Humanitäre Intervention als propagandistischer Normalfall

Interview mit Christoph Kampmann zur Geschichte eines Phänomens

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In den letzten zwanzig Jahren begannen militärische Auseinandersetzungen mehrfach als "Humanitäre Interventionen". Der Historiker Christoph Kampmann hat entdeckt, dass die für solche Eingriffe eingesetzten Argumentationen nicht erst in der Ära nach dem Kalten Krieg entstanden, sondern weitaus früher zum Einsatz kamen.

Herr Professor Kampmann - Sie arbeiten derzeit an einem Forschungsprojekt, in dem es um Humanitäre Intervention in der Geschichte geht. Wie weit könnte man das zurückverfolgen?

Christoph Kampmann: Das Thema, das ich da verfolge, heißt: "Schutz fremder Untertanen". Der Begriff der Humanität taucht erst in der Aufklärung auf, aber von der Sache her ist das weit zurückzuverfolgen. Es wird nämlich das Eingreifen in ein anderes Gemeinwesen damit gerechtfertigt, dass der Eingreifende die dort lebenden Untertanen gegen Tyrannei oder gegen Übergriffe schützt. Das kann man im Grunde so lange zurückverfolgen, so lange es unterschiedliche Gemeinwesen gibt; so lange es also Grenzen gibt, nach denen die Gemeinwesen unterscheidbar sind. Das ist in Europa ein Vorgang, der in unterschiedlichen Phasen abläuft. Letztlich gibt es solche Vorgänge bereits in der Antike.

Da gibt es natürlich auch Phasen, in denen man nicht von geordneter Staatlichkeit sprechen kann. Da kann ein Historiker diesen Vorgang natürlich auch nicht systematisch untersuchen, denn es gehört ja gerade dazu, dass in fremde Gemeinwesen oder Staaten eingegriffen wird. Aber in dem Moment, in dem es wieder Staatlichkeit gibt - das würde ich im späteren Mittelalter wieder eindeutig ansetzen -, lässt sich das Thema auch wieder verfolgen. Und es gibt dann auch das Phänomen, dass Fürsten oder Gemeinwesen sich zum Eingreifen entschließen - nicht, um eigene Untertanen zu schützen, sondern um dort lebende Untertanen eines fremden Herrschers zu bewahren.

Das heißt, der erste Kreuzzug, zu dem Papst Urban II eine Predigt hält, in der er beklagt, dass die Christen im Heiligen Land mit den Gedärmen an Pfähle gebunden und um diese herum gepeitscht werden, wäre dann nicht von dieser Definition erfasst?

Christoph Kampmann: Nein, wäre es nicht. Erstens erkennt man im Mittelalter die Staatlichkeit nichtchristlicher Gemeinwesen nicht so einfach an, sondern bestreitet ihre Legitimität insgesamt. Das ist ein etwas anderer Vorgang. Zweitens schützt man ja sozusagen die eigenen Schutzbefohlenen. Ich würde sagen, das ist definitorisch ein etwas anderer Fall. Das würde ich nicht unter den Begriff der Intervention nehmen, auch wenn es um fundamentale Menschenrechte geht, mit denen argumentiert wird - unabhängig davon, ob das tatsächlich so war oder auch nicht.

Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit sind es dann aber ebenfalls Glaubensgenossen, für die gerne eingeschritten wird?

Christoph Kampmann: Ganz richtig, wobei es auffällig ist, dass nie gesagt wird: "Wir missionieren", also kämpfen für die Verbreitung unseres Glaubens. Stattdessen wird eben immer argumentiert: "Wir kämpfen, um die Rechte unserer Glaubensgenossen zu verteidigen." Jenseits des Glaubens kommt es in der frühen Neuzeit aber auch sehr häufig vor, dass es heißt: "Wir kämpfen, um die fundamentalen Rechte der Leute dort zu bewahren." Ein ganz berühmtes Beispiel ist das Eingreifen des Königs von Frankreich im Reich 1552. Da heißt es von seiner Seite: Weil die Deutschen von ihrem schrecklichen Herrscher Karl V. so unterdrückt werden, muss ich eingreifen um sie zu retten. Das ist ein klassischer Fall einer solchen Intervention.

