeln.
Diese Bücher sind so lesenswert wie auch die unzähligen anderen Bücher, die im Laufe der letzten hundert Jahre in türkischen Gefängnissen entstanden. Denn sie stellen jene bloß, die das freie Wort um ihrer Macht willen bekämpfen. All diese Despoten sind gescheitert, viele sind nur noch Randnotizen in Geschichtsbüchern. So wird es auch jenen ergehen, die heute ihre Macht überschätzen.
Inzwischen ist auch Deniz Yücel frei. Aber 160 Journalisten sind noch in Haft, und mit ihnen zehntausende Bürger. Es wird noch viele Botschaften der Solidarität brauchen.