Hering am Morgen und Spanferkel am Abend

Angela Merkel und George W. Bush demonstrierten aus jeweils eigenen Interessen eitel Sonnenschein, nicht überall waren sie willkommen

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Der Besuch des US-Präsidenten George W. Bush in Angela Merkels Heimatregion am vergangenen Donnerstag war privater Natur. Aber wir wissen ja: Das Private ist politisch. So auch bei Merkel und Bush, denn zwischen Hering am Morgen in Stralsund und Spanferkel am Abend in Trinwillershagen lag ein Vier-Augen-Gespräch der beiden, in dem sie die Weltpolitik durchhechelten, ein anschließendes Pressegespräch, in dem sie die Ergebnisse kundtaten, und ein wohldosiertes Bad in einer sorgfältig ausgewählten Menge. Letzteres vor allem bedeutsam für Merkels Partei CDU, denn in Mecklenburg-Vorpommern stehen im Herbst Landtagswahlen an. Insgesamt war der Besuch nicht ganz unwichtig für die Rolle der BRD in Europa: Mit der offensichtlichen Wertschätzung Bushs ist das Prestige Merkels - und damit das der Bundesregierung - deutlich gestiegen.

Das wohldosierte „Bad in der Menge“ auf dem Marktplatz von Stralsund. Foto: Regierungonline/Bergmann

Es war eine Show der Superlative: „Die teuerste Grillparty der Welt“ (Spiegel Online) war der größte Polizeieinsatz in der Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns und der spektakulärste Wahlkampfauftakt einer Partei in der Geschichte der Bundesrepublik - einen US-Präsidenten als Wahlkampfhelfer hat bisher noch niemand aufgeboten. Kein Wunder, dass die Landesregierung sich gegen die Übernahme der gigantischen Kosten für den Polizeieinsatz wehrt, denn Mecklenburg-Vorpommern wird rot-rot regiert.

Dass der Bush-Besuch trotz der privaten Atmosphäre eine für Merkel durchaus ernste Angelegenheit war, ließ sich daran erkennen, dass selbst ihr Ehemann, Joachim Sauer, an diesem Tag an ihrer Seite weilte. Der Chemieprofessor tritt so selten in der Öffentlichkeit auf, dass mitunter in Vergessenheit gerät, dass es ihn überhaupt gibt. Doch am vergangenen Donnerstag ließ es der „First Gentleman“ der Bundesrepublik sich nicht nehmen, dem Gast seiner Frau die Hand zu schütteln.

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben. Wenn Bush eine Reise tut, dann tut er es nicht allein, er wird „begleitet“ von einem 800-1.200-köpfigen US-Sicherheitsteam, darunter Scharfschützen - privat hin oder her. Im Vorfeld reisen etwa ein Dutzend Spezialbeamte aus den USA ein, um die Sicherheitsvorkehrungen der bundesdeutschen Kollegen zu checken, u. a., ob alle Gullideckel zugeschweißt und die Briefkästen abgebaut sind. Am Tag des Besuchs sind zudem mindestens 7.000 Bereitschaftspolizisten, Sondereinsatzkommandos, Scharfschützen, Hubschrauber- und Spürhundstaffeln sowie Taucher - insgesamt mehr 12.000 Polizeibeamten - im Einsatz. Die Kosten für dieses Sicherheitsprogramm sind immens, sie gehen in die zweistelligen Millionenbeträge. Noch ist nicht klar, wer letztendlich dafür zahlen muss: der Bund oder das Land.

Damit Bush sich frei bewegen konnte, wurde das Straßennetz weiträumig abgesperrt und die Bewegungsfreiheit der Sommerurlauber sowie der einheimischen Bevölkerung massiv eingeschränkt. Urlauber standen vor NATO-Draht statt Dünen. Viele Geschäfte in der Innenstadt von Stralsund mussten dicht machen, die anliegenden Geschäftsleute mussten sich vorher registrieren lassen, wer sich wann in den Büros oder Ladenräumen aufhalten würde, und die Kinder bekamen schulfrei. Wahrscheinlich waren sie neben Angela Merkel die einzigen, die dem Bush-Besuch uneingeschränkt positiv gegenüber standen.

Politiker in Mecklenburg-Vorpommern waren recht geteilter Meinung über den hohen Besuch. Ministerpräsident Harald Ringstorff war zwar bei der Begrüßung anwesend, die Teilnahme an dem Grillabend in Trinwillershagen sagte er indes ab. Sein Stellvertreter, der Umweltminister Wolfgang Methlin (PDS), war federführend an der Protestkundgebung der Friedensbewegung unter dem Motto „Not Welcome, Mr. Bush“ beteiligt. Das hatte zu Protesten seitens der CDU geführt, einige Sozialdemokraten betrachteten das als Affront gegen den Regierungspartner und die Forderung nach Auflösung der Koalition wurde laut. Da jedoch auch einige Sozis an der Demo teilnahmen, wird sich das in der SPD wohl schwerlich durchsetzen lassen - noch dazu drei Monate vor der Landtagswahl.

