Hinter dem Rücken der Öffentlichkeit sponsert die EU eine eigene Gasinfrastruktur
Um Nord Stream 2 zu verhindern, beschloss der EU-Industrieausschuss, dass weiter in die Gas-Infrastruktur investiert werden darf, vor allem für den Import von Flüssigerdgas aus den USA oder Kanada
Gestern sollte in Brüssel eine energiepolitische Weichenstellung stattfinden. Im Industrieausschusses, dem "ITRE-Ausschuss", wollte die EU-Kommission eigentlich die "Gasrichtlinie" ändern lassen. Hinter dem unscheinbaren Begriff versteckt sich ein großes Problem: Wie die eigene Rechtsabteilung den Brüsseler Energiepolitikern bescheinigte, ist die EU bisher nicht zuständig, wenn ein Mitgliedsland bilateral mit einem anderen Land ein Energieprojekt vereinbart, etwa Deutschland und Russland eine Pipeline-Erweiterung beschließen. Solange die Nord Stream-Erweiterung durch internationale Gewässer führt, ist die EU nicht zuständig.
Allerdings sorgten die Bundesregierung und die bulgarische Präsidentschaft dafür, dass der Termin verschoben wird. Zunächst soll nach dem Willen verschiedener Mitgliedstaaten erst einmal ein Gutachten angefertigt werden. Stattdessen stand gestern ein Projekt auf der Tagesordnung des Ausschusses, das die transatlantischen Nord-Stream-Gegner lieber nicht öffentlich diskutieren: Die EU-Kommission subventioniert den internationalen Energie-Unternehmen seit Jahren Infrastrukturen für den Erdgas-Import. Dazu gehört nicht nur der 3.500 Kilometer lange Pipeline-Verbund "Southern Gas Corridor", sondern vor allem Anlagen für den Import von verflüssigtem Erdgas, LNG.
In Polen und dem Baltikum entstanden mit EU-Steuermitteln bereits zwei LNG-Importterminals. Ein drittes LNG-Terminal in Kroatien unterstützte die EU-Kommission bereits mit 122 Millionen Euro. Mithilfe dieser Infrastrukturen kann nun Erdgas aus entfernten Gegenden, etwa Australien, Kanada oder den USA in den EU-Markt gelangen. Statt einer Änderung der Gasrichtlinie beschloss der ITRE-Ausschuss gestern mit einer Mehrheit, dass die Kommission weiterhin die "Projekte von gemeinsamem Interesse" finanzieren darf. Diese PCI-Projekte sind das energiepolitische Steckenpferd der Kommission und der eigentliche Grund, weshalb Brüssel, die US-Regierung und Polen unbedingt Nord Stream 2 verhindern wollen.
Hinter dem Rücken der Öffentlichkeit sponsert die EU eine eigene Gasinfrastruktur in Osteuropa, welche das konventionell geförderte russische Pipeline-Gas verdrängen soll. Einzelne Abgeordnete der linken Fraktion GUE/NGL der Grünen und der Sozialisten hatten eine Überarbeitung der Liste gefordert, was praktisch eine Ablehnung der PCI-Projekte bedeutet hätte. Doch die Ausschuss-Mehrheit stimmte gegen die Maßnahme. Nach der Abstimmung bedauerte Cornelia Ernst, die energiepolitische Sprecherin der Delegation Die Linke im Europaparlament, dass nur 15 Abgeordnete des Industrieausschusses für die Ablehnung der Projektliste gestimmt habe.
Es wird argumentiert, wir müssten in der Gasversorgung 'unabhängig' werden und daher in die Gasinfrastruktur investieren - gemeint ist aber, dass wir von russischem Gas unabhängig werden müssten, um dann aber umso abhängiger von Gas aus Aserbaidschan und gefracktem Gas aus den USA zu werden.
Cornelia Ernst
Nach Ansicht der Kritiker widerspricht diese Energiepolitik der Kommission den Zielen des Pariser Klimaabkommens, den Klima- und Energiezielen der EU. "Und dem gesunden Menschenverstand", setzt Cornelia Ernst hinzu. Anstatt in den Ausbau der Stromnetze, der intelligenten Stromnetze, der Stromspeicher und in umweltfreundlich erzeugte Fernwärme zu investieren, vergrößere die Kommission die Absatzmärkte für Gas. "Das ist reine Geldverschwendung, sowohl von Steuergeldern als auch der Einkommen der Haushalte, denn die Gasinfrastruktur muss sich rentieren - und das wird sie: in Form steigender Gaspreise", warnt die linke Energiepolitikerin.
Unterdessen veröffentlichten zahlreiche Jamaika-Politiker erneut einen flammenden Appell gegen Nord Stream 2. Ohne ein einziges Wort über die PCI-Listen und die LNG-Infrastrukturen zu verlieren, fordern Reinhard Bütikofer, Elmar Brok und Norbert Röttgen, dass die Bundesregierung endlich die Geschäfte mit Russland beendet: "Nord Stream 2 schadet Europa" so der Titel ihres Aufrufes. Darin fordern sie vor allem Solidarität mit den östlichen EU-Staaten und der Ukraine, ohne allerdings zu erwähnen, dass deren Alternative darin besteht, verflüssigtes Fracking-Gas aus den USA und anderen Ländern zu importieren.