Hotspot Arktis: Was will die Bundeswehr im hohen Norden?

An der Militärübung "Arctic Challenge" (Bild zeigt norwegische F-35-Kampfjets) beteiligte sich auch die Bundeswehr. Foto: Master Sgt. Andrew Sinclair / Public Domain

Schrumpfendes Eis, militärische und wirtschaftliche Interessen: Die Region steht nicht nur im Fokus der Klimaforschung. Das zeigt die Antwort auf eine Anfrage der Linken im Bundestag.

Die Arktis als ein Ort, wo man sich besonders um friedliche Zusammenarbeit bemüht, der harschen Bedingungen und der empfindlichen Umwelt wegen – das war gestern. Das schrumpfende Eis hat sie sowohl für wirtschaftliche als auch für militärische Interessen geöffnet. Letzteres hat sich durch den Krieg in der Ukraine noch verstärkt.

Die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die Telepolis vorliegt, zeigt: Auch die Bundeswehr ist daran verstärkt beteiligt, wenn auch in begrenztem Maße. Und Klima und Umwelt ziehen dabei wieder den Kürzeren – wie immer, wenn es um militärische Interessen geht.

Gerade hat das Taktische Luftwaffengeschwader 31 "Boelcke" der Bundeswehr an der Übung "Arctic Challenge" im hohen Norden teilgenommen. Diese wird alle zwei Jahre von Norwegen, Schweden und Finnland seit 2013 gemeinsam ausgerichtet und fiel mit insgesamt 150 Flugzeugen größer aus als früher.

Nicht offizieller Teil der Übung war der US-Flugzeugträger Gerald R. Ford im Seegebiet vor dem norwegischen Bodø – aber dessen Anwesenheit demonstriert deutlich, wie die neue Realität am und jenseits des Polarkreises aussieht. Die russische Nordflotte übt fleißig in der Barentssee. Dabei kommt man sich durchaus nahe und beäugt sich gegenseitig – bisher zum Glück ohne Zwischenfälle.

Mehr Manöver mit Bundeswehr-Beteiligung

Die Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken zeigt, dass die Bundeswehr zunehmend an Militärübungen im hohen Norden beteiligt ist – waren es 2019 nur vier Manöver, waren es 2022 schon sieben, die meisten davon in Norwegen. "Seit dem Jahr 2019 ist Deutschland ein ständiger Teilnehmer an den Trainings- und Übungskonferenzen der norwegischen Streitkräfte", heißt es. In Norwegen und Kanada wurde auch Gerät erprobt, das die Bundeswehr bisher für Einsatz unter winterlichen Bedingungen bereithält.

Schon länger geplant war die Beschaffung von (weiteren) CATV (Collaborative All Terrain Vehicle) für arktische Verhältnisse. Diese sollen nun aus dem Sondervermögen finanziert werden. Im laufenden Jahr nahm die Bundeswehr bisher inklusive Arctic Challenge an sechs Manövern teil. Die Übung "Eiskristall 23" in Norwegen fand allerdings ohne deutsche Gebirgsjäger statt – kein Geld. Drei Millionen Euro waren dafür eigentlich vorgesehen.

2019 hatte die damalige Bundesregierung Leitlinien für die deutsche Arktispolitik verfasst. Diese sehen unter anderem den "Erhalt der Arktis als konfliktarme Region" und "Einsatz für einen konsequenten Klima- und Umweltschutz" vor. "Als Folge des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat sich das geopolitische Umfeld für die deutsche Außenpolitik signifikant verändert. Aus Sicht der Bundesregierung haben die Leitlinien deutscher Arktispolitik aus dem Jahr 2019 dennoch grundsätzlich weiter Bestand", heißt es nun auf die Anfrage der Linken.

Austausch und Forschungsarbeit behindert

Zu den Dingen, die sich in der Arktis konkret seit Russlands Invasion der Ukraine verändert haben, gehört der Ausfall der Arktischen Rates als Plattform für internationalen Austausch und Forschungszusammenarbeit. Die sieben West-Länder hatten die Zusammenarbeit mit Russland, das damals den Vorsitz hatte, eingestellt. Sanktionen verhinderten außerdem jegliche weitere Forschungszusammenarbeit mit Russland, selbst bei der so wichtigen Klimaforschung. Russland setzte daraufhin auch seine eigenen Prioritäten neu.

Dass Klimaforschung ohne die Daten aus dem größten arktischen Land auf Dauer nicht zielführend ist, hat Norwegen inzwischen erkannt: Als Norwegen vor kurzem den turnusmäßigen Vorsitz des Arktischen Rates von Russland übernahm, ein Meisterstück der Diplomatie, gab es auch vorsichtige Signale für Veränderungen, wie auch immer diese in Zukunft aussehen werden.

Die Bundesregierung ist noch nicht so weit, zumindest nicht offiziell: Russlands Angriff auf die Ukraine unterminiere auch die Werte, die die Basis von Wissenschaftsfreiheit und wissenschaftliche Kooperationsmöglichkeiten bildeten, heißt es in einer Antwort auf die Anfrage der Linken: " Er macht Kooperation mit Russland derzeit unmöglich, auch mit Blick auf eine freie und verantwortungsvolle Forschung in der Arktis."

Für den Linken-Abgeordneten Andrej Hunko, einen der Fragesteller, führt diese Haltung in die Sackgasse: "Dadurch entwickelt sich die ganze russische Arktis klimapolitisch zum ‚schwarzen Loch‘. Es ist ein Paradebeispiel dafür, wie undifferenziert eine Sanktionspolitik wirken kann. Die außerordentliche Bedeutung, die die Arktis für das Weltklima besitzt, macht diplomatische Initiativen zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine umso dringlicher."

Dass Anzahl und Größe der Manöver im hohen Norden zunehmen, belastet Umwelt und Klima zusätzlich. Der Anteil der Bundeswehr daran werde nicht erfasst, da er sich bei internationalen Kooperationsvorhaben nicht herausrechnen lasse, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken.

Dass Umwelt und Klima immer den Kürzeren ziehen, wenn es um militärische Interessen geht, ist allerdings nicht erst seit der Zerstörung des Kachowka-Staudamms oder der Sprengung von Nord Stream bekannt. Die Arktis hat hier ihre eigene, spezielle Liste. So richteten die USA Ende der 1950er Jahre im grönländischen Eispanzer Camp Century ein, inklusive Atomreaktor. Es zeigte allerdings, dass der ursprüngliche Plan nicht machbar war: In einer sich bewegenden Eismasse lassen sich keine Cruise-Missile-Abschussrampen installieren. Nach acht Jahren musste das Camp geräumt werden, auch der Reaktor wurde entfernt. Giftiger Müll blieb allerdings im Eis, aktuell unzugänglich.

Irgendwo bei Grönland liegt auch noch eine Atombombe. die beim Absturz einer B 52 im Jahr 1968 verlorengegangen ist. Barentssee und Karasee sind ein Friedhof für Atommüll des sowjetischen Militärs. Von den Plänen, die schlimmsten Objekte zu heben zu heben, hat man seit Beginn des Ukraine-Kriegs nichts mehr gehört.

Deutschland spielt militärisch in der Arktis bisher keine große Rolle. Wie die Antwort auf die Linken-Anfrage nahelegt, liegt der Fokus aktuell auch eher auf dem Engagement in Litauen. Deutschland hatte allerdings eine gut ausgestattete Arktisforschung, von der die Expedition Mosaic 2019/2020 nur das prominenteste Beispiel war – und die ohne die Kooperation Russlands nicht hätte stattfinden können. Gerade deshalb sollte man wissen, was auf dem Spiel steht.