"Homeoffice darf nicht nur das Privileg einiger weniger bleiben"

Die Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Arbeit und Soziales, Kerstin Tack, erklärt, warum sie einen Rechtsanspruch auf Heimarbeit für nötig hält und was sie von der künftigen Führung der CDU erwartet

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Frau Tack, Anfang 2019 kündigte Arbeitsminister Hubertus Heil an, er wolle ein Recht auf Homeoffice durchsetzen. Woran liegt es, dass noch immer kein Gesetzentwurf vorliegt?

Kerstin Tack: Eines vorweg: Wer so tut, als sei das eine Idee, die Hubertus Heil mal eben so in die Runde geworfen hat, der täuscht die Bürger. Im Koalitionsvertrag steht, dass wir neue Chancen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schaffen wollen.

Von einem Recht auf Homeoffice steht im Koalitionsvertrag allerdings nichts.

Kerstin Tack: Wir haben mit der Union im Koalitionsvertrag vereinbart, mobile Arbeit zu fördern und zu erleichtern. Dass man den rechtlichen Rahmen dafür erst ausgestalten muss, dürfte niemanden überraschen.

Warum die Verzögerung?

Kerstin Tack: Das Arbeitsministerium hat begrenzte Arbeitskapazitäten.

Hat Herr Heil sich zu viel vorgenommen?

Kerstin Tack: Auf keinen Fall. Es ist normales Geschäft, die Aufträge aus dem Koalitionsvertrag auf die Legislatur aufzuteilen

Liegt es auch an dem monatelangen Streit um die Grundrente?

Kerstin Tack: Unter anderem. Wenn wir die Grundrente und alles, was damit zusammenhängt, vor dem Sommer abgearbeitet hätten, wären die Kapazitäten auf der Leitungsebene des Hauses frei gewesen. Da hat uns die Union leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber keine Sorge, die SPD hat das Thema Mobiles Arbeiten nicht vergessen. Wir planen ja noch zwei "Arbeit-von-morgen-Gesetze".

Die Grünen haben im Bundestag einen Antrag "Recht auf Homeoffice" eingereicht. Die für diese Woche vorgesehene erste Beratung wurde aber kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt ...

Kerstin Tack: ... Ich habe mir den Antrag in der vergangenen Woche durchgelesen und war doch etwas überrascht, wie wenig konkret er ist. Insgesamt liest er sich sehr oberflächlich. Nicht einmal der Rechtsanspruch steht drin!

Herr Heil wollte im Herbst einen Gesetzentwurf präsentieren, der einen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten schafft. Wann rechnen Sie mit der Präsentation?

Kerstin Tack: Zwischen Ostern und Sommer soll der Gesetzentwurf vorgelegt werden. Vorausgesetzt, die Koalition hält (lächelt).

Haben Sie etwa Zweifel daran?

Stand heute: nein.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier plädiert für individuelle Lösungen statt staatlicher Einmischung.

Kerstin Tack: Das ist die Meinung von Herrn Altmaier. Nur nebenbei: Er ist gegen fast jede Regelung. Wenn man seinem Ansatz folgte, dann hätten wir noch nicht mal einen Mindestlohn. Kurz: Es gibt Regelungen, die sind notwendig, damit sich für viele Bürger in Deutschland etwas zum Positiven bewegt.

"Bloße Anwesenheit ist kein Qualitätsmerkmal"

Die Union will von einem Recht auf Homeoffice nichts wissen. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?

Kerstin Tack: Offensichtlich legen wir den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag anders aus als die Union. Wir als SPD sagen ganz klar: All jene Arbeitgeber, die Homeoffice ablehnen, müssten künftig beweisen, dass es in ihrem Betrieb nicht möglich ist. Ein einfaches "Nee, will ich nicht", reichte da nicht.

Peter Weiß von der CDU sagte, das sei illusorisch, weil so zweierlei Arbeitsrecht geschaffen würde.

Kerstin Tack: Diesen Einwand kann ich nicht nachvollziehen. Auch heute haben wir zum Beispiel in der Arbeitsstättenverordnung den Rahmen für Telearbeit klar geregelt. Das hat im Arbeitsrecht auch nicht zu Verwerfungen geführt.

Aus Sicht der Union ist es Aufgabe der Tarifvertragsparteien, entsprechende Verabredungen zu treffen.

Kerstin Tack: Ja, auch ich finde es gut, wenn die Tarifparteien miteinander gute Vereinbarungen treffen. Leider können wir in Deutschland nicht überall auf starke Sozialpartnerschaften bauen. Deshalb hat der Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen, dass Homeoffice nicht nur das Privileg einiger weniger bleibt. Etwa 40 Prozent der Beschäftigen würden diese Möglichkeit gern wahrnehmen. Das ist ein klarer Auftrag an die Politik.

Haben Sie Verständnis für jene Arbeitgeber, die nicht wollen, dass der Staat in ihre betrieblichen Vereinbarungen hineinredet?

Kerstin Tack: Jedem ist freigestellt, Betriebsvereinbarungen zu treffen. Und wir würden uns freuen, wenn möglichst viele davon Gebrauch machen würden. Aber ich habe wenig Verständnis für Arbeitgeber, die ihren Beschäftigten schon allein das Gespräch über die Möglichkeit des Homeoffice verweigern, zugleich aber von ihnen ein hohes Maß an Flexibilität verlangen. Nein, so geht das nicht.

Ihr Koalitionspartner warnt vor fehlenden Kontrollmöglichkeiten, wenn Mitarbeiter zu Hause arbeiten.

