Höhere Einkommensteuer - ein Anreiz für Geschäftsinvestitionen?

Wozu mich hohe Steuersätze schon geführt haben: bessere Bezahlung für Mitarbeiter, mehr Investitionen ins Geschäft und mehr Arbeit auf die Mitarbeiter verteilt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Irgendwas mache ich falsch. In der Debatte um die Höhe von Einkommensteuersätzen wird immer angenommen, dass höhere Sätze das Wirtschaftswachstum bremsen, weil das Geld dann den Geschäftsleuten (vor allem dem berühmtem Mittelstand) für Investitionen fehlt.

Warum erlebe ich das so anders? Zugegeben: Mein kleiner Betrieb (eher ein virtueller Haufen freier Mitarbeiter) gehört eher zum Kleinstand, schließlich gilt der Begriff Mittelstand noch für Firmen mit bis zu 500 Mitarbeiter, die ein Ottonormalverbraucher eher als Großkonzern wahrnimmt. Vielleicht kapiere ich die Diskussion deswegen nicht?

Jedenfalls reicht es, dass ich meine Mitarbeiter für ein Großprojekt im Herbst bezahle, die eigene Rechnung aber erst im Januar nächsten Jahres beglichen bekomme – und schwups! nähert man sich der magischen 53.000-Euro-Marke, wo der 43%-Steuersatz greift.

Wie ich das erlebe, möchte ich am Beispiel eines Laptops darstellen. Nehmen wir an, er kostet 1.000 Euro. Etwa 160 davon sind 19% MWSt, macht also 840. Davon 40% (die ich vom Einkommen abschreibe) sind 336 Euro, macht also rund 500 Euro. Geschäftsinvestitionen kosten mich bei einem Steuersatz von 40% nur die Hälfte des Preises.

Im Jahre 1958 (Wirtschaftswunder) hatte man in Deutschland einen Spitzensteuersatz von 53% – und von über 90% in den Boomjahren nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA . Dass Westdeutschland auch vor 1958 einen Höchstsatz von 95% hatte, wollen wir mal außer Acht lassen, denn es wurde als eine von den Alliierten aufoktroyierte Strafe empfunden.

Wie würde ich auf 53% reagieren?

Da kostet mich der Laptop für 1.000 Euro nur noch knapp 400. Geschäftsinvestitionen werden bei steigendem Einkommensteuersatz billiger. Plötzlich ist auch der teuerste Laptop effektiv für weniger als 1.000 zu haben. ThinkPad Carbon Touch, here I come!

Steigt die Zahl der Arbeitsstunden bei mir, sinkt der reale Gewinn pro Stunde immer mehr. Dann wird eben mehr Arbeit an Kollegen ausgelagert, weil ich keinen Bock habe, für Überstunden weniger zu verdienen. Letztes Jahr gab es eine große Verschiebung zwischen Projekten. Ich erhöhte ungefragt das Honorar von zwei Kollegen um 10%, weil ich nun viel weniger damit zu tun habe. Wenn sie froh sind, lassen sie mich auch in Ruhe.

Höhere Einkommensteuersätze verleiten mich also dazu, mehr ins Geschäft und in die Mitarbeiter zu investieren. Umgekehrt gilt auch, dass alles Private, was ich nicht abschreiben kann, teuer erkauft erscheint: der Urlaub, der Kinobesuch, der Ausflug mit den Kindern (die Jacht im Hafen…).

Ich vermute deswegen, dass das Argument, höhere Steuersätze auf Einkommen (es geht hier nur um diese!) würden Geschäftsinvestitionen drücken, ein vorgeschobenes ist. Denn höhere Einkommensteuersätze drücken eher aufs verfügbare Einkommen. Eine vierköpfige Familie braucht schon ein paar Tausend Euro netto im Monat, um hierzulande halbwegs bequem zu leben. Der Unterschied zwischen 2.000 und 4.000 netto ist jede Menge Spaß. Darauf drückt ein höherer Einkommensteuersatz. Das sollte man aber ehrlich zugeben.

Progressive Einkommenssteuersätze sollen ja per definitionem das Einkommen besser verteilen, und bei mir funktioniert das prima. Aber vielleicht habe ich etwas nicht kapiert. Schreiben Sie mir doch einen Kommentar unten. Ich bin gespannt.