ICANNs Regierungsbeirat als künftiger Sachwalter des Netzes

EU: US-Regierung hat sich zuviele Aufsichtsbefugnisse reserviert

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"Dringend" fordert die Europäische Kommission ihre Mitgliedsländer auf, für eine breitere europäische Beteiligung am ICANN-Prozess zu sorgen. In einer Mitteilung an Rat und Parlament zieht die Generaldirektion Informationsgesellschaft nach zwei Jahren neuer Internet-Verwaltung eine erste Bilanz und räumt ein: Das Ziel mehr europäische Organisationen, Universitäten und Unternehmen an der Internet-Verwaltung zu beteiligen, hat Europa bislang nicht erreicht.

Die Kommission möchte von Parlament und Rat auch ein Mandat dafür, bei der Neuorganisation des Domain Name Systems weiterhin Europas Interessen zu vertreten. Immerhin kann man sich zu gute halten, dass die EU ein - vielleicht sogar der - wichtigste Gegenspieler der US-Administration im Gerangel um die Hoheit übers DNS ist. Keine Einzelregierung dürfte so penetrant beim US Wirtschaftsministerium vorstellig geworden sei, als es um den Abbau der Privilegien des Exmonopolisten NSI ging.

Auch im Statusbericht legt die Kommission angesichts der Internationalisierung die Stirn ein wenig in Falten. Das US-Wirtschaftsministerium habe sich ein beträchtliches Maß an Aufsichtsbefugnissen über die ICANN vorbehalten, heißt es im Papier. "Wie und wann genau die US-Regierung diese Befugnisse aufgeben wird, steht noch nicht fest." Nicht aufgeben wolle die amerikanische Seite die Weisungsbefugnis für den zentralen Rootserver, dessen Management mit Ablauf der Übergangsfrist im September ebenfalls auf die ICANN übergehen soll. Internationale Neutralität und mehr Beteiligung der Mitglieds- und der bislang kaum involvierten Entwicklungsländer stehen deshalb neben der Beobachtung des NSI-Käufers VeriSign ganz oben auf der To-Do-Liste der Kommission.

Diskussionsstoff liefert die Kommission allerdings mit ihren Überlegungen dazu, wer das amerikanische Wirtschaftsministerium bei seinen Aufsichtspflichten ablösen soll. "Die notwendige Regierungsaufsicht über die ICANN sollte auf multilateraler Grundlage erfolgen, in erster Linie durch den beratenden Regierungsausschuss." Der GAC (Government Advisory Council) als letzte Autorität über das Wohl und Wehe der Selbstverwaltung der Internet? Weder die von den Konservativen des Ausverkaufs des DNS bezichtigte US-Regierung noch die traditionell regierungskritische Community werden sich mit diesem Gedanken anfreunden können. Selbstregulierung ohne staatliches Sicherheitsnetz ist andererseits wohl mit der Mehrzahl der nicht-amerikanischen Regierungen nicht zu machen, die aktuelle Konstruktion "regulierter Selbstregulierung" gilt da schon als Kompromiss:

"Selbst im Rahmen ihres eng begrenzten Auftrages treffen die ICANN und der GAC bereits Entscheidungen, die Regierungen in anderen Zusammenhängen normalerweise in internationalen Organisationen selber treffen würden. Derzeit scheint ein Konsens zu bestehen, dass ein solches Vorgehen angesichts der Art des Internet und der Schnelligkeit der Ereignisse unmöglich ist und das die gegenwärtige selbstregulierende Struktur, unterstützt durch eine aktive Überwachung zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit, die beste Lösung darstellt."

Eine Übernahme der DNS-Verwaltung durch den GAC ist so alles andere als ausgeschlossen. Bisher sei es zu keinen Meinungsverschiedenheiten zwischen ICANN-Direktorium und den Regierungsvertretern gekommen. In der Regel sei die ICANN den Vorschlägen des GAC gefolgt und damit sei die Bereitschaft der Regierungen, "offiziell nur eine sekundäre Rolle zu spielen", nicht auf die Probe gestellt worden. Doch das, so urteilt das EU-Papier könnte sich im Streitfall oder bei einer eventuellen Ausdehnung des ICANN-Mandates ändern. "Es kann schon sein, dass die ICANN in Zukunft für mehr als nur die Organisation der Domainverwaltung zuständig ist," sagt dazu Christian Ahlert, der für die Bertelsmann Stiftung eine Studie zum ICANN-Prozess mit vorbereitet. Ein Zusammenspiel von Staat und Selbstverwaltung entspricht seiner Meinung nach deshalb durchaus einer europäische Perspektive.

Innerhalb Europas fordert die Kommission vor allem weitere Infrastrukturanstrenungen (Verbesserung der Datenaustauschraten zwischen den Mitgliedsländern, Übergang auf IPv6) und die Verbilligung und Verbesserung der Zugangsmöglichkeiten für Europas Nutzer. Außerdem bemüht man sich um die Harmonisierung des Rechtsrahmens bei den Länderdomains und um alternative Schlichtungsverfahren. Seit einiger Zeit prüft die Kommission die Frage, ob verschiedene Länderregistries den Wettbewerbsgrundsätzen der Union widersprechen. Bei der geplanten europaeigenen Registry ".eu", für die laut Aussagen von Kommissionsmitgliedern noch in diesem Jahr eine Testphase starten soll, kann man dann alles besser machen.