Hauptsache nikotinabhängig - ein notwendiger Nachtrag zum diesjährigen Weltnichtrauchertag

Seite 2: Effekte einer Beendigung des Rauchens

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Angesichts dieser großen Anzahl von wissenschaftlichen Befunden über krankmachende Wirkungen des Tabakrauchens ist es nicht verwunderlich, dass die Beendigung des Rauchens mit günstigen, ja dramatischen Effekten verbunden ist. Die oben genannte britische Ärztestudie hat in ihrem 50-jährigen Follow-up die Überlebenskurven von Zigarettenrauchern, die das Rauchen aufgaben, mit solchen verglichen, die weiter rauchten. Bei Personen, die vor dem 35. Lebensjahr das Rauchen beendeten und bis dahin keine gravierenden Erkrankungen wie Krebs oder eine Herz- oder Lungenerkrankung entwickelt hatten, wurden Überlebenskurven festgestellt, die sich nicht signifikant von denjenigen unterschieden, die niemals rauchten.

Der positive Effekt einer Beendigung des Rauchens lässt sich am besten veranschaulichen, wenn man, wie in der britischen Ärztestudie dargestellt, ein bestimmtes Alter betrachtet. So sind zum Beispiel im Alter von 70 Jahren unter den Rauchern nur noch 60 Prozent am Leben im Vergleich zu mehr als 80 Prozent derjenigen, die das Rauchen bis zum 45. Lebensjahr aufgegeben hatten.

Sogar im Alter von 90 Jahren ist ein Unterschied noch feststellbar. Hier sind nur noch ungefähr 5 Prozent der Raucher am Leben verglichen mit etwa 25 Prozent derjenigen, die bis zum Alter von 35 Jahren das Rauchen aufgegeben haben. Für die Personen, die sich später zu einem Rauchstopp entschlossen hatten, zeigt die britische Ärztestudie Überlebenskurven, die dazwischen liegen. Sogar ein Rauchstopp im mittleren Alter führt noch zu einer deutlichen Lebensverlängerung.

Aus der britischen Ärztestudie ist weiter abzuleiten, dass durch einen Rauchstopp das Krankheitsmuster im Laufe der folgenden 20 bis 25 Jahre zum Günstigen hin verändert wird.34 Auch deshalb sollten rauchende Erwachsene und insbesondere auch Kinder angehalten werden, das Rauchen so schnell wie möglich zu beenden.

Weitere Belege für günstige Effekte durch die Beendigung des Tabakrauchens gibt es vor allem für chronische Herz-Kreislaufkrankheiten und Schlaganfall.35 So sinkt das durch Rauchen bedingte zusätzliche Risiko in Bezug auf Herzinfarkt und Schlaganfall innerhalb von zwei Jahren nach Rauchstopp um etwa 50 Prozent ab.

Schäden durch Passivrauchen

Auch Passivrauchen bedeutet ein erhebliches Gesundheitsrisiko.36 Passivrauch besteht zu 15 Prozent aus Hauptstromrauch und 85 Prozent aus Nebenstromrauch. Letzterer entsteht bei niedrigeren Verbrennungstemperaturen als der Hauptstromrauch und enthält dadurch mehr toxische und krebserregende Stoffe.

Allein zum Thema Passivrauchen und KHK liegt eine Reihe von epidemiologischen Studien vor, aus denen sich ableiten lässt, dass bei Nierauchern zum Beispiel ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko für eine KHK besteht, wenn sie mit einem Raucher zusammenleben.37 Auch die Lungenkrebsrate ist bei Passivrauchern um etwa 30 Prozent erhöht gegenüber Nierauchern, die nicht exponiert sind.

Eine 2005 veröffentlichte Studie hat ergeben, dass in Deutschland pro Jahr etwa 3300 Menschen verstarben, zwei Drittel davon Frauen, weil sie Passivrauch ausgesetzt gewesen sind, der weitaus größte Teil davon auf Grund von Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Aber auch 263 Todesfälle von Lungenkrebs bei Nierauchern wurden dazu gerechnet.38

Gesundheitliche Folgen des Shisha-Rauchens

Das Rauchen von Wasserpfeifen (Shishas) war ursprünglich im Nahen Osten unter älteren Männern verbreitet und hat in den letzten Jahren auch in Deutschland unter jungen Menschen viele Anhänger gefunden.39 Etwa ein Drittel der 12- bis 17-Jährigen, Jungen häufiger als Mädchen, hat schon einmal eine Shisha geraucht.

