Hat jede Technologie ihre eigene Ideologie?

Stellen die technischen Ideologien den Nationalstaat in Frage?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 4. März erhielt eine Pro-Auto-Partei in Amsterdam 2,2 Prozent der Stimmen bei den Kommunalwahlen. Mokum Mobiel hat jetzt einen Sitz im Stadtrat. Eine ähnliche Partei, Nederland Mobiel, gewann bis zu 5,4 Prozent der Stimmen in anderen Städten, obgleich sie erst vor zwei Monaten gegründet wurde. Das sind natürlich nicht die ersten Pro-Auto-Parteien in Europa, und daher sind die Ergebnisse mehr als nur ein Lokalereignis. Sie weisen auf fundamentale ideologische und nationale Fragen hin.

Wenn Menschen eines Tages beginnen werden, einander zu töten, wird der Krieg wahrscheinlich nicht um Identität, Land, Gerechtigkeit oder Religion geführt werden, sondern um Technologie. Sie bietet eine Auswahl verschiedener Welten an. Eine Auto-Welt unterscheidet sich grundsätzlich von einer Eisenbahn- oder einer Fahrradwelt. Der Unterschied ist größer als der zwischen einer muslimischen und einer katholischen Welt oder zwischen dem Stalinismus oder dem Thatcherismus. Die meisten Menschen beachten diese möglichen Welten nicht, und die Nationalstaaten unterstützen sie dabei, sie nicht wahrzunehmen.

Die Wirklichkeit ist, daß jeder Nationalstaat eine nationale Technologie besitzt, ebenso wie er eine Nationalsprache und einen Nationaldichter hat. In Europa haben alle Staaten dieselbe nationale Transporttechnologie: das Auto. Ich kenne keine politische Gruppe in Europa, die die Abschaffung des Autos vorschlägt.

Man sollte denken, daß diese außergewöhnliche Übereinstimmung für die Autolobby ausreichend wäre, aber das ist offensichtlich nicht der Fall. Es reicht nicht, daß 80 Prozent der Personenbeförderung in der EU mit dem privaten Auto geschieht und daß alle europäischen Städte für die automobile Gesellschaft umgebaut wurden. Sie wollen kostenlos parken und Benzin ohne Steuern. Es reicht nicht, daß Amsterdam 25000 Parkplätze unter den Kanälen plant: Mokum Mobiel will auch den ganzen Platz darüber haben.

So untergraben sie die Rechtfertigung des Parkplatzprojekts unter dem Wasser. Für die Stadt ist das "eine Restaurierung der historischen Stadtlandschaft". Und ganz allgemein bedrohen die Pro-Auto-Parteien den Pro-Auto-Konsens in Nationalstaaten. Ihre Existenz fordert eine Anti-Auto-Partei oder eine Anti-Eisenbahn-Partei heraus. Das würde die Auswahl an Technologien sichtbar machen. Wenn eine Wahl explizit getroffen wird, dann kann sie auch hinterfragt werden.

Solange das Auto aus der politischen Arena herausgehalten wird, ist die "automobile Gesellschaft" kein politisches Thema. Pro-Auto-Parteien erinnern die Menschen daran, daß dies eine politische und keine unvermeidbare historische Entwicklung ist. Das ist die schlechtest mögliche Strategie für die Autolobby. Wenn der nationale Konsens hinsichtlich der Beförderungspolitik aufbricht, wird sie der Verlierer sein. Und dies um so mehr, weil Technologien oft inkompatibel sind, zumindest auf demselben Territorium. Bestimmte Territorien für bestimmte Technologien sind mit dem Ideal einer nationalen Straßeninfrastruktur unvereinbar. Nicht nur das Auto, sondern auch der Nationalstaat wird in einer Welt mit vielen Technologien zum Verlierer.

Jede Technologie hat ihre Ideologie und jede Technologie ihre Partei: das ist das Ende des "Endes der Ideologie". Eine Autopartei, eine Eisenbahnpartei, eine Ölpartei, eine Gaspartei, eine hydroelektrische Partei, eine Solarpartei: Ich glaube nicht, daß der Nationalstaat das überleben würde. Und weil der Nationalstaat nicht so tot ist, wie manche behaupten, sage ich voraus, daß die Pro-Auto-Parteien sich zu allgemeinen lokalen Parteien entwickeln, mit den konservativ-liberalen Parteien verschmelzen oder einfach wieder verschwinden werden.

National Orders of Technology
How the car won the anti-road campaign

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer