Hört der Staat bald alles?
Der Lauschangriff soll zukünftig auch ohne Verdacht möglich sein und Journalisten, Anwälte, Pfarrer und Ärzte einschließen
In Bayern steht auf Initiative der CSU ein neues Polizeiaufgabengesetz (PAG) vor der Verabschiedung, das das Abhören von Telefon (Festnetz und Handy), Fax, E-Mail und SMS schon vorbeugend allgemein und bei jedem frei geben soll. Werden auch Berufsgeheimnisträger zukünftig von staatlichen Abhöraktionen nicht mehr ausgenommen, so wird dies massive Probleme aufwerfen und ihre Arbeit erschweren.
Noch unterliegen bestimmte Berufe speziellem Schutz: Es ist nicht zulässig, diese im Rahmen von polizeilichen oder anderen staatlichen konkreten Ermittlungen abzuhören. Dabei geht es natürlich – was oft falsch verstanden wird – nicht darum, den Angehörigen dieser Berufe persönliche Sonderrechte zuzugestehen: Sollte ein Mediziner, ein Jurist, ein Kirchenangehöriger oder ein Journalist selbst etwas ausgefressen haben, so gelten für ihn dieselben Regeln wie für jeden anderen und sollte ein Vertreter dieser Berufe von einer geplanten Straftat erfahren, so ist er auch von sich aus verpflichtet, die Behörden davon zu informieren, nur eben ohne seinen Informanten hinzuhängen.
Doch während der in Karlsruhe am Verfassungsgericht am 3. März durch die Klage der extra dafür zurückgetretenen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu Fall gebrachte eigentliche "große Lauschangriff" in der seit 1998 genehmigten Form, also ein komplettes "Verwanzen" einer Wohnung oder eines Büros mit kompletter Aufzeichnung aller Gespräche, schon wegen des großen Aufwands nicht so verbreitet war, wie man befürchten muss – in München gab es gerade fünf solche Fälle bisher und in ganz Deutschland 119 Fälle in fünf Jahren – nimmt die vom Karlsruher Urteil nicht betroffene Telefonüberwachung, für die kein Eindringen in die Räumlichkeiten des zu Überwachenden notwendig ist, immer weiter zu: 1,5 Millionen Telefongespräche werden in Deutschland mit 82,5 Millionen Einwohnern bereits jetzt jährlich abgehört – in den USA mit 250 Millionen Einwohnern sind es gerade 25.000! – und während dies bislang der Polizei erst bei einem konkreten Verdacht erlaubt ist, bei der die Regeln ziemlich klar definiert sind, soll zukünftig bereits vorbeugend abgehört werden, wobei der Schutz der fraglichen Berufe nicht mehr gewährleistet ist. Auch beim Lauschangriff sind nur Pfarrer und Strafverteidiger ausgenommen. Der Verfassungsschutz darf übrigens in Bayern auch heute schon jederzeit und jeden abhören.
Das Vertrauensverhältnis wäre bei einer solchen Ausweitung der Abhörbefugnisse zerstört: Ein Pfarrer kann schließlich kaum noch erwarten, dass Gläubige offen beichten, wenn der Beichtstuhl verwanzt sein könnte und neben dem Pfarrer noch andere zuhören könnten. Ein Drogenabhängiger wird sich auch keinem Arzt mehr anvertrauen, wenn er dort von Dritten belauscht werden kann und damit rechnen muss, nach Verlassen der Praxis verhaftet zu werden. Auch wird niemand mehr wagen, der Presse Hinweise auf Missstände zu geben, wenn er selbst dabei Nachteile befürchten muss. Denn auch, wenn Dinge, die man der Presse mitteilt, in irgendeiner Form zur Veröffentlichung gedacht sind, soll dies ja erst nach Verifizierung durch einen Journalisten kontrolliert geschehen und Journalisten bekommen auch viele Hintergrundinformationen zum besseren Verständnis, die nicht zur direkten Veröffentlichung gedacht sind. Doch nun könnte, was heute dem Reporter der FAZ mit der Zusicherung der Vertraulichkeit erzählt wurde, bereits morgen im Polizeiprotokoll stehen und übermorgen mit der Nennung der Namen aller Beteiligten in der Bild.
Es geht also nicht um eine Immunität der Ausübenden dieser Berufe, sondern um den Schutz ihrer Kontakte. Diese können schon mit der Erkenntnis, dass solche Kontakte bestehen, gefährdet werden, es muss noch nicht einmal der Inhalt der Gespräche bekannt werden. Mit der ebenfalls geplanten Vorratsdatenspeicherung und das erweiterte neue Telekommunikationsgesetz ist dies sogar im Nachhinein möglich.
