Homeoffice in Corona-Zeiten: Theorie und Praxis

Büros sollten jetzt so leer wie möglich sein. Aber wer definiert, was möglich ist? Foto: Free-Photos auf Pixabay / Public Domain

Was "zwingende betriebliche Gründe" sind, die während der Pandemie gegen Heimarbeit sprechen, davon haben Unternehmer wie Trigema-Chef Wolfgang Grupp eine andere Vorstellung als Gewerkschaften

Homeoffice ist eines der Stichworte, die besonders oft im Zusammenhang mit Akzeptanzproblemen für staatliche Anti-Corona-Maßnahmen fielen. "Ihr dürft weiter an bestimmten Orten Freunde treffen, solange 'bestimmte Orte' euer Büro sind und 'Freunde' euer Chef", lästerte im November die ZDF-"heute-show" über die Lockdown-Pläne der Bundesregierung. Klar war: Wer werktags längere Anfahrtswege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen muss, um einen Job im Großraumbüro zu erledigen, den er oder sie auch von zu Hause aus machen könnte, wird sich entweder nicht ausreichend vor dem Virus geschützt fühlen oder wegen der Einschränkungen des Privatlebens doppelt frustriert sein.

"Antiquiertes Kontrollverhalten" nennt es der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), wenn Chefs auch während der Pandemie Homeoffice verweigern, obwohl dies arbeitsorganisatorisch möglich wäre. Schließlich wurde gesetzgeberisch nachgebessert: Die im Januar beschlossene SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung schreibt zwar vor, dass dafür "zwingende betriebliche Gründe" genannt werden müssen - in der Praxis gibt es aber unterschiedliche Ansichten, was "zwingend" ist.

Der Textilhersteller Trigema in Burladigen setzt nach wie vor auf Präsenz - auch bei seinen Angestellten in der Verwaltung. Trigema-Chef Wolfgang Grupp sagt, er brauche seine Mitarbeitenden um sich, um schnell Entscheidungen zu treffen - deshalb lehnt er Homeoffice auch in Corona-Zeiten ab. Auf Anfrage von Telepolis war er bereit, das in einem Gespräch ausführlich zu begründen.

"Das hätte es bei mir nicht gegeben"

Auf die Frage, wie denn die Entscheidungsprozesse in seinem Unternehmen laufen, stellt Grupp erst einmal klar, wie sie seiner Meinung nach nicht laufen sollten - und nennt als Beispiel das tagelange Gezerre in den Unionsparteien um die Frage, wer für sie als Kanzlerkandidat ins Rennen gehen soll: "Allein die Sache mit dem Kanzlerkandidaten der CDU, das hätte es bei mir nicht gegeben", sagt er.

"Wenn bei mir der alte Produktionsleiter in Rente geht und ich einen neuen brauche und über 50 Prozent der Mitarbeiter für einen jüngeren Mitarbeiter stimmen, dann hätte ich innerhalb von zehn Minuten geklärt: Was für Vorteile hat der; hat er Nachteile - wenn es keine Nachteile gibt, dann wäre er bestimmt. Egal, was ich will. Ich muss ein bisschen mit des Volkes Stimme oder der Stimme meiner Mitarbeiter sprechen - und dazu brauche ich konstant meine Leute."

In der Verwaltung sind dies 38 Mitarbeitende inklusive Teilzeitkräfte - insgesamt 36 volle Stellen. Dazu gehören aber auch die zuständigen Mitarbeiter für Produktion, Zuschneiderei, Färberei. "Wir sitzen alle in einem Raum", betont er. Das sei wichtig, um die Dinge schnell regeln zu können. Es sei auch kein Gerücht, dass er bereits kurz nach seinem Eintritt in die Firma 1969 Wände habe einreißen lassen - er müsse seine Mitarbeiter sehen können.

