Hedonismus im Klimawandel: Warum wir uns auf Verzicht einstellen sollten

Französische Riviera bei Nizza. Bild: Trey Ratcliff, CC BY-NC-SA 2.0

Der Klimawandel wird kommen und unser Leben beeinträchtigen. Darauf sollten wir uns einstellen. Aber der Widerstand gegen notwendigen Verzicht ist sinnlos. Eine Replik.

Telepolis-Autor Jörg Phil Friedrich äußerte kürzlich an dieser Stelle die Befürchtung, dass wir künftigen Generationen eine Welt des Verzichts hinterlassen. Doch genau auf diesem Weg befinden wir uns mit unserem konsumorientierten Lebensstil, der den Erfordernissen der Klimakrise nicht gerecht wird.

Denn er mutet den Menschen - in unterschiedlicher Härte - eine andere Art von Verzicht zu. In einer Treibhauswelt können sich nur noch wenige an einer halbwegs intakten Natur erfreuen, ausreichend Trinkwasser über das ganze Jahr wird zum Luxusgut und Hitzewellen schränken die Bewegungsfreiheit ein.

Immer häufiger wird die Frage gestellt, inwieweit sich die globale Erwärmung überhaupt noch aufhalten lässt und ob es nicht sinnvoller wäre, Ressourcen und Innovationen in die Anpassung an die veränderten Klimabedingungen auf der Erde zu stecken.

Diese Frage ignoriert allerdings, dass es kein Entweder-oder gibt; also entweder die Treibhausgasemissionen schnell und drastisch einzuschränken und alsbald ganz zu eliminieren oder sich auf Anpassungsmaßnahmen zu verlegen.

Wer die Arbeit des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) verfolgt, weiß, dass sich dieses internationale Gremium, dem weltweit Hunderte von Wissenschaftler:innen zuarbeiten, durchaus mit den Möglichkeiten der Menschheit beschäftigt, sich an die Klimakrise anzupassen.

Der 6. Sachstandsbericht des IPCC besteht aus Beiträgen von drei Arbeitsgruppen:

1. Naturwissenschaftliche Grundlagen des Klimawandels.

2. Folgen des Klimawandels, Anpassung und Verwundbarkeit.

3. Minderung des Klimawandels.

Gerade die zweite Arbeitsgruppe hat sich in ihrem im November 2022 veröffentlichten Bericht mit der Notwendigkeit, den Möglichkeiten, aber auch den Grenzen der Anpassung beschäftigt. In den Hauptaussagen aus der Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung ist zum Beispiel zu lesen:

Es gibt machbare und wirksame Anpassungsoptionen, welche die Risiken für Mensch und Natur reduzieren können. Inwieweit es machbar ist, Anpassungsoptionen in der nahen Zukunft umzusetzen, hängt von den jeweiligen Sektoren und Regionen ab (...). Die Wirksamkeit von Anpassung zur Verringerung des Klimarisikos ist für bestimmte Umstände, Sektoren und Regionen belegt (...) und wird mit zunehmender Erwärmung abnehmen (…)." Es wird aber auch auf Grenzen der Anpassung von Gesellschaften und Ökosystemen verwiesen: "Mit zunehmender globaler Erwärmung werden Verluste und Schäden zunehmen und weitere menschliche und natürliche Systeme werden an Anpassungsgrenzen stoßen (...).

Es besteht daher Konsens darüber, dass eine Anpassung an den Klimawandel notwendig ist und in vielen Regionen zu langsam erfolgt.

Bedeutung des 1,5-Grad-Ziels

Gleichzeitig muss die Erderwärmung drastisch begrenzt werden - und dafür hat sich die Staatengemeinschaft auf möglichst nicht mehr als 1,5 Grad geeinigt -, um Schäden und Verluste zu begrenzen und Anpassung überhaupt möglich zu machen.

Auch wenn es sich um eine politische Vereinbarung handelt, ist die Zahl 1,5 Grad nicht aus der Luft gegriffen. Bereits im Sonderbericht des IPCC zur Erwärmung um 1,5 Grad wurde deutlich, dass ab dieser Marke der größte Teil der Korallenriffe absterben wird - mit einschneidenden Folgen für Millionen von Küstenbewohnern:innen, denen die Riffe Schutz vor Stürmen und Nahrung in Form von Fischen bieten.

Die Klimaforschung konnte inzwischen immer mehr Kipppunkte im Klimasystem identifizieren, die überwiegend im Bereich einer globalen Erwärmung zwischen 1,5 und zwei Grad liegen.

Selbst ein kurzzeitiges Überschreiten der Klimaziele ist hochriskant, so Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

Anpassung an die Erderwärmung und ihre Begrenzung durch drastische und rasche Minderung der Treibhausgasemissionen sind angesichts der bereits heute spürbaren Auswirkungen der Klimakrise keine Entweder-oder-Entscheidung.

