Historikertag unter dem Motto "Glaubensfragen"

Der Streit um Glaubensfragen war ein wichtiger Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges, dessen Folgen Jacques Callot 1632 in einer Reihe von Bildern festhielt

In Hamburg geht es nächste Woche um das "das unhinterfragte und ungeprüfte Für-Wahr-Halten bestimmter Standpunkte"

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Wer sich für Religionsgeschichte und das Verhältnis von Glauben und Wissen interessiert, kann demnächst in Hamburg einiges darüber lernen: Während man in Blogs und Sozialen Medien gerade die Existenzberechtigung der Geisteswissenschaften diskutiert, findet dort von Dienstag den 20. bis Freitag den 23. September der 51. Deutsche Historikertag statt. Erwartet werden etwa 3.500 Besucher - damit ist der Historikertag nach Angaben des Veranstalters der größte geisteswissenschaftliche Kongress Europas. Das diesjährige Partnerland ist Indien, zum ersten Mal ein Land außerhalb Europas und Nordamerikas. Das Motto wechselt jährlich, in diesem Jahr lautet es "Glaubensfragen".

Bei den "Glaubensfragen" geht es um religionsgeschichtliche ebenso wie um wissensgeschichtliche Themen. Behandelt wird das Verhältnis von Glauben und Wissen ebenso wie Religion als Gegenstand der historischen Forschung.

Nun ist Religion immer ein Gegenstand der historischen Forschung, in antiker, mittelalterlicher und neuzeitlicher Religionsgeschichte. Das war aber nie ganz unproblematisch: Bereits in der antiken Geschichtsschreibung standen Mythen in einem Spannungsverhältnis zum Versuch der rationalen Durchdringung von Vergangenheit. Mit der Entstehung von Geschichte als Wissenschaft wurden Glaubensfragen dann als unbegründete Spekulationen verstanden und aus der Geschichtsschreibung ausgeschlossen.

Auch der Historikertag versteht Glauben in einer Pressemitteilung als "das unhinterfragte und ungeprüfte Für-Wahr-Halten bestimmter Standpunkte". Ein Geschichtswissenschaftler aber soll nicht eigene Wahrnehmungen und Überzeugungen schlicht und einfach für wahr halten, und auch nicht Legenden ungeprüft tradieren, so lautet der Grundsatz nicht erst seit Max Webers "Wissenschaft als Beruf". Die Geschichtswissenschaft hat ein Regelwerk, das mit empirischer Forschung der Vergangenheit und logischen Schlussfolgerungen nicht Glauben, sondern Wissen erlangen will.

In diesem Sinne aber wird Glaube für Historiker mit seiner Eigenschaft als grundlegendes Moment menschlicher Weltdeutung in allen Lebensbereichen interessant, so die Veranstalter: Einerseits stabilisierten solche Glaubens-Annahmen das Denken der Menschen, andererseits würden solche Annahmen immer wieder befragt und hinterfragt.

"Religiöses Wissen"

Der Historikertag will mit seinem Motto aber auch zu einer Selbstreflexion über die Grundlagen des Faches einladen. Es seien nämlich, so die Veranstalter, die Grenzen zwischen Glaubens- und Wissensfragen flüssig geworden. Davon zeuge zum Beispiel der eingeführte Begriff des "religiösen Wissens", dessen zentrales Kriterium nicht die Überprüfbarkeit eines (geoffenbarten) Wissens ist, sondern die Vernetzung von Wissensbeständen und deren Akzeptanz innerhalb einer bestimmten Gruppe. - So entsteht Religiöses Wissen aus der Auseinandersetzung mit dem, was man für eine göttliche Offenbarung hält. Es ist das Produkt der Adaption formulierter Überzeugungen und Normen des religiösen Offenbarungswissens an die sich historisch wandelnden sozialen Ordnungen und kulturellen Praktiken.

Auch Theorien enthalten Elemente, die empirisch nicht zu falsifizieren sind

Noch aufschlussreicher für eine kritische Reflexion der eigenen Fachgeschichte ist für die Veranstalter die Tatsache, dass viele Theorien, mit denen historische Prozesse analysiert werden, auch Elemente enthalten, die empirisch nicht zu falsifizieren sind, also "Glaubensfragen". Halten sich Historiker demnach gar nicht unbedingt an das Regelwerk der eigenen Forschungsdisziplin?

Kann sein. Die Veranstalter jedenfalls geben zwei Beispiele dafür an: Einerseits die "Säkularisierungstheorie", andererseits die ihr entgegengesetzte "Theorie der Persistenz von Religion im Zeichen religiöser Pluralisierung", in der Fachdiskussion "seit dem 19. Jahrhundert oft ein weitgehend empirieresistentes Narrativ mit prognostischen Annahmen".

Das klingt schön böse und verspricht interessante Denkanstöße.

Unter den Veranstaltungen finden sich in mehr als 90 Fachsektionen Vorträge und Podiumsdiskussionen zu allen Epochen von der Antike bis zur Gegenwart; außerdem historisch-politische Debatten und offene Veranstaltungen. Die Forscher aus über 20 Nationen behandeln Problematiken der Deutungsmacht, der Überzeugungen, Ideologien und Dogmen. Außerdem gibt es Foren für Doktoranden, Schüler und Lehrer. Eine Verlags- und Fachausstellung informiert über Programme und Vorhaben aus Wissenschaft, Kultur und Bildung.

Glaube an Zivilreligion und Schutzwallvorstellungen

Die Themen sind also nicht immer religiös - oft geht es einfach um Geglaubtes, was gar nichts mit Religion zu tun haben muss. In der Fachsektion Neuere und Neueste Geschichte geht es etwa um "Glaube an die Nation: Zivilreligion in den USA und Deutschland", um "Mythos Bedrohung - Mythos Sicherheit: Schutzwallvorstellungen im östlichen Europa des 20. und 21. Jahrhunderts" und um "Bausteine zu einer Geschichte des Rechtsterrorismus in Europa und den USA von 1865 bis heute".

"Konstruktion von Realität in deutschen Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden"

Themen in der Fachsektion Zeitgeschichte sind zum Beispiel "Zeitgeschichte und Wissenschaftsgeschichte am Beispiel deutsch-israelischer Wissenschaftsbeziehungen von den 1950er bis in die 1980er Jahre", "Menschenrechte, Ideologie und Religion im geteilten Deutschland und Europa nach 1945", "Folgen digitaler Datenerfassung seit den 1950er Jahren" und die "Konstruktion von Realität in deutschen Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden zwischen Weltkrieg und Mauerfall".

Veranstalter des Historikertages sind der deutsche Historikerverband VHD, der Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGE) und die Universität Hamburg, die auch Veranstaltungsort ist. Die Anmeldung ist nur online möglich.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier eröffnet den Historikertag mit einer Festrede im Hamburger Rathaus, Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz hat die Schirmherrschaft.

Die Webversion des aktualisierten Programmheftes gibt es hier