Kerstin Tack: Ach, wer weiß denn so genau, was sein Mitarbeiter hinter der geschlossenen Bürotür macht? Ohnehin ist die bloße Anwesenheit für mich kein Qualitätsmerkmal. Kommt es heutzutage nicht eher auf Ergebnisse und andere Arbeitsnachweise an?

Das Büro darf der Chef betreten, die private Wohnung dagegen nicht. Wie sollte der Arbeitgeber also zum Beispiel seine ihm gesetzlich auferlegten Schutzpflichten erfüllen?

Kerstin Tack: Genau so etwas werden wir mit dem Gesetz klarstellen und damit für Rechtssicherheit sorgen. Denn bereits heute können arbeitsvertragliche oder kollektivrechtliche Vereinbarungen mobiles Arbeiten regeln. Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir beispielsweise gerade eine Dienstvereinbarung zum ortsungebundenen Arbeiten, also für Telearbeit und Home-Office, abgeschlossen. Es ist also schon möglich, ein rechtlicher Rahmen wird für die Beschäftigten aber zu mehr Schutz und Sicherheit führen

Angesichts der vielen Auflagen, die es schon jetzt gibt, drängt sich die Frage auf: Wie wollen Sie das Recht auf Homeoffice unbürokratisch umsetzen?

Kerstin Tack: "Bürokratiemonster" ist ja das typische Schimpfwort vieler CDUler, das sie bei nahezu jedem SPD-Vorschlag reflexhaft herausposaunen. Nach dieser Logik müsste der Gesetzgeber seine Arbeit einstellen, denn ein Gesetz ohne Regelungen, also ohne Bürokratie, habe ich noch nicht gesehen.

Mir erzählen die Bürger immer wieder: "Mein größtes Problem ist, dass ich jeden Tag drei Stunden im Zug oder Auto sitze, um zur Arbeit und zurück zu kommen. Wenn ich das an zwei Tagen reduzieren könnte, hätte ich schon einen großen Stressfaktor weniger." Das sollte uns Politikern zu denken geben. Wir alle wissen aus eigener Erfahrung, wie belastend diese Fahrerei sein kann. Sie stört die täglichen Abläufe, sie bringt Unruhe in die Familien. Ich verstehe nicht, wie man sich diesen Argumenten verschließen kann.

Sind Ihre Mitarbeiter rund um die Uhr für Sie erreichbar?

Kerstin Tack: In meinem Berliner Büro ist das sehr klar geregelt: Es gibt ein Wochenende. Und dieses Wochenende wird nur durch Krankheit und Tod gestört (lacht). In zehn Jahren ist es bislang erst einmal vorgekommen, dass ich am Sonntag einer Mitarbeiterin eine SMS schrieb, um ihr mitzuteilen, dass ich den Termin am Montagmorgen wegen einer Erkrankung nicht wahrnehmen könne - und sie bat, sich doch bitte darum zu kümmern. Am Wochenende oder nach Feierabend ist berufliche Kommunikation hier tabu. Ich möchte allerdings nicht verschweigen, dass der eine oder andere Kollegen aus dem Bundestag das anders handhabt.

Angesichts der Tatsache, dass SPD und Union seit Jahren über einen Rechtsanspruch auf mobile Arbeit streiten: Was macht Sie zuversichtlich, dass es doch noch zu einer Einigung kommt?

Kerstin Tack: Wie gesagt, es steht im Koalitionsvertrag. Dass wir auch diesmal wieder mit der Union werden diskutieren müssen, ist normal; schließlich geht es um eine Menge Details. Wir werden sehen, wie weit wir da kommen. Niemand kann ernsthaft etwas dagegen haben, dass der Gesetzgeber einen Rechtsrahmen schaffen will. Die Argumente der Gegenseite sind nicht überzeugend. Wir als SPD wollen das und werden das umsetzen.

"Ich habe Herrn Merz zu vielen Themen noch gar nichts sagen hören"

Frau Tack, zum Abschluss noch zwei Fragen zum Klima in der Koalition: Wie wirkt sich die Führungskrise der CDU auf Ihre Arbeit aus?

Kerstin Tack: Für uns Sozialdemokraten spielt das keine große Rolle.

Dafür gibt es aus den Reihen Ihrer Partei aber viele Kommentare...

Kerstin Tack: ... Ich weiß, wovon ich rede, im vergangenen Jahr waren wir es, die eine neue Führung suchten. Ein solcher Prozess ist für eine Volkspartei immer heikel. Wichtig ist, dass unterschieden wird zwischen den parteiinternen Diskussionen und der Koalitionsarbeit. Wir sind gewählt worden, um gut zu regieren. Das haben wir damals getan - und das tun wir auch heute noch.

Ich erwarte von der CDU, dass sie während ihrer Findungsphase diese Unterscheidung ebenfalls vornimmt. Wir werden uns nach der Wahl der neuen CDU-Parteiführung genau überlegen, ob wir unsere Themen noch umsetzen können und ob genug Vertrauen da ist. Sollte dies nicht mehr der Fall sein, stellte sich die Frage, ob eine Zusammenarbeit noch Sinn ergibt.

Wäre die Wahl Friedrich Merz' das Ende der Koalition?

Kerstin Tack: Das weiß ich nicht. Ich habe Herrn Merz zu vielen Themen noch gar nichts sagen hören. Ich brauche aber viel Fantasie, um mir vorzustellen, wie Merkel und Merz über ein Jahr lang vertrauensvoll und seriös miteinander arbeiten könnten. Da wäre ich sehr gespannt.

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