Hürden für Nato-Beitritt von Schweden und Finnland
Die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten wäre nötig – bevor sie besiegelt ist, gilt keine Beistandspflicht
"Herzlich willkommen" seien Finnland und Schweden in der Nato, sollten sie eine Mitgliedschaft beantragen, erklärte der Generalsekretär des Militärbündnisses, Jens Stoltenberg, am Donnerstag vor Medien in Brüssel.
Es war eine der vielen Einladungen Stoltenbergs an die beiden Länder, die seit der russischen Präsenz an der ukrainischen Grenze ausgesprochen wurde. Verbunden mit dem Versprechen eines raschen und reibungslosen Verfahrens. Mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö telefonierte der Norweger noch am selben Tag, ein Treffen zwischen werde bald stattfinden.
Die Nato-Mitgliedschaft der beiden Länder scheint immer unausweichlicher zu werden, wobei ein Teil der deutschen Medien den Beitritt "herbeizuschreiben" oder "herbeizusenden" scheint. Dabei gibt es einige Hürden und Fragezeichen, die einen Beitritt verhindern oder komplizieren könnten, einmal ganz abgesehen von den Reaktionen Moskaus. Sicher ist: Die Regierungen beider Länder wollen bald entscheiden, wenn möglich, vor dem Nato-Gipfel in Madrid, der am 29. Juni beginnt.
Als wichtiger Eckpunkt gilt der 14. Mai. Dann wollen die regierenden finnischen Sozialdemokraten, ihren Beschluss zur Nato-Frage öffentlich machen. An diesem Tag beabsichtigt die Regierung in Stockholm eine Sicherheitsanalyse dem Parlament zur Diskussion überreichen. Gleichzeitigkeit wird angestrebt.
Dabei gilt der Nato-Beitritt von Finnland als wahrscheinlicher. Die aktuellen Umfragen liegen bei 65 Prozent Zustimmung, die meisten Abgeordneten haben sich positiv geäußert. Finnland soll seinen Beschluss zum möglichen Nato-Beitritt bereits am 12. Mai beantragen, berichtet die Zeitung Iltalehti.
Ein wenig anders sieht es in Schweden aus, wo die Umfragewerte geringer (57 Prozent) und die regierenden Sozialdemokraten zerrissen sind.
Der Nato-Rat selbst wird den beiden Ländern, die über gut organisierte Verteidigungsstrukturen verfügen, rasch grünes Licht geben. Doch dann müssen 30 Mitglieder allesamt zustimmen; eine Prozedur, die mehr als ein Jahr dauern kann. In dieser Zeit gilt für beide Länder noch nicht Artikel 5, der zum Beistand der Mitglieder verpflichtet, wenn ein Nato-Staat angegriffen wird.
Auch ist unklar, ob alle beteiligten Staaten einverstanden mit der "Nato-Norderweiterung" sind. Der kroatische Staatspräsident Zoran Milanovic schreckte Schweden und Finnland am Mittwoch auf, als er deren mögliche Mitgliedschaft als ein "Gefährliches Abenteuer" brandmarkte. Der Sozialdemokrat will das Parlament in Zagreb bitten, dies mit einem Veto zu verhindern.
Zwar versicherte der kroatische Außenminister Gordon Grlic Radman dem finnischen Amtskollegen Pekka Haavisto die Unterstützung des Parlaments wie der Regierung.
Mögliche Vorbehalte der Türkei
Doch kann es andere Länder geben, die mit dem möglichen Neuzugang unzufrieden sind. So etwa die Türkei. Diese hatte sich bei Schweden mehrfach über die engen Kontakte mit der SDF (Syrische Demokratische Kräfte) beschwert. Die kurdische Organisation beherrscht den Nordosten Syriens und leitet die Lager mit Gefangenen aus den Reihen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).
Die Türkei sieht die SDF als verlängerten Arm der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) an, die von der EU als "terroristische Vereinigung" eingestuft wird. Schweden gilt mit seiner lange Zeit großzügigen Asylpolitik zudem als Herberge vieler kurdischer Oppositioneller mit türkischer Staatsbürgerschaft.
Erschwerend für Schweden kommt hinzu, dass hier eine Zustimmung von 75 Prozent im Nationalparlament notwendig ist. Noch bis Ende März wollte die sozialdemokratische Regierungschefin Magdalena Andersson die Mitgliedschaft gar nicht erst diskutieren. Dann kolportierte die bürgerliche Zeitung Svenska Dagbladet am 13. April, der Redaktion sei zugetragen worden, die resolute Politikerin habe sich nun doch für den Beistand der Nato entschieden. Doch Andersson kann nicht so durchregieren wie dereinst in Deutschland Angela Merkel.
