Hetze gegen Flüchtlinge

LAGeSo Berlin, 8. Oktober 2015: Flüchtlinge haben sich unter das Röntgenmobil zurückgezogen, um Schutz vor dem Dauerregen zu suchen. Foto: P. Spät

"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht", heißt es in Artikel 16a des Grundgesetzes. Doch statt geflüchteten Menschen in Not zu helfen, werfen Politiker verbale Brandsätze

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Jeder Flüchtling, der Berlin erreicht hat, muss sich beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) registrieren lassen. Nur mit dieser Registrierung erhalten geflüchtete Menschen eine Unterkunft und Verpflegung. Soweit die Theorie, die Praxis ist schrecklich:

Wer dieser Tage das Gelände des LAGeSo in Berlin-Moabit betritt, sieht Schlimmes: Familien mit Babys und Kleinkindern sitzen auf dem kalten Betonboden, frierend und durchnässt vom Regen. Hunderte Menschen müssen vor dem Gebäude ausharren und warten wochenlang darauf, dass sie sich endlich registrieren lassen können. Schon auf die Wartemarke warten viele tagelang. Währenddessen müssen sie im Freien in den umliegenden Parks übernachten.

Unter ihnen sind viele Menschen, die schwer traumatisiert sind - sie werden vom Land Berlin ebenso wenig medizinisch versorgt wie schwangere Frauen und Menschen, die an Lungenentzündungen oder Tuberkulose erkrankt sind. Und die Zahl der im Stich gelassenen Flüchtlinge wächst exponentiell: Pro Tag kommen zwischen 300 bis 500 Flüchtlinge am LAGeSo an, pro Tag werden aber maximal 250 Menschen von der Behörde registriert.

Hinter diesen abstrakten Zahlen stecken furchtbare individuelle Schicksale - Menschen, die wochenlang auf der Flucht waren, die Luftangriffe mit Fassbomben erleben mussten, die gefoltert wurden, die hungerten und die ihre Familien zurücklassen mussten. Viele möchten ihre Familien nachholen, jeder Tag des Wartens auf das ihnen zustehende Asyl wird zur Qual.

Aufgrund der katastrophalen Lage am LAGeSo rufen Christiane Beckmann und Diana Lucine von "Moabit Hilft! Willkommensinitiative für Geflüchtete" derzeit zu einer Demo auf und schreiben:

Entgegen aller Behauptungen und Mutmaßungen durch Politik und Medien organisieren, kochen, sortieren, behandeln, pflegen, bespaßen, informieren, betreuen, begleiten, trösten, transportieren, aktivieren die ehrenamtlichen Unterstützer*innen der Bürgerinitiative "Moabit hilft" nach wie vor am LAGeSo. Und das oft 15 Stunden am Stück, Tag und Nacht, sieben Tage die Woche.

UNENTGELTLICH.

Entgegen aller Behauptungen seitens der Politik und Verwaltung ist gar nichts gut. Die Strukturen des LAGeSo sind intern bereits zusammengebrochen. Die ehrenamtlichen Helfer*innen verhindern noch größeres Chaos und managen seit Wochen mit einem großen Kraftaufwand den Ausnahmezustand auf dem Gelände. Tagtäglich kommen bis zu 300-500 in die Turmstraße 21, um sich registrieren zu lassen. Die verzweifelten, wartenden Menschen werden Tag für Tag immer verzweifelter und der Winter steht vor der Tür. Nachweislich warten die Menschen vom Zeitpunkt des Anstellens für eine Nummer zur Registrierung bis zur Ausgabe der ersten Unterlagen bis zu 57 Tagen. Jeden Tag, fast zwei Monate!

"Moabit hilft" klagt die Senatsverwaltung an. Besonders Schutzbedürftige bleiben unversorgt, das Asylbewerberleistungsgesetz bleibt über Wochen unberücksichtigt. Wenig bis gar kein Geld, keine Krankenversorgung, mangelhaftes Essen und noch schlechtere Informationspolitik. Die Folge ist ein katastrophaler Ausnahmezustand.