Und das ist genau die typische Argumentation. Er bestreitet nicht die Legitimität der Herrschaft des Kaisers. Er sagt nicht, dass das eigentlich seine Untertanen seien. Er gibt zu, dass das fremde Untertanen sind, greift aber ein, um sie zu schützen, weil sie in Sklaverei geworfen werden. Da geht es nicht um Glauben, denn Karl V. und Franz von Frankreich hatten den selben Glauben. Natürlich schützt Franz bei der Gelegenheit auch Protestanten - aber das ist nicht die Argumentation. Das heißt also, dass es zwar häufig um Glauben geht - es geht aber auch häufig um etwas, was wir heute als fundamentale Menschenrechte bezeichnen würden. Damals sprach man eher von Naturrechten, aber von der Sache her ist das das Gleiche.

Und Karl V. bekommt Briefe von Cortez, in der dieser seine Conquista mit Götzendienst und Menschenopfern rechtfertigt.1

Christoph Kampmann: Hier müsste man genau untersuchen, wie argumentiert wird. Um den Fall vergleichbar zu machen, müsste man ja sagen, dass es Gemeinwesen sind, die auch anerkannt werden, aber in denen die Leute schlecht behandelt werden. Ich glaube jedoch, Cortez argumentiert, dass das grundsätzlich nicht Zivilisierte sind, und greift deshalb dort ein. Ich sehe diesen Fall eher parallel zu den Kreuzzügen.

Im 19. Jahrhundert ist es ja dann sehr oft die Sklaverei, die als Grund für Interventionen herangezogen wird.2

Christoph Kampmann: Im 19. Jahrhundert greifen die europäischen Mächte asymmetrisch in Gemeinwesen ein, die unzivilisiert sind. Dabei wird gar nicht bestritten, dass es sich dabei um Staaten handelt. Aber man nimmt sich das Recht, dort beschützend einzugreifen. Das geschieht erstmals richtig in Griechenland beim griechischen Unabhängigkeitskrieg, in dem man dem Osmanischen Reich vorwirft, dass es die dort lebenden Griechen schlecht behandelt - wobei die Souveränität des Osmanischen Reiches durchaus anerkannt wird.

Die intervenierende Macht greift also in Staaten ein, die sie für eine Stufe unter dem eigenen Staat stehend hält. Hier kommt ein Zug von Halbkolonialismus hinein. Den gab es in der frühen Neuzeit noch nicht, weil das in Europa selbst unter gleichen Souveränen stattfand. Und das zieht sich durch das 19. Jahrhundert hindurch. Es lassen sich zahlreiche solcher Fälle ansehen - und immer sind es entwickelte europäische Staaten gegenüber unterentwickelten nichteuropäischen Staaten. Dabei bekommt die Argumentation den Anschein einer Zivilisierungsmission. Spannend an der frühen Neuzeit ist ja, dass sich das Problem in Europa selbst abspielt und damit auch unter anderem die Deutschen selbst Opfer oder Beglückte dieser Intervention sind.

Beglückt wurden sie ja unter anderem durch Gustav Adolf, der im Dreißigjährigen Krieg von Schweden aus eine solche Humanitäre Intervention durchführt.

Christoph Kampmann: Genau. Gustav Adolf argumentiert einerseits klassisch völkerrechtlich, dass er angegriffen worden sei. Andererseits argumentiert er - interessanterweise nicht in den offiziellen, sondern nur in inoffiziellen Schriften - mit der deutschen Freiheit, die verteidigt werden müsse. Weil der deutsche Kaiser seine protestantischen Untertanen unterdrückt, würde er einrücken. Es gibt also eine offizielle Schiene, auf der er sehr vorsichtig argumentiert, und eine inoffizielle, in der er in eigenen Flugschriften sagt: "Ich komme, um die Rechte der Deutschen zu verteidigen." Das ist genau diese Intervention, die ich meine.

Die Folgen von Gustav Adolfs Intervention sind ebenfalls interessant.

