Herstellung der "Volksgemeinschaft"
Vor 75 Jahren sicherte sich das NS-Regime mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" die Macht
Nach der "Machtergreifung" der NSDAP am 30. Januar 1933 war Adolf Hitler noch lange nicht uneingeschränkter „Führer“ eines „Dritten Reiches“. Ganz im Gegenteil: Wie sein Steigbügelhalter Franz von Papen dachten viele, dass das Hitlerregime nur eine weitere kurzlebige Regierung der Weimarer Republik sein würde. Denn weder hatte die NSDAP die absolute Mehrheit errungen, noch war es ihr gelungen, in Armee, Justiz oder Verwaltung Fuß zu fassen.
Das NS-Regime war sich dieser Tatsache durchaus bewusst. Schritt für Schritt ging es daran, die Opposition zu beseitigen und seine eigene Macht auszubauen. Der Reichstagsbrand lieferte den Vorwand, die Kommunistische Partei auszuschalten. Bei den schon am 5. März folgenden Neuwahlen erreichte die NSDAP mit ihren Verbündeten die erhoffte absolute Mehrheit. Die verbliebenen Parteien verzichteten darauf, Hitlers „Willen zur Macht“ zu beschränken, und entmachteten sich durch das Ermächtigungsgesetz selbst. Nur die SPD verweigerte ihre Zustimmung.
Durch die nun folgende „Gleichschaltung“ versuchte die NSDAP, die „Machtergreifung“ zu vervollständigen und den Staat in allen Bereichen zu beherrschen. Erster Schritt war das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (GzWBB) vom 7. April 1933. Es enthielt einen Gummiparagrafen, der es erlaubte, politisch missliebige Beamte, Richter, Lehrer und später auch Soldaten aus dem Staatsdienst zu entfernen:
Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.
Dies traf zunächst vor allem Kommunisten, dann Sozialdemokraten, mit denen die NSDAP wegen ihres Widerstands gegen das Ermächtigungsgesetz noch eine Rechnung offen hatte. Angehörige anderer Parteien behielten meist ihre Posten, solange sie sich regimetreu zeigten. Erleichtert wurde dies durch die Selbstauflösung der bürgerlichen Parteien, die seit dem Ermächtigungsgesetz ohnehin keinen Einfluss mehr hatten. Schließlich traten die ehemals mit der NSDAP verbündeten Parteien geschlossen in diese über. Die NSDAP war nun die einzige politische Partei im gesamten Reich.
Zudem hatte sie durch das GzWBB dafür gesorgt, dass alle Posten im öffentlichen Dienst mit linientreuen Nazis besetzt werden konnten. Die maßlose Ämterpatronage, die die NSDAP den bürgerlichen Parteien vorgeworfen hatte, betrieb sie nun ungehindert selbst. Es wurden sogar vollkommen überflüssige Ämter geschaffen, nur um bestimmte Gruppen in den Kreis der NS-Organisationen einzubinden, verdiente Mitglieder zu versorgen oder Nörgler ruhig zu stellen. Die Nazis straften sich so selbst Lügen, denn das GzWBB war unter dem Vorwand geschaffen worden, zur „Vereinfachung der Verwaltung“ beizutragen.
So war der Führerwille nach und nach zur öffentlichen Angelegenheit geworden: Richter des „Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes“ sprachen nationalsozialistisches Recht im Namen des Volkes. Lehrer des „Nationalsozialistischen Lehrerbundes“ vermittelten den späteren Soldaten der Wehrmacht das nationalsozialistische Weltbild. Schutzpolizisten gingen nicht mehr gegen Ausschreitungen von SA und SS vor. Ideologisch geprüfte Kriminalbeamte ließen sich problemlos in die GESTAPO eingliedern. Die Universitäten verloren Tausende ihrer besten Wissenschaftler. Oft wurden sie durch weniger begabte NSDAP-Mitglieder ersetzt, die durch ihre scheinwissenschaftlichen Arbeiten dazu beitrugen, der NS-Ideologie einen wissenschaftlich fundierten Anstrich zu verpassen. Nur die Generäle der Wehrmacht blieben von der Gleichschaltung weitgehend verschont, weil ohne sie keine erfolgreiche Kriegführung möglich gewesen wäre. Nicht zufällig waren am Attentat vom 20. Juli 1944 in erster Linie ranghohe Offiziere beteiligt.
Zum ersten Mal überhaupt wurde im GzWBB die „arische Abstammung“ zu einer gesetzlichen Voraussetzung erklärt. Es wurde so zu einem Wegbereiter für weitere antisemitische und diskriminierende Gesetze des Dritten Reiches. Jüdische Beamte und Beamte mit wenigstens einem jüdischen Eltern- oder Großelternteil wurden umgehend entlassen. Viele von ihnen waren aber durch das sogenannte „Frontkämpferprivileg“ vor der Entlassung geschützt: Reichspräsident Hindenburg hatte gegen Hitler durchgesetzt, dass Kriegsteilnehmer und Kriegswaisen unter den „Nichtariern“ generell nicht entlassen werden durften. Das Ergebnis überraschte die Nationalsozialisten, die zutiefst davon überzeugt waren, dass Juden sich vor dem Kriegsdienst gedrückt hätten. Aber im September 1935, gut ein Jahr nach Hindenburgs Tod, wurden die bisher verschonten „Nichtarier“ durch das „Reichsbürgergesetz“ von der Ausübung öffentlicher Ämter und Freier Berufe ausgeschlossen.
Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ verschaffte den Nationalsozialisten aber nicht nur Posten. Es diente ihnen nicht nur dazu, die „Volksgemeinschaft“ herzustellen, indem sie alle, die nach ihrer Ansicht nicht dazu gehörten, diskriminierten und ausschlossen. Es hob nicht nur die Unabhängigkeit von Justiz und Polizei auf. Die Nationalsozialisten bereiteten sich durch dieses Gesetz vom 7. April 1933 frühzeitig den ungehinderten Weg in den Krieg.