In dem Vier-Augen-Gespräch diskutierten Bush und Merkel über den anstehenden G-8-Gipfel in Russland, das leidige Thema Iran und das Atomprogramm und den Nahostkonflikt. In dem darauf folgenden Pressegespräch demonstrierten sie große Einigkeit in den bedeutenden Fragen der politischen Tagesordnung: sie zeigten sie dem Iran verbal die gelbe Karte und gaben Israel einen Freibrief für die Militäroffensive gegen den Libanon (Freundschaft statt Recht). Sowohl Bush als auch Merkel betonten in Bezug auf den Iran, dass dem Staatspräsidenten Mahmud Ahmadinedschad genügend Spielraum für eine diplomatische Lösung gegeben worden sei. Solle dieser nicht darauf eingehen, müsse eine UN-Resolution auf den Weg gebracht werden, so Merkel. In Richtung Israel, das gerade die größte Militäroperation im Libanon seit 1981 durchführt, sagte Bush: „Jedes Land hat das Recht sich zu verteidigen.“ Dass Bush sich über Fragen von solch weltpolitischem Ausmaß mit Merkel berät, ist für diese mehr als eine Frage der Ehre: Angie wurde damit auf den Thron der politisch wichtigsten Person in Europa gehoben.

Merkel und Bush zeigten dem Iran verbal die gelbe Karte und gaben Israel einen Freibrief für die Militäroffensive gegen den Libanon. Foto: Weißes Haus

Jubelmenge und abseits die Protestierenden

Bei seinem Besuch in Stralsund gönnte der US-Präsident sich ein Bad in der Menge. Die bestand aus einem sehr erlesenen Kreis von Geschäftsleuten, Kirchenvertretern und ausgesuchten Bundeswehrangehörigen - das klassische CDU-Klientel also. Diese Auswahl hatte auch dazu beigetragen, dass der Bush-Besuch als CDU-Wahlkampfshow bei den Politikern in Mecklenburg-Vorpommern kritisiert wurde.

Die Anwesenden waren ganz in ihrem (Wink)-Element: Wie sie die vergangenen vier Wochen bei der FIFA-WM schön geübt hatten, wedelten sie freudig mit kleinen Fähnchen, sowohl Deutschland-, als auch US-Flaggen. Auf den ersten Blick bot sich ein ausgewogenes Bild. Ob die Fähnchen in irgendeiner Weise quotiert verteilt wurden, ist indes nicht bekannt.

Wenige Hundert Meter entfernt von den Fähnchen wedelnden Fans traf sich die Friedensbewegung zu einer Protestkundgebung. Die Aktion dauerte den ganzen Tag und war räumlich sehr eingeschränkt. Die Angaben über die Teilnehmerzahl in den Medien variieren von 500 bis 4.000. Der Bundessprecher der Organisation DFG/VK, Monty Schädel, sprach Telepolis gegenüber von etwas 3.500 Personen, die sich insgesamt in Stralsund beteiligt hätten. Er lobte ausdrücklich die Kooperationsbereitschaft der Polizeiführung im Vorfeld der Demonstration. Davon sei an dem Tag selbst allerdings nicht mehr viel übrig geblieben, so Schädel. Sein Fazit für die Aktionen gegen den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm: „Du kannst Dich auf vorherige Absprachen mit der Polizei an dem Tag nicht mehr verlassen.“

Mutmaßliche Demonstrationsteilnehmer seien bereits in den Regionalzügen Personenkontrollen unterzogen worden, auf dem Bahnhof Stralsund seien noch einmal die Personalien festgestellt worden. Als „Schikane“ bezeichnete Schädel dieses Vorgehen. Außerdem sei morgens eine Kolonne von Polizeiwagen „mit etwa 60 Stundenkilometer durch die abgesperrte Demonstrationszone gebrettert“. Glücklicherweise, so Schädel, sei niemandem etwas passiert, da sich zu diesem Zeitpunkt nur etwa Hundert Menschen dort befunden hätten. Ansonsten habe es den ganzen Tag über kleinere Provokationen seitens der Polizei gegeben, z.B. die Drohung, Leute festzunehmen, die Flugblätter verteilten. Allerdings blieb es bei der Androhung, außer einer Gruppe von Greenpeace, die an einem Wohnhaus in dem abgesperrten Innenstadtbereich, in dem das Bush-Event stattfand, ein Transparent mit der Aufschrift „no nukes - no war - no Bush“ entrollten, wurde niemand festgenommen.

Die Schikanen gegen die Demonstranten wurden nach dem Bush-Besuch fortgesetzt. „Um 16h war die Sperre offiziell aufgehoben und alle durften nach Hause gehen - nur die Teilnehmer unserer Demonstration nicht“, so Schädel. „Obwohl jeder in dieser Stadt wieder hingehen konnte, wo er wollte, mussten die einen großen Bogen um den Innenstadtbereich machen, selbst die Einheimischen.“

Auch die Bevölkerung in Mecklenburg-Vorpommern war mehrheitlich nicht eben begeistert über den teuren Kaffeeklatsch der Bundeskanzlerin auf ihre Kosten. Mecklenburg-Vorpommern ist das Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenrate. „Das Geld hätten wir besser anders ausgegeben“, sagte eine Anwohnerin einem ARD-Reporter. „Beispielswiese für arbeitslose Jugendliche.“