Hitzefeuer mit globaler Wirkung
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- Die Arktis - eine Quelle von Treibhausgasen?
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Die Hitzewelle in Sibirien löste dramatische Waldbrände aus. Währenddessen beeinflussen Treibhausgase aus schmelzendem Permafrost das Wetter auch in anderen Erdteilen
Werchojansk liegt im Osten Sibiriens nördlich des Polarkreises. Mit einer Tiefsttemperatur von - 67,8°C galt die Stadt bisher als kältester Ort der Welt. Bis zum 20. Juni 2020, als das Thermometer rekordverdächtige 38 Grad Celsius anzeigte. Es war die höchste Temperatur, die jemals nördlich des Polarkreises gemessen wurde, sagen Experten (Steigende Methanemissionen).
Grund dafür seien vor allem die südlichen Winde gewesen, die die tropische Luft in die Region brachten, sagt Olga Zolina vom Shirshov-Institut für Ozeanologie. Dies erkläre nicht die anhaltende Hitzeperiode in weiten Teilen Sibiriens, sagt Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Von Januar bis Mai dieses Jahres war es in Sibirien im Schnitt sieben Grad wärmer als sonst. Dieses Hitzephänomen sei weder mit einzelnen Windströmungen noch mit so genannten Jetstreams zu erklären.
Normalerweise bringen Nieder- und Hochdrucksysteme abwechselnd wärmere und kühlere Luft in die Region. Doch im Winter 2019/20 brachte ein warmer Jetstream Eis und Schnee zum Schmelzen. So war es von Januar bis Juni 2020 in der Untersuchungsregion um mehr als fünf Grad wärmer als der Durchschnitt der Jahre von 1981 bis 2010. Ohne den menschlichen Einfluss auf das Klima seien derart extrem hohe Temperaturen nicht zu erklären, ist Andrew Ciavarella vom britischen Wetterdienst UK Met Office überzeugt.
Hitzewelle durch den Klimawandel "600 Mal wahrscheinlicher"
Gemeinsam mit anderen europäischen Wissenschaftlern von World Weather Attribution veröffentlichte er Mitte Juli eine Studie zum Klimageschehen in Sibirien. Bei ihren Temperaturmessungen vor Ort als auch in der gesamten Region erkennen die Wissenschaftler einen klaren Zusammenhang zum vom Menschen verursachten Klimawandel. So wäre eine ähnlich lange Hitzeperiode um 1900 um mindestens zwei Grad Celsius kühler gewesen, schreiben sie.
Die Hitzewelle, die Sibirien von Januar bis Juni 2020 überrollte, sei durch den Klimawandel mindestens 600 Mal wahrscheinlicher geworden. Allein in Werchojansk waren die maximalen Junitemperaturen gegenüber dem Jahr 1900 um mindestens ein Grad gestiegen. Und in weiten Teilen Sibiriens lagen die Temperaturen bis zu zehn Grad über dem Juni-Durchschnitt. Die Klimaforscher erwarten bis 2050 einen Temperaturanstieg von mindestens 0,5 bis 5 Grad Celsius gegenüber heute.
Den Angaben des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus (CAMS) zufolge wurden allein durch arktische Waldbrände im Juni diesen Jahres 56 Megatonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre geschleudert, drei Megatonnen mehr als im selben Monat des Vorjahres. Es seien die höchsten Emissionswerte gewesen, die in vergangenen 18 Jahren gemessen wurden. Trockenheit und Rekordtemperaturen im arktischen Teil Sibiriens, besonders in den Regionen Jakutien und Tschukotka, angetrieben durch starke Winde, fachten die Feuer immer wieder an.
Inzwischen verhängte die russische Regierung in sieben Regionen Sibiriens den Ausnahmezustand. Der Rauch von Waldbränden enthält zahlreiche Schadstoffe wie Kohlenmonoxid, Stickoxide, flüchtige organische Verbindungen und feste Aerosolpartikel.
Beim Vergleich des Kohlenmonoxidgehaltes in der Atmosphäre für Juni 2020 mit dem Juni-Durchschnitt von 2003 - 2019 stellten die Experten fest, dass diese im größten Teil der nördlichen Hemisphäre im letzten Monat im Allgemeinen niedriger waren als normal. Im Nordosten Sibiriens, im Bereich der Brände, hingegen waren sie ungewöhnlich hoch.
Menschen mit Atemwegserkrankungen besonders gefährdet
Die Lage in Sibirien sei schlimmer als im Juli vorigen Jahres, heißt es. Seit Jahresbeginn ist bereits eine Waldfläche von 8 Millionen Hektar abgebrannt. 2019 hatten schätzungsweise 15 Millionen Hektar gebrannt, eine Fläche, mehr als doppelt so groß wie Bayern.
Zudem erlaubt erlaubt es ein russisches Gesetz seit fünf Jahren, Feuer, die weder Betriebe noch Siedlungen bedrohen, einfach zu ignorieren. So werden aus Kostengründen Brände nur dort gelöscht, wo Menschen wohnen.