Christoph Kampmann: In der Tat. Ich halte den Blick in die Geschichte für so wichtig, weil Interventionen, die mit dem Schutz der dort Lebenden argumentieren, oft verheerende Folgen für die so Beschützten mit sich bringen. Das Eingreifen Schwedens - das ist wohl unbestreitbar - führte wohl zwar einerseits tatsächlich dazu, dass der Kaiser seine Herrschaft nicht weiter ausbauen konnte. Aber streng humanitär betrachtet führte es darüber hinaus dazu, dass sich der Krieg zu einem europäischen Staatenkrieg ausweitete, der bis zu diesem Glücksfall des Westfälischen Friedens kaum zu begrenzen war. Es wurden Verheerungen angerichtet, und es zeigt sich, wie problematisch solche Interventionen sind, wenn keine sorgfältigen Risikoabschätzungen angestellt und die Folgen für die Befreiten zu wenig beachtet wurden. In diesem Fall war es verheerend, da die Schweden aus ihrem Land selbst den Krieg finanzieren und unter den Lasten dieser Intervention langsam zusammenbrachen, weshalb sie schließlich Deutschland für den Krieg ausbeuten mussten - die Folgen daraus sind ja bekannt.

Gibt es Unterschiede zwischen den Humanitären Interventionen in der Geschichte und denen, die wir aus den letzten beiden Jahrzehnten kennen?

Christoph Kampmann: Wir haben in der frühen Neuzeit und bis ins 19. Jahrhundert Fälle, in denen wir den Ausgangspunkt und durch die historische Dimension auch die Folgen näher betrachten können, was bei aktuellen und noch laufenden Interventionen natürlich nicht möglich ist. Trotz der enormen Unterschiede, die sich inzwischen waffen- und kommunikationstechnisch ergeben haben, gibt es erstaunliche Parallelen. Man diskutiert nämlich über genau die gleichen Dinge. Es wird über die Risikoabwägung argumentiert, über die Folgen für die Menschen, über die völkerrechtliche Problematik und über das Verhältnis von Machtpolitik und Humanität. In der Geschichte wurden immer die gleichen Themen aufgegriffen, und das finde ich überraschend.

Es gibt natürlich gewaltige Unterschiede hinsichtlich der überbrückten Wege. In der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert handelte es sich natürlich um relativ ortsnahe Interventionen. Man konnte noch nicht so weit entfernt eingreifen, erst durch das Fortschreiten der Waffen- und Kommunikationstechnologie hat sich die Interventionsmöglichkeit in allen Weltgegenden entwickelt. In den letzten zwei oder drei Jahrzehnten lässt sich auch in ganz entlegenden Weltgegenden rasch und mit großem Einsatz intervenieren. Im Prinzip ändert das aber an der Sache wenig.

In alten Missionszeitschriften aus dem 19. Jahrhundert finden sich verblüffende Parallelen zur Argumentation der 1990er Jahre für Humanitäre Interventionen.

Christoph Kampmann: Und wenn Sie noch weiter zurückgehen, dann bleiben diese Argumentationen trotzdem die gleichen. Schon die aktuelle Frage, wer da eigentlich Recht hat, ist davon betroffen. Hier wird die Menschenrechtsdiskussion umgedreht: Menschenrechte sind eigentlich Schutzrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Hier aber sagt der Staat: "Wir schützen Menschenrechte. Und wir entscheiden, wen wir beschützen." Damit steht der ganze Menschenrechtsdiskurs auf dem Kopf - und das passiert, ohne dass man genau hinsieht. Der Staat gesteht, mal Menschenrechte zu schützen und mal nicht. Was ursprünglich dazu gedacht war, den Einzelnen vor dem Staat zu schützen, wird zu einem Schutz des Staates für den Einzelnen, der dann auch gar nicht gefragt werden muss. Die Beschützten werden ja nicht gefragt, ob sie beschützt werden wollen.