Beides ist dringend notwendig und wird auch von der Staatengemeinschaft anerkannt, auch wenn nur wenige Staaten ihr Handeln danach ausrichten und die nationalen Minderungsziele (NDC) bisher unzureichend sind. Dabei warnt die Weltorganisation für Meteorologie, dass die durchschnittliche Erderwärmung bereits in den nächsten fünf Jahren 1,5 Grad erreichen könnte.

Damit verbunden sind immer häufigere und heftigere Extremwetterereignisse. Von der Klimakrise sind längst nicht mehr nur künftige Generationen betroffen. Bereits die heute jungen Generationen werden die Lasten des Klimawandels weitaus stärker zu tragen haben als ihre Eltern und Großeltern.

Laut einer Studie, die 2021 in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, könnten Kinder, die im Jahr 2020 geboren werden, zwei- bis siebenmal häufiger schwere Wetterextreme erleben als noch ihre Großeltern.

Die heute Dreijährigen wissen noch nicht, was auf sie zukommt, aber Jugendliche und junge Erwachsene machen sich mehrheitlich Sorgen um den Klimawandel, wie die Trendstudie "Jugend in Deutschland" erst kürzlich wieder gezeigt hat. Und nicht zuletzt führen junge Menschen weltweit Klimaklagen gegen Staaten, weil sie ihre Lebensgrundlagen bedroht sehen.

Das alles bedeutet zweifellos eine Einschränkung des Genusses: wegen des neuen Waldsterbens nicht mehr im Wald spazieren gehen zu können, den Garten nicht mehr gießen zu können oder wegen Wassermangels und giftiger Algenblüten nicht mehr im See schwimmen zu können.

Klimawandel trifft Menschen unterschiedlich hart

Und das sind nur die vergleichsweise harmlosen Auswirkungen auf Freizeit und Erholung. Andere sind durch immer extremere Klimabedingungen in ihren Lebensgrundlagen bedroht, etwa Landwirt:innen, die ihre Felder nicht mehr bewässern können, oder Menschen, die bei extremer Hitze im Freien arbeiten müssen.

Dass die Erde durch den Klimawandel nicht unbewohnbar wird und Menschen auch unter veränderten Klimabedingungen in allen Klimazonen siedeln können, ist eine Behauptung, die an der Empirie scheitert. In Somalia starben 2022 nach WHO-Angaben etwa 43.000 Menschen, die Hälfte davon Kinder, an extremer Dürre, wie das ZDF berichtete.

Zwar wird nicht die ganze Erde unbewohnbar, aber die Regionen mit für Menschen eher lebensfeindlichen Bedingungen werden sich im Zuge der globalen Erwärmung vergrößern, was wiederum zu einer immer größeren Klimafluchtbewegung führen wird.

Nach einer kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Sustainability publizierten Studie könnten bis zum Jahr 2100 rund 30 Prozent der Menschheit außerhalb der "menschlichen Klimanische" leben, also unter gemäßigten Bedingungen, die eine gewisse Bevölkerungsdichte erlauben.

Schon heute leben neun Prozent der Weltbevölkerung außerhalb dieser Nische. Dort ist es nicht nur etwas ungemütlicher, sondern: "Eine Exposition außerhalb der Nische könnte zu erhöhter Morbidität, Mortalität, Anpassung an den Ort des Geschehens oder Verdrängung (Abwanderung an einen anderen Ort) führen", so die Autor:innen.

Auch wenn Anpassung zum Teil als Möglichkeit gesehen wird, ist zu bedenken, dass der menschliche Organismus eine physische Grenze hat, nämlich die Feuchttemperatur TW von etwa 35 Grad (d.h. eine Temperatur von 40 Grad kombiniert mit einer Luftfeuchtigkeit von 75 Prozent). Unter diesen Bedingungen kann ein gesunder Mensch nur etwa sechs Stunden überleben.

In immer mehr Regionen der Tropen und Subtropen droht dieser Wert zeitweise überschritten zu werden. Anpassung ist dann nur noch insofern möglich, als klimatisierte Schutzräume für die Menschen geschaffen werden. Ein längerer Aufenthalt im Freien ist dann nicht mehr möglich.

Gerade arme Menschen haben nicht die Ressourcen, sich selbst ausreichend vor lebensfeindlichen Klimabedingungen zu schützen, d.h. dies wäre eine öffentliche Aufgabe, die von den jeweiligen Staaten übernommen werden müsste. Und auch hier sind es - mit Ausnahme der Ölstaaten am Arabischen Golf - meist die ärmeren Länder, die am stärksten von Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Stürmen oder Dürren betroffen sind.

Auch sie können ohne internationale Unterstützung oft nur unzureichende Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel leisten.

Ein kollektives "Wir" im Umgang mit der Klimakrise gibt es schon heute nicht. Während die einen bereits Verzicht üben, verschwenden die anderen weiter und zerstören damit zuerst die Lebensgrundlagen der Ärmsten.

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