Technisch speichern die Telefongesellschaften nur die Verbindungsdaten und geben sie auf Anfrage den Behörden heraus. Die Überwachung der Gesprächsinhalte, des E-Mail-Verkehrs oder der Surftouren müssen die Behörden über die gesetzlich vorgeschriebenen "Hintertüren" in den Telekommunikationsnetzwerken selbst vornehmen. Außerdem haben sie die Möglichkeit, Telekommunikationsverbindungen zu unterbrechen – dies reicht vom simplen Absperren einer Telefonzelle, so diese noch eine Tür besitzt, bis zum ferngesteuerten Stilllegen des Anschlusses in der Vermittlungsstelle. Hier kann bei Bedarf auch eine Firma mit allen Durchwahlen auf einen Schlag abgeschaltet werden. Dabei sind aus zugesperrten Telefonzellen oder abgeschalteten Anschlüssen natürlich auch keine Notrufe mehr möglich. Hier liegt auch eine große Gefahr des "IMSI-Catchers" für Handys: Während dieser allen ihn umgebenden Mobiltelefonen vorspiegelt, eine Basisstation zu sein, um ihre Daten zu ermitteln, blockiert er den Netzzugang und damit selbst Notrufe. In Ballungsgebieten werden so unter Umständen Hunderte von unbeteiligten Teilnehmern temporär aus dem Telefonnetz gekickt.
In Thüringen wurde ein solches Gesetz bereits unbemerkt im Juni 2002 installiert: Die Polizei kann seitdem bereits auf Verdacht von den Telefongesellschaften Auskunft verlangen über den Inhalt von Ferngesprächen, die Verbindungsdaten und den Aufenthaltsort der Gesprächspartner, wenn diese ein Mobiltelefon benutzen. Nach einem Jahr war dies erst 13 Mal gemacht worden – und zwar um Vermisste zu finden. Das soll nun die Nützlichkeit des neuen Gesetzes beweisen, doch dazu hätte es kein neues Gesetz gebraucht, das war schon vorher erlaubt.
Ein weiteres Problem ist die mögliche Zweckentfremdung von Abhörergebnissen, so Bayerns Datenschutzbeauftragter Reinhard Vetter: Was man beim Abhören anlässlich eines Verdachts sonst so zufällig erfährt, ist vor der Verwertung zu schützen. So hat auch das Oberlandesgericht Karlsruhe am 3. Juni in einem Fall entschieden, in dem bei der Überwachung eines Dealers den Lauschern auch eine Kundin ins Netz gegangen war, die innerhalb von vier Monaten insgesamt drei Gramm für 150 Euro zum Eigenverbrauch gekauft hatte und die deshalb von der Polizei vorgeladen worden war. Erschwerend kam in diesem Fall dazu, dass die Beschuldigte nicht über das Abhören informiert wurde. Auch die Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten sieht Vetter als Problem, denn es wäre absolut undenkbar, beispielsweise auf gleiche Weise die Post dazu zu verpflichten, alle Absender und Empfänger von Briefen zu erfassen, um diese Daten für Ermittlungszwecke sechs Monate zu speichern.
Der Bayrische Journalistenverband (BJV) hatte gegen einen ersten derartigen PAG-Entwurf der CSU vom 24. April 04 protestiert, den diese am 7. Mai zurückzog: Fraktionschef Alois Glück verkündete, wegen des großen Wirbels in den Medien sei eine sachbezogene Diskussion im Wahljahr nicht möglich. Doch damit war das Thema nicht erledigt, nur vertagt. Selbst die Gewerkschaft der Polizei und die Staatsanwaltschaft lehnen den PAG-Entwurf ab.
