Hauptsache nikotinabhängig - ein notwendiger Nachtrag zum diesjährigen Weltnichtrauchertag

Seite 3: Gefährdungspotential von E-Inhalationsprodukten

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Wenn nun von Seiten der Tabakindustrie, wie es seit einer Reihe von Jahren der Fall ist, Alternativen zu den herkömmlichen Tabakwaren in Form von E-Inhalations-produkten auf den Markt gekommen sind, deren Konsum angeblich weniger schädlich sein soll als das Tabakrauchen, dann wird man als kritischer Mediziner zunächst sehr skeptisch sein und sich fragen: Was sind das für neue Produkte und was wissen wir über das tatsächliche Gefährdungspotential? Und: Warum kommen diese Produkte zum jetzigen Zeitpunkt auf den Markt?

E-Zigaretten

E-Inhalationsprodukte, und dazu gehören vor allem E-Zigaretten, aber auch E-Shishas, E-Zigarren und E-Pfeifen, haben alle den gleichen Grundaufbau.52 Sie bestehen aus einem Mundstück, einer Stromquelle in Form einer Batterie oder eines Akku, einem elektrischen Heizelement, das als Verdampfer fungiert, und einer Kartusche für die verdampfende Flüssigkeit (Liquid), die in der Regel aus Propylenglykol und/oder Glyzerin, verschiedenen Aromen und meist auch Nikotin besteht. Das Liquid wird unter Wärmeeinwirkung vernebelt und das dabei entstehende Aerosol wird wie beim Tabakrauchen inhaliert. Somit findet im Gegensatz zu konventionellen Zigaretten bei E-Zigaretten keine Tabakverbrennung statt.

Deshalb dürften E-Zigaretten im Vergleich zu Tabakzigaretten wahrscheinlich weniger schädlich sein, aber sie sind auch keine harmlosen Lifestyle-Produkte. Um welche Größenordnung E-Zigaretten tatsächlich weniger schädlich sind als Tabakzigaretten, lässt sich derzeit nicht genau sagen, denn es fehlen Langzeit-Untersuchungen, analog zum Beispiel der britischen Ärztestudie für Tabakprodukte, um diese Frage zu beantworten.

Die meisten Stoffe, die bei dem Gebrauch von E-Zigaretten inhaliert werden, gelten für die orale Aufnahme als unbedenklich.53 Dies gilt aber nicht zwangsläufig für die inhalative Aufnahme dieser Stoffe über die Lungen. So gilt der Hauptbestandteil des Aerosols, das Propylenglykol, zwar bei oraler Aufnahme als unbedenklich, vernebelt löst es aber Augen- und Atemwegsirritationen aus. Auch die Aromen sind bei oraler Aufnahme unbedenklich, es fehlen jedoch toxikologische Daten für die inhalative Aufnahme.

Manche der in E-Zigaretten verwendete Aromen, wie zum Beispiel Zimtaldehyd, haben jedoch eine allergene Wirkung, und andere, wie zum Beispiel Diacetyl oder Acetylpropionyl, können Atemwegserkrankungen verursachen.54 Nikotin macht einerseits abhängig, anderererseits gibt es neuere Daten, dass Nikotin im Verdacht steht, Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 und Krebserkrankungen zu fördern und besonders in der Schwangerschaft und Adoleszenz bedenklich sei.55

Daneben finden sich im Aerosol von E-Zigaretten unterschiedliche Konzentrationen von krebserregenden Substanzen wie Formaldehyd, Acetaldehyd, Benzol und Nitrosamine. Diese Substanzen liegen dort in sehr geringen Konzentrationen vor und entstehen zum Teil erst bei der Verdampfung. Für ein solches Gemisch verschiedener krebserregender Stoffe gibt es jedoch keinen Schwellenwert, unterhalb dessen eine krebserregende Wirkung auszuschließen wäre.

Auf Grund dieser Daten mögen E-Zigaretten für Tabakraucher eine weniger schädliche, aber keineswegs harmlose Alternative sein.56 Langzeit-Untersuchungen über die Auswirkungen dieser Substanzen liegen jedoch nicht vor.

