Haushaltskrise und Bürgergeld: Sparen bei den Ärmsten und schwarze Pädagogik
CSU-Chef Söder will die Erhöhung verschieben, FW-Chef Aiwanger die Daumenschrauben anziehen. Wem das gefällt – und wem es außer Erwerbslosen schadet. Ein Kommentar.
Der Generalangriff auf das Bürgergeld war sofort absehbar, als das Bundesverfassungsgericht am 15. November sein Haushaltsurteil verkündete und eine unzulässige Umgehung der Schuldenbremse feststellte.
Das Gericht hat zwar auch einmal Mindeststandards für ein menschenwürdiges Existenzminimum gesetzt, die laut dem "Hartz-IV-Urteil" von 2010 nicht nur Unterkunft, Nahrung, Kleidung und Hygiene, sondern auch ein "Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben" umfassen.
Aber vor allem in der FDP, die derzeit den Bundesfinanzminister stellt, sowie in den Unionsparteien gilt nur noch das Abstandsgebot zum Mindestlohn. Diesen Abstand durch eine spürbare Erhöhung des Mindestlohns zu vergrößern, ist bei tendenziell rechten Populisten unpopulär.
Lieber soll es denjenigen schlechter gehen, die ihre Arbeitskraft nicht verkaufen können oder "wollen" – was auch immer genau darunter verstanden wird. Denn es muss ja gespart werden, um das Haushaltsloch zu füllen; also warum nicht bei den Ärmsten?
CSU-Chef Markus Söder will die von der Ampel-Koalition im Bund als Bürgergeld deklarierte Lohnersatzleistung mit einer Bundesratsinitiative grundsätzlich neu ausrichten. "Die Ampel muss die für Januar vorgesehene Erhöhung um ein Jahr verschieben und noch einmal völlig neu ansetzen", sagte der bayerische Ministerpräsident am Wochenende dem Magazin Stern.
Die monatlichen Regelsätze der mehr als fünf Millionen Betroffene sollten ab Januar im Schnitt um rund zwölf Prozent erhöht werden, Alleinstehende würden dann 563 Euro erhalten, 61 Euro mehr als bisher.
Söder will "Generalüberholung"
Zu viel aus der Sicht von Söder, dessen Regierungssitz in der teuersten Großstadt Deutschlands liegt. Das Bürgergeld müsse "getrennt werden von Flucht und Asyl", verlangte Söder. "Es braucht mehr Motivation, um arbeiten zu gehen. Deshalb werden wir im Bundesrat eine Initiative zur Generalüberholung des Bürgergelds einbringen."
Ähnlich äußerte sich Söders Stellvertreter, der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler / FW): "Das Bürgergeld muss dringend reformiert werden. Nur noch für Menschen, die aus triftigen Gründen nicht arbeiten können. Aber nicht für Menschen, die arbeiten könnten, aber nicht wollen", betonte Aiwanger auf der Plattform X. "Auch Ukrainer müssen wir mehr in Arbeit bringen anstatt pauschal ins Bürgergeld."
Bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) rennen die Bayern damit offene Türen ein. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) warnt unterdessen vor "Populismus" durch die Verknüpfung "mit dem Thema Zuwanderung und mit der Aussage, dass die Leute angeblich nicht mehr arbeiten wollen".
Druck auf psychisch Kranke und Erpressung Arbeitender
Was "nicht wollen" in einigen Fällen tatsächlich heißt, wird von der politischen Klasse (einschließlich der SPD, die mit der Agenda 2010 Sanktionen beim Bezug von Lohnersatzleistungen eingeführt hat) aber seit Jahren ignoriert.
Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung von 2017 war mindestens jeder dritte Bezieher des Bürgergeld-Vorläufers Hartz IV psychisch krank, wenn auch zum Teil ohne Diagnose. Im Zuge der Corona-Krise hat sich die Versorgungslage in diesem Bereich eher noch verschlechtert.
Abgesehen von den psychisch Kranken gibt es sicherlich Menschen, die nicht unter allen Umständen arbeiten wollen – was aber auch für die arbeitende Bevölkerung besser ist, wenn sie sich die Arbeitsbedingungen nicht kaputt konkurrieren lassen will.
Wenn ein Chef, der sich wie ein Despot benimmt und seine Angestellten in kürzester Zeit in den Burnout treibt, immer wieder problemlos Ersatz findet, wird er sich nämlich nicht ändern.
Deshalb sollten Gewerkschaften an vorderster Front des Widerstands gegen den Angriff auf die Lohnersatzleistung stehen – denn hier geht es nicht "nur" um die Menschenwürde von Erwerbslosen, sondern auch um die Erpressbarkeit der Arbeitenden durch "schwarze Pädagogik".
Je schlechter es den Erwerbslosen geht, desto mehr lassen Arbeitende und Arbeitssuchende mit sich machen.