Telepolis nahm am 24. Juni 04 an einem Hearing des BJV im Presseclub München teil, in dem geklärt werden sollte, wie die Position der verschiedenen Politiker und Behörden zu diesen Entwicklungen ist. Doch sagten die Vertreter des Innenministeriums und der Regierungspartei CSU ab – sie waren gerade dabei, über das neue Gesetz zu entscheiden und somit unabkömmlich. Stattdessen war die Opposition anwesend: Franz Schindler von der SPD-Fraktion, Vorsitzender im Rechts- und Verfassungsschutzausschuss, und Christine Stahl, ebenfalls in diesem Ausschuss, dann im Datenschutzausschuss und als erste Grüne im Kontrollausschuss für den Verfassungsschutz. Diese berichtete:
Wir sehen eigentlich seit 25 Jahren eine schleichende Erosion der Grundrechte. Wir brauchen grundsätzlich eine Debatte "Wo will unser Rechtsstaat, gerade nach den Ereignissen des 11. September, eigentlich hin?". Diese Debatte vermisse ich. Wir gehen davon aus, dass man auch mit diesem neuen Gesetz das kommen wird, wann auch immer weiter in diesen präventiven Bereich der Überwachung hineingeht, der per se für uns eigentlich schon ein Unding ist, weil unser Rechtsstaatssystem darauf ausgerichtet ist, dass die Polizei, die Staatsanwaltschaften, die Gerichte der Verfassungsschutz teils-teils erst dann überhaupt in Erscheinung treten, wenn es einen Anlass gibt. Aber jetzt wird ja schon immer stärker überwacht und kontrolliert, weil man meint, es könnte eine Gefahrenlage entstehen. Das halte ich für eine bedenkliche Entwicklung.
Franz Schindler von der SPD ergänzte hierzu:
Ein Sexualmord an einem Kind und wir haben tagelang die Diskussion über die Notwendigkeit der Verschärfung irgendwelcher Gesetze. Man fragt gar nicht, welche, sondern es muss dann alles verschärft werden. Das hat dazu geführt, dass es außerordentlich schwer geworden ist, banale Grundsätze wieder mal zu sagen, nämlich dass es in diesem Staat nicht nur das Interesse an der Herstellung höchstmöglicher Sicherheit gibt (das schon auch), sondern auch das Interesse des Einzelnen, in Ruhe gelassen zu werden von diesem Staat. Zu diesem Zweck haben wir Grundrechte. Und selbstverständlich werden wir kämpfen, dass die Konsequenzen aus dem Verfassungsgerichtsurteil hier auch einen Niederschlag in Bayern finden.
Danach betraten der bayrische Datenschutzbeauftragte Reinhard Vetter und Dr. Thilo Weichert, Leiter des Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, das Podium. Dort gibt es kein PAG, doch die Polizei kann trotzdem arbeiten:
Unsere Polizei funktioniert hervorragend. Sie erfreut sich des Datenschutzes. Und das Schöne ist, dass das Vertrauen der Bevölkerung, zumindest auch bei einer kritischen Öffentlichkeit, in die Polizei dadurch erheblich höher ist würde ich mal unterstellen und vermuten als dort, wo die Polizei sehr weitgehende Befugnisse hat.
Dr. Thilo Weichert
Reinhard Vetter beeilte sich, zu ergänzen, dass die bayrische Bevölkerung in ihre Polizei trotz PAG ebenfalls Vertrauen habe, kritisierte jedoch die Vorrratsdatenspeicherung und die langen erlaubten Lauschzeiträume:
Wenn ich drei Monate zuhören muss, um festzustellen, ob so eine Gefahr besteht, dann bestand die mit Sicherheit am Anfang nicht. Deswegen muss diese Frist erheblich verkürzt werden.
Dr. Weichert wies außerdem darauf hin, dass die Aufgaben der Polizei, des Verfassungsschutzes und des Geheimdienstes auch zukünftig streng getrennt bleiben müssen, weshalb die Polizei nur begrenzt verdeckt und vorbeugend tätig werden dürfe:
Das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz allgemein, Geheimdienst auf der einen Seite und Polizei auf der anderen Seite kommt ja aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus, mit der Gestapo, und sollte schon allein aus diesem Grund für uns auch ein historisches Vermächtnis sein.
Wie Reinhard Vetter zu berichten wusste, kontrolliert seine Behörde auch seit zehn Jahren einmal im Jahr den Verfassungsschutz, beispielsweise auf eine verbotene Kartei mit privaten Daten von Politikern, allerdings habe man nur 24 Beamte für ganz Bayern. Dr. Weichert relativierte wiederum den Bedarf für neue Gesetze:
Wenn es irgendwelche neuen technischen Erkenntnismethoden, Verarbeitungsmethoden, Auswertungsmethoden gegeben hat, hat die Polizei sie zunächst mal illegal angewendet und hat sich das danach legalisieren lassen. Dieser Prozess ist in den 50er, 60er Jahren mit der Bekämpfung des Kommunismus legitimiert worden, in den 70er und 80er Jahren war es die organisierte Kriminalität und wer weiß was. Heute haben wir die Kinderschänder und den Terrorismus. Deswegen ist unsere Sicherheitslage qualitativ nicht wirklich ganz massiv anders gewesen, sondern ich würde sogar sagen, heute leben wir erheblich sicherer als in den 70er oder in den 50er Jahren. Doch Terroristen haben natürlich immer die technischen Möglichkeiten, um das wieder auszuhebeln. Anonymisierungsdienste und wer weiß was alles. Betroffen wird durch diese neuen Kompetenzen der Normalbürger, der "normale" Journalist oder diejenigen, die arglos in unserer Gesellschaft sind, und die in einen Überwachungsdruck reinkommen.