Moabit hilft!
LAGeSo Berlin, 8. Oktober 2015: Warteschlange vor dem Registrierungsgebäude. Viele Flüchtlinge warten bereits seit Wochen auf ihre Registrierungsnummer. Foto: P. Spät

Der CDU-"Brandbrief" und das Ende der Nächstenliebe

Berichte von anderen Annahmestellen für Geflüchtete lesen sich ähnlich. Die Politik versagt auf ganzer Linie. Und statt nun endlich zu handeln und zu helfen, haben sich 34 CDU-Politiker dazu entschieden, einen an Angela Merkel adressierten "Brandbrief" zu verfassen, weil die Aufnahmekapazitäten "bis an die Grenzen gespannt und man manchen Orten erschöpft" seien. Die CDU-Politiker fordern, die "Politik der offenen Grenzen" zu beenden, sie entspreche "weder dem europäischen oder deutschen Recht, noch steht sie im Einklang mit dem Programm der CDU."

Unterzeichnet haben den Brief auffallend viele Berliner CDU-Politiker, unter anderem Christoph Brzezinski, Vorsitzender der Jungen Union Berlin, sowie Sven Rissmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion Berlin. Anders formuliert: Statt zu helfen, sitzen sie in ihren beheizten Büros und Dienstwagen und werfen nun verbale Brandsätze.

Während des Kalten Kriegs gingen etliche Kritiker dazu über, die DDR als DdR zu schreiben, um mit dem Kleinbuchstaben zu signalisieren, dass es sich mitnichten um einen demokratischen Staat handle. Man sollte auch dazu übergehen, cDU zu schreiben, denn die christliche Nächstenliebe haben die Christdemokraten wohl vergessen. Denn die Mittel, den Flüchtlingen zu helfen, sind selbstverständlich vorhanden.

Aber die Sache mit der Nächstenliebe haben ja selbst die offiziellen Stellvertreter Gottes in diesem Land vergessen: Anfang Oktober sprachen sich Bedford-Strohm, Vorsitzender der stinkreichen Evangelischen Kirche in Deutschland, und Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der ebenfalls stinkreichen katholischen Deutschen Bischofskonferenz, in einer gemeinsamen Erklärung für eine "Abschiedskultur" aus. Nur zur Erinnerung: Maria und Josef flohen nach Ägypten, weil König Herodes drohte, ihr Kind zu töten. Das Flüchtlingskind Jesus fand Asyl und überlebte. Heute würden Maria, Josef und Jesus vermutlich von ihrer eigenen Kirche im Stich gelassen werden.

Grundgesetz, Artikel 16a und die cdU

Man könnte auch gleich cdU schreiben, denn selbst die letzten Fetzen des demokratischen Rechtsstaats scheinen die Unterzeichner des Brandbriefs über Bord gespült zu haben. Wieso bitte soll das Recht auf Asyl dem "europäischen oder deutschen Recht" widersprechen?

In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union heißt es unter Artikel 18: "Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie nach Maßgabe des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union gewährleistet."

Und im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht eindeutig unter Artikel 16a, Absatz 1: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."

In dem Moment, wo ein geflüchteter Mensch die Grenzen der Bundesrepublik erreicht, hat er oder sie das Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren und das Recht auf Schutzgewährung. Die Forderungen des CDU-"Brandbriefs" verletzen also ganz klar die Grundrechte der deutschen Verfassung, wie auch Pro Asyl betont.

Das gleiche gilt für all jene Politiker, darunter auch vermehrt Politiker der SPD, die eine "Obergrenze" und ein "Aufnahmestopp" fordern. Zum Glück sieht unser Grundgesetz keine solchen Obergrenzen vor, und damit auch keine Aufnahmestopps. Die Menschen fliehen nicht aus Jux und Tollerei, sondern vor Krieg, Armut und Hunger (Flucht vor allem vor den Bomben des Regimes).

Hier von Obergrenzen zu sprechen, als handle es sich bei notleidenden Menschen um einen rein bürokratischen Verwaltungsakt, ist mehr als zynisch - und eben auch gegen die Verfassung. Insofern hat Bundeskanzlerin Merkel schlichtweg recht, wenn sie zumindest als Lippenbekenntnis sagt: "Das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte kennt keine Obergrenze."