Diese Umkehrung wird schon bei Grotius diskutiert. Der fragt nämlich bereits im 17. Jahrhundert, wo eigentlich diese Rechte liegen. Im Grunde schärft das den Blick für ganz aktuelle Dinge, auch wenn er vom Naturrecht des Einzelnen spricht. Von diesem Begriff darf man sich nicht täuschen lassen, denn er meint genau die unmittelbaren Rechte, die jedem Einzelnen zustehen, und diese nennen wir Menschenrechte. Das ist die brisante Frage. Diese Umkehrung der Schutzrechte des Staates kommt durch die Hintertür. Dass andersherum jemand das Recht hätte, beschützt zu werden, würde man immer streng in Abrede stellen. Wenn in einer uninteressanten Gegend jemand eine Humanitäre Intervention fordert, dann wird sich auf die völkerrechtliche Unmöglichkeit berufen. Damit haben sie ja auch gewissermaßen Recht, aber in anderen Fällen setzt man sich darüber auch hinweg.

Haben Sie denn schon einen Überblick, ob die Folgen zum größten Teil negativ waren, oder gab es auch positive Beispiele für Humanitäre Interventionen in der Geschichte?

Christoph Kampmann: Das ist sehr schwer zu sagen. Um eine systematische Antwort zu geben, müsste man sie alle untersuchen - und das ist kaum möglich. Man kann aber sehen, dass es bei all diesen Fällen erst einmal immer das Risiko des Krieges, also einer Ausweitung, gibt. Ein Krieg ist natürlich immer eine unkontrollierbare Entwicklung mit verheerenden Humanitären Folgen. Dies lässt sich sehr oft nachweisen.

Ein zweiter Punkt, der auffällt, ist, dass es nie eine einfache Rechnung gibt, die besagt, dass alle gewonnen oder verloren haben. Stattdessen gibt es immer Gewinner und Verlierer, weil sich die Machtverhältnisse in den intervenierten Gebieten ändern. Um das Beispiel der Glorreichen Revolution aufzugreifen: Für die irischen Untertanen der englischen Krone war beispielsweise diese Entwicklung verheerend. Es lassen sich also auch nie ganz einfache Antworten hinsichtlich der Gewinner und Verlierer geben. Was man aber sagen kann, ist, dass sehr häufig die ursprüngliche Idee der Intervention durch die innere Dynamik eines Krieges gar nicht mehr im Auge behalten werden konnte.

Wie sieht es eigentlich mit der Aufrichtigkeit der Motive aus? Bismarck soll ja gesagt haben: "Kann man nicht irgendwo schaurige Details über Menschenquälerei auftreiben?" Mit Nietzsche gesprochen entspräche das ja dem Satz: "Niemand lügt so viel wie der Entrüstete."

Christoph Kampmann: Ich glaube, es ist nur ganz selten eine rein zynische Argumentation. Dass man sich überhaupt nicht um Humanität und nur um Machtpolitik kümmert ist wohl nur ganz selten die Ausgangslage. Andererseits wird man keinen Fall finden, in dem es überhaupt nicht um strategische Machtpolitik geht. Das lässt sich ganz einfach daran ablesen, dass es solche Humanitären Interventionen nicht gibt, wo nicht der Intervenierende auch machtpolitische strategische Interessen hat. Ein Eingreifen ohne eigene machtpolitische Interessen gibt es nicht, selbst wenn diese nicht genannt werden.

Ich würde das also nicht als reinen Schwindel oder Vorwand bezeichnen, aber die reine Humanität gibt es sicherlich nie. Es finden schon immer vor aller Augen Humanitäre Katastrophen statt, ohne dass sich irgendeine Hand rührt, weil die des Eingreifens fähigen Mächte eben in der Weltgegend keine strategischen Interessen haben. Und dann findet eben auch keine Intervention statt.

Ein spannender Punkt ist aber der folgende: Es gibt kein Recht auf Intervention. Das ist auch das etwas Verlogene an dieser ganzen Argumentation. Im Grunde sind die Staaten die Akteure, die sich aussuchen, wo sie humanitär intervenieren. Wenn andererseits eine humanitäre Katastrophe irgendwo stattfindet, dann können nicht die dort Unterdrückten nach einer solchen Intervention rufen. Das ist also ein sehr einseitiges Recht: Man erklärt das zum humanitären Fall und greift ein, während woanders gesagt wird, dass es völkerrechtlich keine Handhabe gäbe, weil es eben ein fremder Staat sei. Also findet dort keine Intervention statt. Das ist auch das moralisch problematische an der Situation: Einmal wird das als Grund genommen, nicht einzugreifen, ein anderes Mal setzt man sich darüber hinweg. Und meistens setzt man sich dort darüber hinweg, wo man machtpolitische Interessen hat.

