Hegemoniekämpfe in der EU gehen weiter
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Das Historische am jüngsten Gipfel ist, dass der Widerstand gegen Deutschlands Machtstellung wächst
Noch wenige Wochen vor der Maueröffnung hat Erich Honecker von den historischen Leistungen der DDR geschwärmt und damit selbst in seiner nächsten Umgebung Befremden ausgelöst. Daran fühlt man sich erinnert, wenn man das Statement der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen zu den Ergebnissen des jüngsten EU-Gipfels liest.
"Das Ergebnis ist ein Signal des Vertrauens in Europa und es ist ein historischer Moment für Europa", lautet das Statement einer Politikerin, die tatsächlich prototypisch steht für eine Bürokratin, die lebenslang abgehoben von der gesellschaftlichen Realität lebte und damit durchaus mit Honecker in seiner letzten Phase verglichen werden kann.
Der ehemalige Dachdecker und antifaschistische Widerstandskämpfer gehörte zur abgehobenen poststalinistischen Nomenklatura und nahm wohl die Inszenierungen des Regimes für die Realität. Von der Leyen lebte als Tochter eines langjährigen rechtskonservativen Ministerpräsidenten schon in der Blase der Reichen, debütierte in verschiedenen Ministerien, wurde zeitweise als Merkel-Nachfolgerin gehandelt, um dann als EU-Kommissarin von Deutschland den anderen Ländern nach der EU-Wahl aufgedrückt zu werden.
Die Durchsetzung der Kandidatin von der Leyen war durchaus nicht klar. Aber soweit reichte die deutsche Hegemoniegewalt damals noch, um die Personalie durchzudrücken. Was den jüngsten EU-Gipfel zu einem historischen macht, sind nicht die langen Sitzungen und auch nicht das Bild von lauter divergierenden Nationalinteressen, die hier vorgeführt werden.
Phrase von der europäischen Solidarität
Es ist vielmehr die Tatsache, dass Deutschland einen Hegemonieverlust erleiden musste. Dabei geht es sicher am wenigsten um die Frage der europäischen Solidarität, die immer wieder als Sprechblase angeführt wird. In den ersten Wochen der Corona-Krise konnte man die Realität des Nationalegoismus sehen, als jedes Land, und Deutschland war unter den ersten, die Grenzen dichtgemacht hat. Wenn selbst Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern Bewohnern mit Zweitwohnsitz zeitweise den Zutritt verboten haben, kann man sich vorstellen, welches Fremdwort "Solidarität" ist.
Das gilt natürlich auch für viele andere Länder. Bei diesem Gipfel wurde das Theater über die "geizigen" oder "sparsamen Vier" aufgeführt. Bis vor einigen Wochen gehörte Deutschland ganz offen dazu und Frankreich opponierte. Auch dabei ging es nicht um Inhalte. Macron versucht schließlich genau die Austeritätspolitik im Innern durchzusetzen, die auch Holland und Deutschland zum EU-Diktat machen wollte.
Um eine Spaltung zwischen Frankreich und Deutschland zu verhindern, bei der sich dann die Länder der europäischen Peripherie auf Seiten Frankreichs stellen könnten, gab es dann das gemeinsame Agieren von Frankreich und Deutschland.
Eigentlich haben sich Macron und Merkel vorgestellt, dass sie damit die Agenda des Gipfels bestimmen. Schließlich ist Großbritannien, das öfter diese Oppositionsrolle übernommen hatte, nach dem Brexit nicht mehr mit am Tisch. Da setzte der historische Moment ein. Frankreich und Deutschland haben ihre Hegemoniefähigkeit in einer EU ohne Großbritannien überschätzt.
Europäische Querfront der "sparsamen Vier"
Gegen das wirtschaftsliberale Duo Macron/Merkel bildete sich eine noch wirtschaftsliberalere Querfront, die vom holländischen rechtsliberalen Ministerpräsidenten Rutte angeführt wurde. Dort haben sich mit Österreich, Schweden und Dänemark Länder mit unterschiedlichen Regierungskonstellationen versammelt.
Da ist das rot-grün-regierte Schweden, das noch von der dortigen Linkspartei toleriert wird. Eine ähnliche Konstellation regiert in Dänemark und wurde sogar im letzten Jahr bei der Regierungsbildung "roter Block" genannt.
An dieser Konstellation zeigt sich einmal mehr, wie unwichtig parteipolitische Präferenzen sind, wenn es um die Verteidigung des ideellen Gesamtkapitalisten geht. Nur war eben der Bezugspunkt für alle Länder der eigene Nationalstaat und nicht das EU-Konstrukt.
So konnten wir erleben, wie das vom "roten Block" regierte Dänemark gemeinsam mit der rechten holländischen Regierung, dem rotgrünen Schweden und dem schwarzgrünen Österreich die wirtschaftsliberale Speerspitze in der EU spielt und damit ganz in der Tradition des langjährigen deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble steht.
Wenn nun nach dem EU-Gipfel kommentiert wurde, dass die "Sparsamen Vier" die Nachfolge Schäubles angetreten haben, ist das eine der wenigen ehrlichen Kommentare zu dem Event. Im Windschatten dieser zentralen Auseinandersetzung auf dem EU-Gipfel verstanden es die von rechten Parteien regierten Länder Polen und Ungarn, ihre Interessen ebenfalls zu wahren. Sie sind natürlich auch auf Austeritätskurs, ihnen ging es allerdings darum, ihre nationalen Alleingänge bei der Ausprägung des Kapitalismus weiter betreiben zu können.
Gefährdet wird das vor allem von Grünen und Linken, die sich solche Hegemonieverluste nicht gefallen lassen wollen und den Versuch des Hineinregierens mit Rechtsstaatsgarantien ummanteln wollen. Ein großer Befürworter solcher Rechtsstaatsverfahren ist der grüne Europaparlamentarier Sven Giegold, der die Gipfelergebnisse auch kritisch sieht:
Endlich ist das Schauspiel der Vetos und nationalen Egoismen vorbei und wir haben eine Verhandlungsposition der Mitgliedsstaaten. Aber: Die Einigung erfolgte auf Kosten der gemeinsamen Zukunftsprogramme und der Rechtsstaatlichkeit.
Sven Giegold, Grüner MdEP
Dieses Lamento über die Rechtsstaatlichkeit, die auf dem Gipfel nicht durchgesetzt werden konnte, ist eher die Klage darüber, dass die Hegemoniefähigkeit Deutschlands in der EU angeschlagen ist und selbst der Schulterschluss mit Frankreich daran nichts ändern konnte.