Die bürgerlichen und liberalen Parteien sowie die rechten Schwedendemokraten sind allesamt für den Beitritt. Andersson will das Thema daher bis zur Wahl im September vom Tisch haben und hat sich wohl auch aus pragmatischen Gründen dem Nato-Lager zugesellt.
Neben dem Nato-Gegner Linkspartei, der in Schweden vergeblich ein Referendum fordert, ist es möglich, dass ein großer Teil der Sozialdemokraten Andersson hier nicht folgen wird.
In Olof Palmes Tradition
Vor allem die älteren Mitstreiter sind noch von Olof Palmes Politik des dritten Wegs überzeugt und verweisen darauf, dass Schwedens Allianzfreiheit seit 1814 das Land aus vielen Konflikten, vor allem aus den beiden Weltkriegen herausgehalten habe. Dazu gehören die beiden ehemaligen Premierminister Göran Persson und Stefan Löfven, welcher Anfang Dezember das Regierungsamt an Andersson weitergereicht hatte.
Niklas Karlsson, der Sprecher der Partei für Verteidigung, sieht eine "Herdenmentalität" am Werke, die das Land zur Nato-Mitgliedschaft führe. Da Russlands Präsident Wladimir Putin schon mit der Ukraine nicht klarkomme, sei Schweden nicht in Gefahr. Zu den Gegnern zählt auch Verteidigungsminister Peter Hultqvist, der noch im Herbst versprach, niemals an einem Mitgliedsverfahren für die Nato beteiligt sein zu wollen. Nun soll massiver Druck innerhalb der Partei auf ihn ausgeübt werden.
Mit seinem finnischen Amtskollegen Antti Kaikkonen soll Hultiqvist zudem ein bilaterales Verteidigungsbündnis besprechen. Dabei sollten die USA eingebunden werden. Allerdings ist von diesem Projekt neuerdings nichts mehr zu hören.
Im Mai wird via Zoom ein sogenannter "Nato-Dialog" über drei Tage mit Mitgliedern der "S" geführt, wie die Traditionspartei im Kürzel heißt. Diese Debatte wird von der ehemaligen Außenministerin Margot Wallström geleitet, die sich als klare Befürworterin eines Beitritts ausgesprochen hatte, sollte sich Finnland ebenso dazu entscheiden.
Neben den "Alten" ist auch der Jugendverband der Sozialdemokraten – traditionell eher links eingestellt – gegen eine Nato-Mitgliedschaft.
Viele der Parteimitglieder stört zudem, dass nun die Diskussion so sehr beschleunigt wird, schon am 22. Mai, acht Tage nach der Publikation der Sicherheitsanalyse, soll eine Entscheidung fallen. Die Nato-Befürworterin Ann Linde macht hier besonders Druck.
Interessant ist die Position des bekannten Kreml-Kenners – wie Kritikers – Martin Kragh. Der eher bürgerlich orientierte Politikwissenschaftler will sich zur Nato-Frage "als Agnostiker" nicht äußern, verlangt jedoch eine sehr gute Vorbereitung des schwedischen Militärs auch im Cyber-Bereich auf eine mögliche russische Aggression.
Entmilitarisierte Inseln
In Finnland bilden die Alandinseln vielleicht keinen Hinderungsgrund für eine Nato-Mitgliedschaft, wohl aber eine Komplizierung. Denn die Inselgruppe zwischen dem schwedischen und finnischen Festland ist mit Unterbrechungen seit dem Krim-Krieg 1854 entmilitarisiert.
Ein von der Sowjetunion 1940 erzwungener Vertrag, der nach dem Zweiten Weltkrieg erneuert wurde, hat dies für die 6700 Inseln zwischen dem finnischen und schwedischen Festland vorgeschrieben. Ein russisches Konsulat auf der Insel überwacht hier weiterhin diesen Status Quo, es ist das einzige Konsulat auf der Welt, welches diese Art von Kontrollfunktion ausübt
Nun werden im Parlament Stimmen von Abgeordneten verschiedener Parteien laut, diese Entmilitarisierung der strategisch wichtigen Inseln aufzuheben und auf der Insel eine finnische Militärbasis zu errichten.
Auch Jukka Tarkka, Doktor der Politikwissenschaften und Experte für Sicherheitspolitik und Saila Heinikoski, leitende Forscherin am Institut für Außenpolitik sowie zwei weitere namhafte Wissenschaftler aus Militär und Politik sind dieser Meinung, wie finnische Medien berichten. Bei der Verhandlung mit der Nato
Dort will der finnische Außenminister Pekka Haavisto derzeit das Thema jedoch nicht haben. Kürzlich erklärte der Grüne auf einer Pressekonferenz mit der schwedischen Außenministerin Ann Linde, dass eine Nato-Mitgliedschaft Finnlands den Status der Insel nicht verändern würde.