Klaus Mähler von der Gewerkschaft der Polizei berichtete nun, dass das neue Urteil aus Karlsruhe einen "großen Lauschangriff" praktisch unmöglich gemacht habe, weil der Aufwand zu groß werde: Mit automatischen Aufzeichnungen, bei denen zehn Minuten Aufzeichnung bereits leicht fünf Stunden Arbeit auslösen, bis die für die Auswertung dokumentiert sind, laufe man ja nun auch noch Gefahr, etwas aufzuzeichnen, das nicht aufgezeichnet werden dürfe. Also müsse alles live gemacht werden und das auch mit Sprachen, für die es in Deutschland vielleicht mal gerade eine Handvoll Übersetzer gäbe. So gab es vor zwei Jahren eine Bankraubserie durch estnische Straftäter, doch gerade einmal drei Übersetzer, die diese Sprache beherrschten. Deshalb habe man auch gar kein Interesse daran, drei genehmigte Überwachungsmonate "auszusitzen", sondern schalte und baue ab, sobald man die gesuchte Information habe. Auch eine automatisierte Auswertung mit Spracherkennung scheitere an dem Problem anderer, seltener EU-Sprachen, nur Deutsch, Englisch und Französisch könnten von Computern direkt umgesetzt werden, so Dr. Weichert.
Christian Schmidt-Sommerfeld, leitender Oberstaatsanwalt bei der Oberstaatsanwaltschaft München I, schränkte nun ein, dass die Telefonüberwachung nicht wie der "große Lauschangriff" die Unverletzlichkeit der Wohnung tangiere sondern "nur" das Fernmeldegeheimnis. Allerdings sei es ein Problem, wenn man abschalten müsse, sobald die überwachte Person mit ihrem Arzt oder Anwalt spreche, denn man wisse ja nicht, wann man wieder einschalten dürfe.
Der SPD-Rechtsexperte Dr. Klaus Hahnzog verglich die präventive Überwachung mit der Gedankenpolizei im Spielfilm "Minority Report":
Es führt in eine Gesellschaft, in der in Zukunft jedem Säugling eine DNA-Probe abgenommen wird, ein kleiner Chip eingesetzt wird, dass man jederzeit feststellen kann, wo dieser Mensch, wenn er erwachsen wird und in Verdächte gerät oder noch nicht mal in Verdacht ist, feststellbar ist. Da haben die CSU-Kollegen im Landtag, als ich das vor ein paar Jahren anfing, diesen Satz zu prägen, immer sehr stark protestiert. Inzwischen protestieren sie gar nicht mehr dagegen, sondern man hat das Gefühl, sie sind völlig auf dem Weg.
Herr Dr. Fredrick Roggan von der Humanistischen Union warf dagegen ein, dass in der Bundesrepublik Deutschland ohnehin jedes Telefonat abgehört werde – und zwar von ausländischen Geheimdiensten. Wie diese Informationen dann nach Deutschland zurückkämen, möglicherweise auch noch verfälscht, sei völlig unkontrollierbar. Der Artikel 10 der Verfassung (das Brief- und Fernmeldegeheimnis, Red.) sei damit praktisch tot, man solle aber zumindest Wiederbelebungsversuche unternehmen, so Roggan.
Denn wenn man am Telefon nicht mehr frei kommunizieren kann und niemand sollte sich sicher sein, das tun zu können , dann sind wir in der Tat an einem prekären Punkt. Dann sind wir vielleicht kein Überwachungsstaat, der das von sich aus tut, aber mindestens da können wir sicher sein eine überwachte Gesellschaft.
Welche Problematiken so etwas erzeugen kann, erläuterte Roggan an konkreten Beispielen:
Wir haben, auch der Herr Vetter, immer mit Argusaugen beobachtet, dass der Kriminalaktennachweis (da sind Verdächtige drin, wo auch nach Abschluss eines Verfahrens ein Restverdacht drin war) einigermaßen handhabbar ist und kontrolliert wird. Und dann tauchte plötzlich in einem der Presseorgane, in der Mainpost in Würzburg, die Schlagzeile auf "Die Staatsministerin Stamm ist im Kriminalaktennachweis".