Wenn Städte und Dörfer in dickem Qualm versinken, sind Menschen mit Atemwegserkrankungen besonders gefährdet. Dies betrifft besonders Patienten, die mit Covid-19 in den Kliniken liegen. Auf Bäumen, die das Feuer verschonte, ließen sich Schwärme sibirischer Seidenmotten nieder. Durch den Befall geschwächt werden die Bäume anfälliger für Feuer. Und in Seen und Flüssen tauchen die Fische in tiefere Gewässer ab, weil es weiter unten kühler ist.
Unaufhaltsame Tauprozesse
In den Polarregionen steigen die Temperaturen schneller als anderswo, denn die Meeresströmungen transportieren Wärme zu den Polen und lassen reflektierendes Eis und Schnee wegschmelzen. Am meisten betroffen sind die Permafrostböden, die etwa ein Sechstel der gesamten Erdoberfläche einnehmen. Es sind Böden, die für mindestens zwei Jahre ohne Unterbrechung gefroren sind. Manche dieser Böden sind seit Jahrtausenden gefroren - bis mehrere hundert Meter - im Extremfall bis 1.500 Meter - tief.
Von 2007 bis 2016 untersuchten Wissenschaftler des internationalen Permafrost-Netzwerks GTN-P (Global Terrestrial Network for Permafrost) und des Alfred-Wegener-Institut (AWI) Permafrostböden der Arktis, der Antarktis sowie in den Hochgebirgen Zentralasiens und der Alpen. Die Ergebnisse veröffentlichten sie Anfang Januar 2019 im Fachmagazin Nature Communications: In den untersuchten Böden war die Temperatur in mehr als zehn Metern Tiefe um durchschnittlich 0,3 Grad Celsius gestiegen.
Wie die Messungen ergaben, hatte sich der Permafrostboden innerhalb von zehn Jahren an 71 der 123 untersuchten Messstellen erwärmt, in Sibirien an einzelnen Bohrlöchern um 0,9 Grad. In Bohrlöchern der Antarktis verzeichneten die Forscher einen Anstieg um 0,37 Grad. In Permafrostböden des Himalaya, in den nordischen Gebirgen sowie in den Alpen um durchschnittlich 0,19 Grad Celsius.
Die tiefgefrorenen Böden konservieren Überreste von Pflanzen und Tieren, die während des Tauvorgangs von Mikroorganismen zersetzt werden. Diese Prozesse setzen Kohlendioxid und Methan in die Atmosphäre frei, die den Treibhauseffekt weiter verstärken, denn Methan wirkt 25 Mal stärker als Kohlendioxid. Eisfreie Oberflächen absorbieren mehr Wärme, was wiederum die Erwärmung beschleunigt.
Wissenschaftler sagen voraus, dass allein durch Treibhausgase aus auftauenden Permafrostböden die globale Temperatur bis 2100 um bis 0,27 Grad Celsius ansteigen wird. Wie viel Permafrostboden wann auftauen wird, darüber ist man sich uneins. Offensichtlich ist, dass der Tauprozess, der in einem natürlichen Kreislauf Tausende bis Millionen Jahre dauern würde, nun innerhalb einer menschlichen Lebensspanne passiert, konstatiert Paul Schuster vom United States Geological Survey.
Entweichendes Quecksilber vergiftet die Umwelt
Das Feuer in den Wäldern schädigt den Permafrostboden auf dreifache Weise: Zum einen direkt durch die Wärme an der Oberfläche. Zum anderen verbrennt es Sträucher und Gräser, die den Permafrostboden vor der Sonne schützen. Vor allem aber nimmt die Schicht des dunklen verbrannten Torfbodens in der Tundra bis zu 70 Prozent mehr Sonnenlicht auf als intakter Torfboden. So kann sich die Wärme jahrelang weiter im Untergrund ausbreiten.
Nicht zuletzt beeinflussen die Brände den Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre, sagt Alexander Fjodorow vom Melnikow-Permafrost-Institut im Interwiev mit dem ZDF. Er befürchtet eine sich verstärkende Klimaerwärmung, sollten die Brände weiter andauern.
Dazu kommt, dass die Böden der Polarregionen riesige Mengen an Quecksilber speichern. Quecksilber wird durch Vulkanausbrüche und Waldbrände aber auch von Industrie und Kohlekraftwerken in großen Mengen in die Atmosphäre emittiert. Im gasförmigen Zustand wird es mit den Luftströmungen an die Pole geweht, wo es im Boden festfriert.
Während des Auftauens wird es in die Umwelt freigesetzt und gelangt in die Nahrungskette von Meerestieren, Robben und Eisbären - und über den Fischfang schließlich auch in die menschliche Nahrung. Im Süden der Antarktis zum Beispiel sind einzelne Meeresregionen stärker mit Quecksilber belastet als die bewohnten Küsten. In der Antarktis wurde bereits Quecksilber im Blut von Robben nachgewiesen.