Hintergrundmusik

Seite 2: Ewige Wiederkehr des Gleichen und Todestrieb

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Auf der anderen Seite schafft sich die Konsumgesellschaft im Prinzip der nicht ausschaltbaren, unvermeidlichen und allpräsenten Hintergrundmusik ihre kulturelle Konstanz und Kontinuität. Unterbewusst wird wahrgenommen: Die universale kommerzielle Hintergrundmusik ist das einzige, worauf man sich verlassen kann, dass sie immer da ist und immer so ist, wie sie ist. Sie ist der einzige Ort, wo die ewige Wiederkehr des Gleichen tatsächlich Realität ist - ausweglos, perspektivlos, seinslos, sinnlos. Und stets ansaugend an etwas innerlich Reales in mir selbst: den Todestrieb.

Hintergrundmusik, wie sie unterbewusst - und ständig zum Unterbewusstsein auffordernd - alle Räume ausfüllt, ist die Suspension, die Aufhebung der Zeit im Ewig-Immergleichen. Unter ihrem Einfluss nimmt das Nichts im Innern des Zeitgenossen die Gestalt einer eigenschaftslosen Kombination von Langeweile, Gleichheit und Dumpfheit an - immer selbstreferentiell und immer ohne Richtung. Und dabei vergeht die Zeit. Die Hintergrundmusik schlägt Zeit im Hintergrund tot, während ich sie im Vordergrund zu leben hätte.

Differenz und Wiederholung: Die Massage als Message

Bei alledem gelten nun offenbar einige Gesetze. Auch sie scheinen paradoxerweise von niemandem gemacht, ohne Ursprung - und dabei doch universal gültig.

Eines davon: Je mehr die Plastik-Kommerzmusik im Hintergrund bleibt, desto stärker ihre Wirkung - und auch, je primitiver sie ist und je öfter sie wiederholt wird. Je mehr man sie verdrängt, desto stärker die Wiedererkennung. Je mehr man weghört, desto größer die Widerstandslosigkeit des Absinkens. Und je mehr man sie noch während des Hörens vergisst, desto weiter in das Innere reicht sie.

Perspektivloses dumpfes Fühlen wird von ihr unterbewusst ausgelöst. Da dieses Gefühl immer zum Schmerz neigt, reizt es zur Aktivität an, "um mir etwas Gutes zu tun" - wenn ich mich schon so sinnlos, traurig und öde fühle. Also konsumiere ich, um die Traurigkeit zu vergessen.

Die Postmoderne der 1970er bis 1990er Jahre vertrat das Gesetz: Differenz durch Wiederholung (Gilles Deleuze und Félix Guattari). Mit der Hintergrundmusik hat die heutige Post-Postmoderne dieses Prinzip umgedreht: Indifferenz durch Wiederholung. Zugleich hat sie es auf den Kopf gestellt: Dasselbe durch Wiederholung, weil die Schöpfung immer neuer Radio- Hintergrundmusik durch verschiedene Akteure (Künstler) immer nur dasselbe wiederholt und damit das Prinzip bestätigt: Das Medium ist sowohl die Message wie die Massage. Und die Massage ist die Message.

Das ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Heutige radiofähige Musik ist sogar an sich - ihrem ganzen Charakter nach - zur Hintergrundmusik geworden, die unbewusst wirkt und sich bereits im Akt ihrer Komposition vollständig in das System der Konsumgesellschaft einfügt, ja dessen effizientester psychologischer Teil ist.

Im Gegensatz zu landläufiger Meinung (und zum Unsinn des "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte") gilt: Weit tiefer als die Bilder geht das Hören. Das hat unter anderem Jacques Derrida in seinem Spätwerk gezeigt. Das unbewusste Hören steht heute im Dienst der Konsum-Traurigkeit. Damit hat die Populärmusik einen Zyklus, den sie in den 1950er und 1960er Jahren begann, abgeschlossen. War sie am Anfang eine künstlerische Rebellion gegen die Konsumgesellschaft und das Aufzeigen seelischer Alternativen, ist ihre Reintegration in das System des Konsummaterialismus nun endgültig und ohne Reste vollzogen. Populärmusik ist in der Form universaler Hintergrundmusik vom bewussten zum unbewussten Instrument geworden - und vom Akteur des Bewusstseins zu dem des Unterbewusstseins.