Auch ist zum jetzigen Zeitpunkt eine wissenschaftliche Aussage zum Nutzen von E-Zigaretten in der Tabakentwöhnung nicht möglich, da es bisher nur wenige aussagefähige Studien zu dieser Fragestellung vorliegen und diese keinen überzeugenden Evidenzgrad (Beweisgrad) aufweisen.57

Im Unterschied dazu wird in einer aktuellen Studie zu dieser Frage die Auffassung vertreten, dass zwar noch kein endgültiger Nachweis für die Wirksamkeit von E-Zigaretten als ein effektives Mittel für die Tabakentwöhnung vorliege, aber die Mehrheit der Studien auf einen positiven Zusammenhang zwischen der Nutzung der E-Zigaretten bei der Tabakentwöhnung und dem Erfolg von damit unterstützten Rauchstoppversuchen hinweise.58

Problematisch ist der weit verbreitete gleichzeitige Konsum von Tabak- und E- Zigaretten.59 Rund 70 Prozent der Konsumenten von E-Zigaretten verwenden beide Produkte. Wie viele Raucher aus diesem dualen Gebrauch zu Tabakzigaretten zurückkehren, wie viele dabeibleiben, wie viele auf den alleinigen Konsum von E-Zigaretten umsteigen oder letztlich auf jeglichen Konsum verzichten, ist völlig unklar.

Unter gesundheitspolitischen Gesichtspunkten bringt aber möglicherweise nur der vollständige Umstieg auf E-Zigaretten einen Vorteil, denn neuere große Kohortenstudien weisen darauf hin, dass eine Verminderung des Zigarettenkonsums im Vergleich zu unvermindertem Weiterrauchen das Sterblichkeitsrisiko nicht eindeutig senkt.60 Das langfristige Gesundheitsrisiko könnte bei dualen Konsumenten sogar größer sein, wenn diese jahrelang parallel zum E-Zigaretten-Gebrauch zwar weniger, aber kontinuierlich Tabakzigaretten weiterrauchen, anstatt ganz mit dem Rauchen aufzuhören.

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 20 Jahren liegt auch in Deutschland der Gebrauch von E-Zigarette und E-Shisha im Trend (22). Der "Probierkonsum" ist hier mit fast 14 Prozent hoch, ein regelmäßiger Konsum ist allerdings selten.61 Jugendliche verwenden eher nikotinfreie als nikotinhaltige E-Zigaretten. 2017 war die Anzahl der E-Zigaretten-Konsumenten auf 3,7 Millionen angestiegen. Bei dieser Zahl wird aber nicht zwischen gelegentlichem und regelmäßigem Konsum unterschieden.

Dabei muss beachtet werden, dass sich grundsätzlich mit E-Zigaretten das Verhaltensmuster des Rauchens erlernen lässt.62 Außerdem kann eine Tabakabhängigkeit hervorrufen werden, wenn in den Liquids Nikotin enthalten ist, wie das bei erwachsenen Konsumenten in der Regel der Fall ist.

Ein wichtiger Aspekt ist, ob der Gebrauch von E-Inhalationprodukten Jugendliche, die nicht rauchen, dazu verleiten kann, mit dem Tabakrauchen zu beginnen. In einem umfangreichen Review-Artikel aus 2016 über die Häufigkeit des Gebrauchs von E-Zigaretten in verschiedenen Ländern weisen zwei Längsschnittstudien darauf hin, dass nicht-rauchende Jugendliche, die E-Zigaretten verwendet haben, später doppelt so häufig mit dem Rauchen beginnen wie Jugendliche, die keine E-Zigaretten konsumiert haben.63

Eine Studie über das Rauchverhalten von 6900 Schülern im Alter von 10 bis 18 Jahren ergab, dass 22 Prozent bereits E-Zigaretten konsumiert haben. Der Konsum ist bereits so verbreitet sind wie der von Tabakzigaretten. 23 Prozent haben Erfahrungen mit Shishas und 13 Prozent haben bereits alle drei Produkte konsumiert.64

Die Studie zeigt weiterhin, dass Werbung für E-Zigaretten Kinder und Jugendliche zum Rauchen verführt. Wer Werbung für E-Zigaretten kennt, raucht häufiger E-Zigaretten, aber auch andere nikotinhaltige Produkte wie Shishas und Tabakzigaretten.

