"Honig für das Herz von Putin"
Trumps NATO-Kommentar: Reaktionen aus dem Baltikum und aus Polen
Obsolet: "Veraltet, überholt" - die abwertende Einschätzung des angehenden amerikanischen Präsidenten über die NATO könnte für die baltischen Staaten und Polen beunruhigender kaum sein.
Doch nach dem Interview mit der Times und der Bildzeitung bleibt es verhalten ruhig in den Ländern, die seit 2004 dem atlantischen Bündnis angehören. Druck wurde schließlich schon früher ausgeübt.
Im vergangenen Sommer hatte der amerikanische Immobilienmakler den baltischen Staaten bereits angedroht, die Beistandsgarantie zu versagen, da Beitragszahlungen für den Militärhaushalt nicht den Vorgaben entsprachen (Verunsicherung durch Donald Trump).
Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP hat die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite erklärt, dass sie von der künftigen US-Regierung "Kontinuität" erwarte, Trump solle die "Führungsfunktion" beibehalten. Deutlich ruhiger ist es im litauischen Blätterwald, ein Kommentar eines Regierungspolitker ist nicht zu finden. Stattdessen rauschen die Ängste in den Kommentarspalten der Nachrichtenportale vor einer russischen Aggression, ermutigt durch Trumps Herabsetzung der NATO.
Zur Beruhigung bemüht die Zeitung Lietuvos Zienos Saulius Anuzis, ein litauischstämmiges Mitglied der Republikanischen Partei, der bereits im Herbst Trump als litauenfreundlich pries. Durch den neuen Präsidenten würden sich die Beziehungen zwischen beiden Staaten verbessern. Er habe Berater, die sich der geopolitischen Lage bewusst seien.
Vielleicht ist der Beschluss des Innenministeriums vom Montag, einen 130 Kilometer langen Zaun an der Grenze zur russischen Oblast Kaliningrad zu bauen, bereits eine Antwort auf die Äußerungen Trumps. Panzer wird eine solche Vorrichtung zwar nicht aufhalten, jedoch könnte der Zaun einen "Hybridkrieg" erschweren, das Einsickern von feindlichen Truppen, was die baltischen Länder seit der Krim-Annexion befürchten. Auch Lettland und Estland haben schon mit dem Bau von Zäunen an der russischen wie weißrussischen Grenze begonnen.
In Lettland verharrt die politische Führung nach Trumps NATO-Kritik in ängstlicher Kommentarlosigkeit, in den Medien sind vor allem Äußerungen westlicher Politiker zu lesen. In Estland reagierte die estnische Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid unmittelbar mit einem Interview im estnischen Fernsehsender EER: Sie glaube nicht, dass "Trump so denkt". Der Spruch des Amerikaners sei ein Hinweis gewesen, dass jede Organisation ständig analysieren müsse, ob sie den heutigen Anforderungen entspreche. Die "Tradition der werteorientierten Politik" der USA bleibe bestehen.
Auch Außenminister Sven Mikser sieht die derzeitige Diskussion zu überladen. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass Estland seinen Verpflichtungen nachkomme, zwei Prozent des Staatshaushalts in die Verteidigung zu investieren. Litauen und Lettland liegen darunter.
Allerdings dürfte sich das kleinste der drei Länder bei dem gern nachtragenden Trump unbeliebt gemacht haben. Schließlich bezieht sich die Newsweek bei einem brisanten Bericht Anfang Januar auf Quellen des estnischen Geheimdiensts EIB, dass in Osteuropa ein Treffen zwischen einem Trump-Vertrauten und einem Putin nahen Abgeordneten stattgefunden haben soll.
"Auf Kosten der Kleinen und Mittelgroßen"
In Polen kommentierten die Medien das Interview weit deutlicher: "Zerschlägt Trump die NATO", so die Boulevardzeitung Fakt, "Honig für das Herz von Putin" titelte der Radiosender tokfm/.
Auch die konservative Zeitung Rzeczpospolitia sah in dem Trump-Interview einen "Eimer mit kaltem Wasser, der über die Köpfe der Bündnispartner" ausgeleert worden sei. Die Welt Trumps sei "ein Spiel der Großmächte und Konzerne auf Kosten der Kleinen und Mittelgroßen" - wie Polen. In der gleichen Zeitung versuchte der polnischen Außenminister Witold Waszczykowski zu beschwichtigen. Trump habe gegenüber dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda eine "Fortführung der bisherigen Sicherheitspolitik" bekräftigt. Man solle den Amtsantritt abwarten.
In Polen wurde am vergangenen Samstag eine US-Panzerbrigade mit 3500 Soldaten und 87 Panzern begrüßt. Offiziell ist man in Polen von der kommenden Präsidentschaft Donald Trumps sehr angetan. Schließlich gibt es durchaus Parallelen in der Rhetorik zwischen Trump und der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS): Man keilte gegen das Establishment, wollte den einfachen Leuten wieder zu einfachen Jobs verhelfen und pflegte einen harschen Ton gegenüber jeglicher Form von Opposition.