Die war völlig zu Unrecht drin. Da hatte irgendjemand sich beschwert über Sozialhilfe, und sie hatte gesagt, abschlägiger Bescheid, das geht nicht. Und da hatte der sie angezeigt wegen Rechtsbeugung.
Das wurde schnell eingestellt. Aber die Tatsache, dass sie angezeigt worden war, war drin. Und dass es eingestellt worden war, war nicht drin. Das gab einen Aufstand! Die beiden Minister Beck und Leeb damals als Justizminister haben sich entschuldigt.
Ein anderer Fall aus dem Grundrechtereport der Humanistischen Union: Jemand studierte Informatik mit tollem Examen und schrieb, als es noch gute Zeiten gab, überall seine Bewerbungen. Doch überall bekam er Absagen. Und all seine Spezln, die ein nicht so gutes Examen gemacht hatten, haben Stellungen gekriegt. Er war völlig geplättet, bis ihm mal einer den guten Rat gab, "guck doch mal, ob du in irgendeiner Kartei drin bist". Und dann stellte sich heraus, dass er irgendwo mal bei irgendwelchen linken Demonstrationen beteiligt war und am Infostand gestanden hatte. Das war der Grund.
Schließlich wurde noch besprochen, wie es bei der E-Mail mit der Überwachung stünde. Doch darüber ist von staatlicher Seite kaum etwas bekannt, das läuft bislang völlig unter der Hand, eine Statistik wie beim Telefon gibt es nicht und selbst Stop 1984 kennt keine konkreten Fälle, obwohl die automatisierte E-Mail-Überwachung wesentlich einfacher ist als beim Telefon und heute schon in Unternehmen beginnt: Im Gegensatz zum Telefon muss keine Spracherkennung mitlaufen, alle Daten liegen bereits digital vor. Zwar kann man mit PGP-Verschlüsselung die Mailinhalte vor einer Überwachung schützen, doch die Verbindungsdaten – also "wer mailt wem?" – sind auch bei PGP-verschlüsselten Mails offen einsehbar. Datenschützer Reinhard Vetter bemerkte hierzu:
Es ist schon unbestritten, dass der E-Mail-Verkehr unter den Grundrechtschutz, sei es des Telekommunikationsgeheimnisses, sei es des Briefgeheimnisses, auf jeden Fall Post- und Fernmeldegeheimnis fällt. Deswegen heißt es ja auch jetzt Telekommunikationsgeheimnis, weil diese neuen Übermittlungsmethoden da mit umfasst sind. Es ist bestritten, inwieweit gewisse Einzelheiten da jetzt so oder so durchzuführen sind. Aber es unterfällt dem Telekommunikationsgeheimnis. Also, wenn E-Mails von staatlicher Seite zur Strafverfolgung abgehört werden sollen, dann braucht man dazu eine richterliche Anordnung. So einfach geht das nicht. Eine andere Frage ist natürlich, wie das in der Praxis durchgeführt wird und wie es kontrolliert wird. Aber ich gehe, zumindest was die Behörden anbelangt, schon davon aus, dass das nach den entsprechenden Vorschriften der Strafprozessordnung geht, und nicht, dass man annimmt, E-Mail ist offen und unkontrollierbar und deswegen jederzeit abgreifbar.
Bei der Strafverfolgung wird meist auch gar nicht die E-Mail im Netz mitgehört, sondern einfach bei einer Hausdurchsuchung der Rechner mit den gespeicherten E-Mails beschlagnahmt. Das ist nicht nur technisch einfacher, sondern auch gesetzlich, wie Reinhard Vetter erläuterte: Das Brief- oder Fernmeldegeheimnis gilt nur während des Transports. Ist der Brief oder die E-Mail dagegen an ihrem Ziel angelangt – wozu noch nicht der Mailserver beim Provider zählt, aber sehr wohl der Rechner des Empfängers – so entfällt dieser Schutz: Bei einer – natürlich auch nur auf richterliche Anordnung mögliche – Hausdurchsuchung dürfen gefundene Briefe und E-Mails ohne zusätzliche Genehmigungen mitgenommen und ausgewertet werden. Diese wiederum müssen in Unternehmen zukünftig archiviert werden.
Und während in Bayern um das spezielle Polizeigesetz gestritten wird, ist dasselbe Thema in anderer Verpackung auch in anderen Bundesländern und im Bundestag selbst Anlass zu Stunk (Zypries stößt auf taube Ohren).