Der Rauch des stark aromatisierten und befeuchteten Wasserpfeifentabaks (Maassel) enthält neben dem Nikotin viele der oben genannten Giftstoffe und krebserregenden Substanzen wie Kohlenmonoxyd (CO), polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, tabakspezifische Nitrosamine, Aldehyde wie zum Beispiel Formaldehyd, Benzol und Schwermetalle wie Nickel, Chrom und Blei. Schadstoffe wie CO sind im Wasserpfeifenrauch in größerer Menge enthalten als im Zigarettenrauch, sodass CO-Vergiftungen häufig sind. Das langfristige Gefährdungspotential ist mit dem des Tabakrauchens vergleichbar und als sehr hoch einzuschätzen.40

Shisha-Rauchen erfolgt nicht täglich, sondern meist gelegentlich in der Gruppe. Der Shisha-Nutzer nimmt eine deutlich größere Menge Rauch pro Zug auf als bei der Zigarette. Bei einer Shisha-Sitzung (Dauer 30 bis 60 Minuten) zieht er mehr als 100 Mal an der Pfeife. Dagegen wird eine Zigarette in 11 bis 15 Zügen innerhalb von 5 bis 10 Minuten geraucht. Daraus ergibt sich, dass der Shisha-Konsument pro Sitzung wesentlich mehr Nikotin aufnimmt als beim Rauchen einer Zigarette.41

Eine Wasserpfeifensitzung entspricht dem Rauch von 100 Zigaretten.42 Mit dem Rauch von Shishas gelangen außerdem viele Schadstoffe in die Raumluft, insbesondere große Mengen CO. Dadurch ist passives Shisha-Rauchen noch gefährlicher als normales Passivrauchen, ruft häufig Atembeschwerden hervor und verstärkt die Gefahr einer CO-Vergiftung.

Tabakabhängigkeit

Wenn man sich diese Tatsachen vor Augen führt, ist es eigentlich unverständlich, dass so viele Menschen trotzdem an der Zigarette hängen und sich täglich durch Tabakrauchen schwere Gesundheitsschäden zufügen und damit ihr Lebenserwartung um viele Jahre verkürzen. Der wichtigste Grund dafür ist, dass das Tabakrauchen abhängig macht.

Die Abhängigkeit beziehungsweise Sucht durch das Rauchen von Tabakwaren enthält eine physische (körperliche) und eine psychische (seelische) Komponente.43 Entscheidend für die physische Komponente ist die Wirkung des im Tabak enthaltenden Nikotins auf das Gehirn. Dort bindet sich Nikotin an bestimmte Rezeptoren, stimuliert die Freisetzung des Botenstoffs Dopamin im Belohnungszentrum und löst damit im Gehirn ein Wohlgefühl aus.

Das ist der erste Schritt zur Abhängigkeit, denn das Wohlgefühl fördert den weiteren Nikotinkonsum.

Im weiteren Verlauf gewöhnt sich das Gehirn schnell an den regelmäßigen Nikotinkonsum und die Nikotinrezeptoren werden unempfindlicher.44 Die dadurch entstehende so genannte Toleranz macht es schwieriger, das Belohnungszentrum im Gehirn zu stimulieren, so dass größere Mengen Nikotin erforderlich werden, um das angestrebte Wohlgefühl auszulösen.

Parallel zur Entstehung der Toleranz werden neue Nikotin-Rezeptoren im Gehirn ausgebildet.45 Der dadurch entstehende Überschuss an Rezeptoren verursacht Entzugserscheinungen wie Reizbarkeit, Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit, innere Unruhe und Angstzustände, sobald eine bestimmte Anzahl der Rezeptoren nicht mit Nikotin besetzt sind. Das ist schon 4 bis 6 Stunden nach dem letzten Nikotinkonsum der Fall.

Nikotin stimuliert außerdem Hirnbereiche, die für das Lernen und die Gedächnisbildung zuständig sind.46 Dadurch entsteht die psychische Abhängigkeit. Rauchen und die als positiv wahrgenommene Wirkung, das Wohlgefühl, werden mit bestimmten Situationen, Wahrnehmungen und Zuständen wie Stresserfahrungen oder Traurigkeit in Zusammenhang gebracht.

Die Tasse Kaffee am Morgen, ein gutes Essen oder ein Gespräch mit Freunden, der Geruch des Tabakrauches oder eine traurige Stimmung sowie Stressbelastungen können beim Raucher den drängenden Wunsch nach einer Zigarette, das so genannte Craving, auslösen. Diese psychischen Abhängigkeitssymptome, man spricht von einer Konditionierung, addieren sich in aller Regel zu der oben beschriebenen physischen Abhängigkeit.

