Heißer Zorn

Jordangate: Lynchmob oder neuer Citizen-Media-Ethos?

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"Rathergate"? Der Begriff dürfte hierzulande nur wenigen etwas sagen. Außer man liest Berichte über ein Internetphänomen, das erst allmählich in das Bewusstsein breiter Schichten vordringt: die Blogosphäre. "Rathergate" steht für einen Skandal, der beinahe schon paradigmatischen Charakter erhalten hat, weil er die Macht der "Citizen Media", der Blogger, gegen die etablierten Mainstream-Media (MSM) illustriert. Nach Dan Rather, der im März letzten Jahres von seinem Posten als Anchorman der CBS-Abendnachrichten zurücktreten musste, hat nun ein zweiter großer Mann der MSM, Eason Jordan, seinen Rücktritt bekannt gegeben. Auch im Fall Jordan war es vor allem der Druck aus der Blogosphäre, dem der Nachrichtenchef von CNN weichen musste.

Waren es bei Dan Rather noch handfeste Fehler, die Blogger in seinem Report über den Militärdienst von Präsident Bush aufdeckten, so hat sich der Wirbel um Eason Jordan an einer Bemerkung entfacht, die dieser beim diesjährigen "World Economic Forum" Ende Januar in Davos gemacht hat. Das Eigentümliche: Es gibt keinen Beweis, keine Video-Aufzeichnungen darüber. Nur Anwesende des "Panels" in Davos haben gehört, wie Jordan erklärt hat, dass 12 Journalisten im Irak von "freundlichem Feuer", abgegeben vom US-Militär, getötet worden sind - mit Absicht, so die Unterstellung Jordans. Hier wäre die Geschichte vor der Zeit der Blogger noch zu Ende gewesen, denn keiner der "klassischen Journalisten" wollte die Geschichte aufnehmen oder ihr nachgehen, da die Diskussion ja "off record" war. Doch einer der Teilnehmer, Rony Abovitz schrieb sie in einem Blog nieder.

Die Nachricht über diese Bemerkung baute sich in der Blogosphäre zu einer Riesenwelle auf, Jordan wich Zug um Zug von seiner Aussage zurück, entschuldigte sich, schließlich wurde der Druck des Blogswarm aber so groß, dass auch eine Entschuldigung nichts mehr nutzte und Jordan und wohl auch seine Senderchefs -- nach nur zwei Wochen -- zur Auffassung kamen, dass ihm nur mehr der Rücktritt bliebe.

Für die Protagonisten der Citizen Media ein bedeutender moralischer Sieg über die journalistischen Methoden der MSM:

Die Moral der Geschichte: die Medien berichten einfach nicht die Wahrheit und erwarten, dass sie damit davon kommen -- und Journalisten können nicht einfach mit substanzlosen Anschuldigungen herumwerfen und von den Leuten erwarten, dass ihnen weiter geglaubt wird.

Edward Morrissey, captainsquartersblog.

Für andere sind die Blogger, die den Nachrichtenchef zu Fall gebracht haben, eine Art "Lynchmob", die vor allem auf Trophäen aus sind: MSM-Skalps. Die Blogosphäre, so der Chefredakteur Steve Lovelady der angesehenen "Columbia Journalism Review", werde von ihren ruhmreichen Protagonisten als Muster für eine sich selbst korrigierende, perfekte Demokratie gefeiert werden, aber:

Die andere Seite der Münze ist, dass der Mob kopflos ist und weder die besten Anstrengungen der Diakone noch diejenigen von irgendjemand anders sind dazu imstande, den heißen Zorn abzukühlen, wenn die Kopfjäger erstmal Blut gerochen haben. Und genau das ist das Problem hier.

Angefangen hatte das Problem in Davos, wo der Schnee wie in Sankt Moritz nach Parfüm und sehr mondän riecht. Dort treffen sich regelmäßig zum Jahresbeginn wichtige Leute aus den wichtigsten Branchen, Politik, Business, Medien, um vor handverlesenem Publikum das Neueste aus der Schule zu plaudern (voriges Jahr waren auch Vertreter der irakischen Regierung dort) und vor allem, um wichtiges "Networking" zu betreiben. Einer der Renner im letzten Jahr waren "Blogs" als neues trendy Phänomen, kein Wunder also, dass eine öffentlichen Panel-Diskussion diesmal von offiziellen Bloggern besucht wurde, die schneller als die Big Media von einer spektakulären Äußerung des CNN- Chief News Executive Eason Jordan berichteten:

During one of the discussions about the number of journalists killed in the Iraq War, Eason Jordan asserted that he knew of 12 journalists who had not only been killed by US troops in Iraq, but they had in fact been targeted. He repeated the assertion a few times, which seemed to win favor in parts of the audience (the anti-US crowd) and cause great strain on others.

Die Meldung landete bei dem stets alerten, wachen Beobachter der Blogger-Welt und begeisterten Protagonisten der "Citizen-Media"-Revolution, Jeff Jarvis, die Buzzmachine. Bis dahin hatte nur ein Abonnenten-Newsletter des Wallstreet-Journal davon berichtet, von den Big Media war noch niemand auf die "Sensation" aufmerksam geworden. Zwar hatte Jordan zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Relativierungen seiner Aussage gemacht, für die Buzzmachine war der Davoser Eklat jedoch einmal mehr Anlass genug, sich in einem längeren Posting über Spekulation, Zynismus und Arbeitsethos bei etablierten Journalisten Gedanken zu machen. Dann brach die Welle los. Eason Jordans Aussage zog große Kreise. Während Jordan sich für seine Aussage für die er keine eindeutigen Belege vorweisen konnte, entschuldigte, konnte keiner mehr den Nachrichtentsunami in den großen US-Medien aufhalten. Für die prominenten Blogger wie Jeff Jarvis, Jay Rosen oder Captain Ed war der Fall Jordan eine gute Gelegenheit für einen Frontalangriff auf die Mainstream-Media. Dabei ging es um Arroganz und Schlampigkeit der Wahrheitsauffassung in den großen Medien und demgegenüber um die neue Macht der aufrichtigen größten Redaktion der Welt, der Citizen-Media, die auch einen gewissen Ethos wieder beleben. Auch jetzt noch wird vor allem eine Frage diskutiert? Wie kam Jordan zu seiner Behauptung? Und was wäre, wenn sie stimmen würde?

Die Geschichte ist viel, viel größer als Eason Jordan. Das ist John Lennons "Power to the People", aber noch verstärkt. Das Volk will eine Stimme und die hat es jetzt auch. Seine eigene Stimme, ganz ungefiltert. Es ist keine schöne Stimme. Denn die Menschen sind irritiert, wütend und enttäuscht.

Rony Abovitz