Während noch vor 10 Jahren fast ausschließlich Tabakzigaretten geraucht wurden, sind heute Shishas, E-Zigaretten und E-Shishas von großer Bedeutung. Dabei halten viele Jugendliche E-Zigaretten (und Shishas) für unbedenklich.65

Der neueste gefährliche Trend aus den USA heißt "Juuling" und ist auch bei uns im Dezember 2018 auf den Markt gekommen. Die neue E-Zigarette "Juul" ist ein handliches Produkt, das aussieht wie ein USB-Stick, sich am Laptop elektrisch aufladen lässt, viel Nikotin enthält und so wenig Dampf verströmt, dass man es fast überall unbemerkt dampfen kann. Die Zahl der Schüler, die seit Markteinführung von Juuling in den USA E-Zigaretten dampfen, hat sich in nur 1 Jahr mehr als verdoppelt.

Das Gefährdungspotential des Passivdampfens

Beim "Dampfen" von E-Zigaretten gelangen mit dem ausgeatmeten Aerosol gesundheitsschädliche Substanzen wie Propylenglykol, Formaldehyd, Acetaldehyd, flüchtige organische Substanzen und Metalle in die Raumluft.66 Die Belastung ist zwar geringer als durch Tabakzigarettenrauch beim herkömmlichen Passivrauchen, wenn aber viele E-Zigaretten gleichzeitig gedampft werden, kann die Belastung der Raumluft auf hohe Werte ansteigen, wobei dann auch Nichtkonsumenten diese Schadstoffe einatmen können.

Dies könnte insbesondere für sensible Gruppen wie Kinder, Asthmatiker, Allergiker, Herzpatienten und Lungenerkrankte problematisch sein. Es liegen aber keine Studien vor, die es erlauben, die potentielle Gesundheitsgefährdung für passiv belastete Nichtkonsumenten abzuschätzen.

Gesetzliche Regelungen

Nach dem Jugendschutzgesetz ist in Deutschland seit 2016 Kindern und Jugendlichen der Erwerb und Konsum von E-Inhalationsprodukten verboten. Es ist aber nicht bekannt, wie gut diese Bestimmungen umgesetzt werden. Neben den schon erfolgten Werbeeinschränkungen und Qualitätsanforderungen sind weitere gesetzliche Regulierungen für den Gebrauch von E-Inhalationsprodukten unbedingt notwendig. Dazu gehört vor allem ein Nutzungsverbot in Nichtraucher-bereichen.67

Tabakerhitzer

Mit dem so genannten Tabakerhitzer namens IQOS (I-Quit-Ordinary-Smoking) wurde 2016 vom Philip Morris-Konzern ein neues Produkt als angeblich weniger schädliche Alternative zum Tabakrauchen auf den Markt gebracht. Zum Jahreswechsel 2017/2018 hat der Konzern den Vorsatz bekräftigt und verkündet, seine Gewinne in Zukunft ausschließlich mit risikoreduzierten Produkten wie IQOS zu erzielen.68 Am 6.1.2018 hat auch die Bildzeitung dieses angebliche Vorhaben von Philip Morris mit der Schlagzeile auf der ersten Seite "Abschied von der Kippe: Marlboro will keine Zigaretten mehr verkaufen" bundesweit bekannt gemacht.

Im IQOS werden spezielle Tabakstifte, so genannte "Heets from Marlboro", auf eine Temperatur von 350 Grad Celsius erhitzt. Das dabei entstehende Aerosol wird über ein Mundstück inhaliert. Im Vergleich zur Inhalation von nikotinhaltigem E-Zigaretten-Dampf beschleunigt angeblich das IQOS-Verfahren die Nikotinanflutung im Gehirn, sodass von den Nutzern eingefleischte Rituale wie die Raucherpause beibehalten werden können.69 Die Marlboro-Produzenten geben sich deshalb in ihrer Werbung davon überzeugt, dass Tabakerhitzer bei Tabakrauchern auf eine größere Akzeptanz stoßen werden als E-Zigaretten.