Machtpolitische Interessen gibt es seit der Neuzeit ja fast überall, aber die werden, wenn man nicht eingreift, zurückgestellt. Es findet also eine Abwägung statt, dass die eigenen Interessen durch eine Intervention stärker gefährdet sein könnten als durch eine Nicht-Intervention.

Christoph Kampmann: Es muss schon nicht nur irgendwelche, sondern ganz gravierende eigene Interessen geben, damit eingegriffen wird. Man hat möglicherweise überall Interessen, aber um einzugreifen, müssen diese schon sehr gravierend sein. Wenn diese Interessen nicht da sind, dann tut sich nichts. In der frühen Neuzeit hatte man in weiter entlegenen Gebieten im Allgemeinen keine Interessen und deshalb nicht eingegriffen. Heute sind es Gebiete ohne besondere ökonomische und militärische Relevanz: Wenn Völkerkatastrophen in Afrika stattfinden, dann wird mit der völkerrechtlichen Problematik gegen das Eingreifen argumentiert. Wenn aber Interessen da sind, dann greift man trotzdem ein.

Das heißt also: Bei den Verfolgungen von Armeniern im Osmanischen Reich gab es keine solchen gravierenden Interessen?

Christoph Kampmann: Exakt. Das wurde von allen beteiligten Mächten beobachtet, man wusste also darum. Nun war es ohnehin die Kriegssituation des Ersten Weltkrieges, in der das alles stattfand. In diesem Fall wäre also Deutschland als Bündnispartner des Osmanischen Reiches gefordert gewesen, hat das aber in der Situation hingenommen, ebenso wie die Alliierten, die ja die Gegner des Osmanischen Reiches waren. Das wurde wohl auch nicht als besondere Affäre betrachtet. Man hat das der kriegerischen Gesamtsituation untergeordnet.

Wann gibt es die ersten Publikationen aus Ihrem Projekt?

Christoph Kampmann: Ich hoffe, dass ich im Laufe des kommenden Jahres schon Ergebnisse vorweisen kann. Wann diese publiziert werden ist allerdings noch offen. Jetzt beginnt erst einmal die Archivreise. Ich werde dabei einige Tiefenbohrungen anstellen: Ich schaue mir einige besonders auffällige Fälle Humanitärer Intervention an, versuche die diplomatischen Vorbereitungen in den Blick zu nehmen und hoffe, im Laufe des kommenden Jahres schon erste Ergebnisse zu haben. Ich konzentriere mich dabei auf das 17. Jahrhundert und werde mit der Glorreichen Revolution anfangen. Diesen Fall habe ich deshalb ausgewählt, weil hier bei der Intervention ausschließlich mit dem Schutz der Fremduntertanen argumentiert wird. Niemand bestreitet in dem Fall, dass es nur um den Schutz fremder Untertanen geht. Das ist ein ganz seltener Fall, weil meistens verschiedene Beweggründe zusammenkommen, auch in der Moderne. Da heißt es dann: Wir verteidigen unsere eigene Sicherheit und wir verteidigen die Anderen. Bei diesem Fall spricht man aber nur von der Verteidigung der Anderen, und ich will mir ansehen, wie da argumentiert wird und wie die Anderen das aufnehmen.

Eigentlich ist dieses Forschungsprojekt viel zu groß für nur eine Disziplin. Ich glaube, dass auch beispielsweise die Politikwissenschaften gut beraten wären, die zeithistorische Dimension näher in den Blick zu nehmen, also viel stärker das 19. und 20. Jahrhundert anzuschauen, weil man da eben auf einen historischen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Mir scheint, dass dieser Erfahrungsschatz zur Zeit relativ wenig genutzt wird und man viel zu schnell von ganz konkreten Gefahrensituationen der Gegenwart ausgeht ohne diese andere Dimension. Und das ist auch eine Bringschuld der Wissenschaft gegenüber der Politik. Da hilft es nicht, zu klagen, was in der Politik alles falsch gemacht wird, sondern die Wissenschaft muss Material bereitstellen, um hilfreich sein zu können.