Hussein und der Giftgaseinsatz im Nordirak
Ex-CIA-Mann zweifelt an irakischer Schuld an dem Massaker von Halabja und löst eine heftige Debatte aus
Der Giftgas-Angriff auf die kurdische Stadt Halabja im März 1988 gilt als eines der schwersten Verbrechen des Regimes von Saddam Hussein. Diese Tötung von Menschen des eigenen Landes wird von der US-Regierung stets besonders hervorgehoben, um auf die Gefährlichkeit und Grausamkeit des Diktators hinzuweisen. Nach Angaben von Human Rights Watch wurden dort mindestens 3200, möglicherweise aber auch mehr als 5000 Menschen ermordet. Jetzt hat ein ehemaliger amerikanischer CIA-Mitarbeiter die Geschichte vom irakischen Giftgasangriff auf die Zivilbevölkerung in Frage gestellt - und damit für helle Aufregung gesorgt.
In der sonst nicht als besonders verschwörungstheoretisch geltenden "New York Times" erschien erschien am 31. Januar ein Kommentar von Stephen C. Pelletiere, der von 1988 bis 2000 als Professor am Army War College lehrte und davor als Analyst beim Geheimdienst CIA beschäftigt war. Pelletiere zweifelt darin an, dass die irakische Armee für das Verbrechen verantwortlich war:
"Alles, was wir sicher wissen, ist, dass Kurden an diesem Tag in Halabja mit Giftgas angegriffen wurden. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass irakische Chemiewaffen die Kurden getötet haben."
Laut Pelletiere, der sich auf Erkenntnisse aus seiner Zeit bei der CIA sowie auf seine Arbeit als Leiter einer Kommission der US-Army 1991 beruft, hat es im irakisch-iranischen Krieg eine Schlacht um die kurdische Stadt Halabja gegeben, bei der beide Seiten Giftgas eingesetzt haben. "Die getöteten kurdischen Zivilisten hatten das Pech, ins Kreuzfeuer geraten zu sein. Aber sie waren nicht das eigentliche Ziel des Irak", behauptet Pelletiere. So habe die United States Defense Intelligence Agency direkt nach dem Giftgasangriff einen geheimen Bericht erstellt, aus dem hervorgehe, dass die Kurden von einem Gas auf Zyanid-Basis getötet worden seien, wie eine Untersuchung der Leichen ergeben habe. Ein solches Gas habe der Irak aber nicht gehabt, was zeige, dass der Iran für die Tötung verantwortlich sei.
"Ich versuche nicht, Saddam Hussein zu rehabilitieren. Er muss sich auf dem Gebiet der Menschenrechtsverletzungen für vieles verantworten. Aber ihn zu beschuldigen, er habe seine eigene Bevölkerung in Halabja in einem Akt des Genozids mit Gas angegriffen, ist nicht korrekt. So weit die Informationen, die wir haben, reichen, betrafen alle Fälle, in denen Gas eingesetzt wurde, das Kampfgeschehen. Es handelt sich um Tragödien des Krieges. Es mag Rechtfertigungen für eine Invasion in den Irak geben, aber Halabja gehört nicht dazu."
Pelletiere hat diese Thesen schon früher verbreitet, nämlich zusammen mit Douglas V. Johnson in dem Buch "Iraqi Power and U.S. Security in the Middle East". In der "New York Review of Books" kritisierte Mortimer das Buch, räumte dann auf einen Brief von Pelletiere und Johnson hin ein, dass die Möglichkeit, dass das Giftgas vom Iran stamme, nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne. Gleichzeitig verwies er aber auf eine Untersuchung des Senate Foreign Relations Committee, das vom 11. bis 17. September 1988 unter der Leitung von Peter W. Galbraith eine Untersuchung vor Ort vorgenommen habe. Experten hätten damals ausgesagt, dass die an den Leichen zu findenden Symptome auch von dem von Irak benutzten Senfgas hervorgerufen sein könnten.
Peter W. Galbraith selbst wies in einem Leserbrief an die "New York Times" vom 3. Februar 2003 darauf hin, dass der Angriff auf Halabja nur der tödlichste von insgesamt 60 bis 180 Angriffen gewesen sei. So habe der Irak zwischen März 1987 und August 1998 "extensiven Gebrauch" von chemischen Waffen gemacht. Ziel sei es gewesen, das ländliche Kurdistan zu entvölkern. Auch die Überlebenden der Giftgasangriffe hätte ausgesagt, das sie irakische Flugzeuge gesehen hätten.
Ähnlich argumentiere Kenneth Roth, Direktor von "Human Rights Watch". Er verwies, ebenfalls per Leserbrief, auf Zeugenbefragungen seiner Organisation sowie auf irakischen Regierungsdokumente, die Human Rights Watch auswerten konnte, nachdem sie den Kurden in die Hände gefallen waren:
"Die irakische Armee benutzte Senf- und Nervengas, ebenso Massenexekutionen, um ungefähr 100.000 Kurden 1998 während der genozidalen Anfal-Kampagne zu töten. Der Kommandeur, General Ali Hassan al-Majid, sagte über die Kurden in einer aufgenommenen Rede, die im Besitz von Human Rights Watch ist: 'Ich werde sie alle mit chemischen Waffen töten! Wer wird irgendetwas sagen? Die internationale Gemeinschaft?'"
Die Operation Anfal der irakischen Armee ging nach Erkenntnissen von Human Rights Watch vom 23. Februar bis 6. September 1988. In dieser Zeit kam es zu zahlreichen Angriffen der irakischen Armee mit chemischen Waffen auf die kurdische Bevölkerung. Human Rights Watch hat kürzlich dazu aufgerufen, den für die Giftgasangriffe verantwortlichen irakischen General Ali Hassan al-Majid sofort zu verhaften und vor Gericht zu stellen.
Joost R. Hiltermann von Human Rights Watch hat die These, dass der Iran für den Giftgaseinsatz verantwortlich sei, bereits 1998 auf Konferenz "10 Jahre Halabja" in Berlin zurückgewiesen und den "Leuten aus dem War College" - gemeint sein dürften Pelletiere und Johnson - schlichte Unkenntnis vorgeworfen:
"Die Grundlage für die Behauptung, auch der Iran hätte C-Waffen eingesetzt, kam von Leuten aus dem War College. Angeblich wussten sie nicht, dass der Irak Zyanid besaß, die amerikanischen Nachrichtendienste gelten ja als sehr gut, aber sie sind ja gar nicht so sehr gut. Sie wussten überhaupt nicht, was die Iraker hatten. Aber das ist ja seither nachgewiesen worden, seit Unscom im Irak tätig geworden ist. Und wir haben heute unwiderlegbares Beweismaterial dafür gefunden, dass der Chemiewaffenangriff vom Irak, und nur vom Irak durchgeführt worden ist. Wir wissen das auch durch die Zeugnisse der Überlebenden, und aus irakischen Unterlagen."
Der Iran hat übrigens seinerseits jede Verantwortung für den Giftgaseinsatz von Halabja zurückgewiesen. Ebenfalls per Leserbrief an die "New York Times" erklärte ein Mitarbeiter der iranischen Botschaft bei den Vereinten Nationen, es sei seine Regierung gewesen, die die "Tragödie" vor die Vereinten Nationen gebracht habe und den internationalen Medien angeboten habe, sie nach Halabja zu eskortieren. Der geheime Bericht der Defense Intelligence Agency stehe jedoch "in starkem Gegensatz zu den Ergebnissen des UN-Untersuchungsteams, die ausnahmslos die irakische Armee als Täterin des Chemiewaffeneinsatzes genannt habe".