Auf die Frage, ob denn alle in der Verwaltung Beschäftigten bei Entscheidungen mitreden dürfen, erklärt Grupp: "Die dürfen nicht, die müssen. Ich will von denen wissen, was ist." So arbeite es sich einfach effektiver. "Bei uns wird konstant was gemacht. Das geht bei uns Schlag auf Schlag; und meine Mitarbeiter wollen gar nicht ins Homeoffice." Das wisse er, weil sie ja sonst danach fragen würden - schließlich arbeite ein IT-Mann von zu Hause aus, der habe aber auch einen sehr langen Anfahrtsweg - 35 oder 40 Kilometer.

"Wenn der sagt, ich kann das von zu Hause, dann brauche ich die 80 Kilometer am Tag nicht zu fahren, dann habe ich dafür ja Verständnis", sagt Grupp. "Das ist ja nicht der, den ich konstant brauche. Wir haben zwei Leute, die das gewollt haben - und ich habe gesagt: Gut, ist mir egal, wenn was ist, kann ich Sie ja erreichen." Aber ansonsten gehe das nicht. Seine Buchhaltungsschefin oder sein Sekretariat, die könnten nicht im Homeoffice arbeiten. "Und auch der Verkauf, der muss laufend präsent sein." Natürlich habe er in seinem Unternehmen das letzte Wort, aber er übernehme ja auch für alles die Verantwortung und Haftung.

Ohne starken Betriebsrat wenig Chancen

Der Südwestdeutsche Rundfunk (SWR) hatte Grupp zuvor mit den Worten zitiert: "Homeoffice ist nichts für mich. Ich brauche meine Leute vor Ort, um schnell und effektiv Entscheidungen treffen zu können."

Die Gewerkschaft IG Metall bezweifelt Begründungen dieser Art, geht aber davon aus, dass Beschäftigte sich individuell nur schlecht dagegen wehren könnten. "Arbeitgeber sind verpflichtet, ihren Beschäftigten das Arbeiten im Homeoffice zu ermöglichen, sofern zwingende betriebsbedingte Gründe dem nicht entgegenstehen. Das gilt auch für Trigema", betonte am Mittwoch IG-Metall-Sprecher Artur Siemens gegenüber Telepolis. "Die Aussage 'Homeoffice ist nichts für mich. Ich brauche meine Leute vor Ort', dürfte als Begründung nicht reichen", so der Gewerkschafter.

Die Umsetzung der Verordnung gelinge seiner Erfahrung nach "überall dort gut, wo gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte auf die Umsetzung der Verordnung im Interesse der Beschäftigten achten". Bei Unternehmen ohne starke Interessenvertretung der Belegschaft komme es mitunter zu Problemen. "Unseren Mitgliedern raten wir in solchen Fällen, sich an ihre IG Metall vor Ort zu wenden."

Die besagte Arbeitsschutzverordnung galt zunächst bis zum 15. März und wurde bereits einmal bis zum 30. April verlängert. Voraussichtlich wird es nicht das letzte Mal gewesen sein. Zu Beginn der Pandemie waren allerdings auch die Gewerkschaften zurückhaltend beim Thema Homeoffice - sie befürchteten ausufernde Arbeitszeiten, zunehmende Schwierigkeiten bei der Trennung von Arbeit und Privatleben sowie Einsparungen von Büroflächen auf Kosten von Beschäftigten, die unfreiwillig zur Heimatarbeit gedrängt werden könnten und dann dauerhaft einen Teil ihrer Wohnung zum Arbeitsplatz umgestalten müssten.

Im November 2020 begründeten IG-Metall-Vize Christiane Benner und Bereichsleiterin Vanessa Barth in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, warum ihre Gewerkschaft "das Homeoffice jetzt mag" - und einen Anspruch auf mobiles Arbeiten fordert, wo dies möglich ist. Sie betonten aber zugleich, dass es für die Beschäftigten freiwillig sein müsse.

Laut einer aktuellen Studie der Krankenkasse DAK-Gesundheit könnten rund 45 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland nach eigener Auskunft zumindest einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice ableisten. Neun Prozent entscheiden sich laut der Untersuchung bewusst dagegen, drei Prozent berichten von einem Verbot durch Vorgesetzte in ihrer Firma.