Das Suchtpotential in Form einer Tabak- beziehungsweise Nikotinabhängigkeit bleibt aber auch bei dem neuen Produkt der Tabakindustrie nicht nur erhalten, sondern es ist sogar möglicherweise noch verstärkt worden, da die Nikotinanflutung ja angeblich beschleunigt worden sei. Die Nikotinabhängigkeit ist offensichtlich die Hauptsache, um die es der Tabakindustrie geht, denn dadurch wird der langfristige Konsum dieses Produktes garantiert und der gleichzeitige duale oder alternative Konsum von Tabakzigaretten gefördert.

Zweifel an den Herstellerangaben, die von einem Rückgang des Schadstoffgehalts des Aerosols von Tabakerhitzern um 90 bis 99 Prozent gegenüber dem Tabakrauch sprechen, wecken vor allem die Ergebnisse einer Untersuchung, die im Mai 2017 in der Fachzeitschrift JAMA Internal Medicine erschienen ist.70 Diese Forscher fanden deutliche Diskrepanzen zu den Daten von Philip Morris zum Beispiel bei Schadstoffen wie den flüchtigen organischen Verbindungen, aber auch bei weiteren gefährlichen Substanzen wie Formaldehyd und Acrolein.

Dieselben Autoren weisen darauf hin, dass die IQOS-Aerosole zwar keine Verbrennungsprodukte enthalten, aber substantielle Mengen von potentiell schädlichen Chemikalien, die in einem Pyrolyse-Prozess entstanden sind.71 Unter Pyrolyse-Produkte sind Substanzen zu verstehen, die bei einer Erhitzung der Ausgangsstoffe ohne Sauerstoffzufuhr entstehen.

Ein derartiges Aerosol lässt sich nach den Autoren des oben angegebenen JAMA-Artikels auch als "Rauch" klassifizieren, so dass der "Dampf" des "Heat-not-burn"-Produktes von Marlboro nicht gänzlich als "rauchlos" zu betrachten ist.72 Dagegen vermarktet Philip Morris IQOS als "rauchfreies" Produkt, das einen nikotinhaltigen "Dampf" erzeugt.

Bislang gibt es nur wenige unabhängige Studien zum tatsächlichen Risikopotential der Tabakerhitzer73 Erwähnenswert ist jedoch, dass bei der 17. Tabakkontroll-Konferenz des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg im November 2017 Ergebnisse des Bundesinstituts für Risikoforschung (BfR) vorgelegt wurden.

Diese ergaben, dass für zwei Substanzklassen, die das Krebsrisiko beeinflussen, das Aerosol des IQOS-Systems im Vergleich zum Tabakrauch von herkömmlichen Tabakzigaretten 80 bis 99 Prozent weniger Schadstoffe enthielt. Das gilt für Formaldehyd, Acetaldehyd, Benzol und Butadien. Daraus ist aber ebenfalls zu schließen, dass dieses Aerosol nicht frei von diesen Substanzen ist und deshalb weiterhin als mutagen und potentiell krebserregend eingestuft werden muss. Untersuchungen weiterer Schadstoffe durch das BfR sollen folgen.

In einer Stellungnahme eines Experten aus der Tabakambulanz der Uniklinik München vom Februar 2018 heißt es zum Gefährdungspotential von IQOS: "Die Tabakverdampfer stehen ungefähr von der Schädlichkeit her zwischen der konventionellen und der E-Zigarette. Wobei wir wirklich noch keine seriösen Daten haben. Die gesamte Datenlage über diese Tabakerhitzer ist von der Herstellungsfirma, nämlich Philip Morris. "Gut gemacht oder nicht gut gemacht, das wissen wir noch nicht, das müssen wir erst nachprüfen."

Ende 2016 hat Philip Morris bei der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) die Zulassung und Anerkennung von IQOS als "Tabakprodukt mit modifiziertem Risiko" beantragt. Das Verfahren ist bis heute nicht beendet. Trotzdem wurde aber IQOS im Mai 2019 in den USA von der FDA zum Verkauf zugelassen.

In Deutschland ist mit IQOS von Philip Morris der erste Tabakerhitzer seit 2016 auf dem Markt und wird seit der Markteinführung vom Zoll lediglich als Pfeifentabak eingestuft, wobei deutlich weniger Steuern als bei Tabakzigaretten anfallen. Die zuständige Aufsichtsbehörde stellte IQOS bei der Kennzeichnungspflicht hinsichtlich der Warnhinweise Zigarren und Zigarillos gleich.