Ob und wie schnell sich dieser Abhängigkeitsprozess entwickelt, ist von inneren und äußeren Faktoren bei den Betroffenen abhängig. Man muss davon ausgehen, dass mindestens die Hälfte der etwa 14 Millionen Raucher in Deutschland nikotinabhängig ist, sodass bei ihnen eine Tabakabhängigkeit (ICD-10, Kapitel F 17.) besteht.

Dabei handelt es sich bei uns in Deutschland wahrscheinlich um die häufigste seelische Störung. Der Prozess der Abhängigkeitsentwicklung beim Tabakrauchen erfolgt relativ schnell. Mehr als 20 Prozent der 12 bis 13 Jahre alten "Probierer" weisen auch bei nur gelegentlichem Rauchen innerhalb von 4 Wochen erste Symptome der Tabakabhängigkeit auf.

Die Mehrheit der Raucher würde gern das Rauchen dauerhaft aufgeben, und jedes Jahr versucht das etwa die Hälfte der Raucher.47 Aber nur 6 Prozent davon sind nach einem Jahr noch abstinent. Die meisten Raucher benötigen mehrere Versuche, um das Tabakrauchen endgültig zu beenden und viele schaffen es trotz ärztlicher oder psychologischer Unterstützung nicht. Das zeigt, dass die Schwierigkeit, eine Nikotinabstinenz zu erreichen und diese aufrechtzuerhalten, mit der Schwierigkeit der Abstinenz bei anderen Drogen wie Heroin, Kokain oder Alkohol vergleichbar ist.48

Taktik der Verschleierung durch die Tabakindustrie

Ein großer Teil der oben aufgelisteten Tatsachen ist seit Jahrzehnten bekannt, trotz massiver Einflussnahme der Tabakindustrie. Diese erfolgte, wie Christian Kreiß in seinem Buch "Gekaufte Forschung" im Abschnitt über die Tabakindustrie detailliert aufzeigt, mehr als 50 Jahre lang mit einer Taktik der Verschleierung.49 Dazu gehören auch die Bestechung von Wissenschaftlern wie im Fall des schwedischen Forschers Ragnar Rylander und die systematische Einflussnahme der Tabakkonzerne auf die Wissenschaft einschließlich der Fälschung von Daten und der Verkündigung von Lügen. Hier hat sich Philip Morris, der weltweit größte privatwirtschaftliche Tabakkonzern, besonders hervorgetan.

Eine der in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Lügen war, dass die Chefs der Tabakkonzerne in den USA 1994 vor dem US-Kongress unter Eid aussagten, Nikotin mache nicht abhängig, obwohl sie seit vielen Jahren in firmeneigenen Laboratorien Forschungen mit dem Ziel betrieben hatten, das Abhängigkeitspotential des Nikotin in den Zigaretten durch bestimmte Zusatzstoffe zu erhöhen (siehe oben).

Weiterhin berichtet Kreiß über den US-Gerichtsprozeß gegen die Tabakindustrie in den Jahren 2004 bis 2006, der der bisher größte Wirtschaftsprozess in der US-Geschichte gewesen ist.50 Die damalige US-Regierung unter Präsident Clinton hatte 1999 angekündigt, sie werde von den führenden Tabakkonzernen Hunderte Milliarden Dollar zurückfordern, die mittels staatlicher Gesundheitsprogramme für die Behandlung tabakbedingter Krankheiten aufgewendet worden waren.

Die Tabakindustrie wurde in diesem Prozess schließlich vom Gericht schuldig gesprochen. In der Urteilsbegründung im August 2006 bezeichnete die Bundesrichterin Gladys Kessler die Tabakkonzerne als eine "kriminelle Vereinigung" und als eine "Verbrecherorganisation", die "strukturell lüge und betrüge".51 Die Worte "lügen" und "betrügen" würden sich ebenso durch die 1700 Seiten starke Urteilbegründung ziehen wie "fälschen" und "manipulieren", schreibt Kreiß in seinem Bericht über diesen Prozess.

Trotzdem waren die gegen die Tabakkonzerne verhängten Geldstrafen lächerlich gering. Ursprünglich wollte das US-Justizministerium alle Gewinne einschließlich der Zinsen, die dieses Kartell mit seinen illegalen Manipulationsstrategien seit 1954 erwirtschaftet hatte, abschöpfen. Diese Summe wurde auf 742 Milliarden Dollar (!) geschätzt. Dank guter Beziehungen zur Politik mussten die Konzerne während der Regierungszeit von George W. Bush zuletzt keinen Cent Strafzahlung leisten. Die Tabakindustrie musste lediglich die Prozesskosten übernehmen.