IS-Führer Al-Baghdadi: Neue Kriegserklärung
Der sogenannte Kalif zeigt sich in einem Video und ruft seine Anhänger zu einem Zermürbungskrieg gegen die "Kreuzfahrerstaaten" auf
Ein paar Gerüchte haben sich durch das Video mit al-Bagdadi erledigt. Etwa dass er schon vor gut zwei Jahren durch einen russischen Luftangriff ums Leben kam oder so schwer verletzt wurde, dass er dauerhafte Schäden davon trug. Diese sind bei seinem Auftritt nicht zu erkennen. Auch von einer Gesichtsoperation ist nichts zu sehen.
Fünf Jahre nach seinem Auftritt in der Moschee in Mosul, wo 2014 das Kalifat ausgerufen wurde, ist der Führer des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, in einem Video zu sehen, für das die Propagandaplattform al-Furqan zuvor gezielt in Dschihad-Kreisen die Ankündigungswerbetrommel gerührt hatte. Al-Bagdadi will mit dem Video ganz augenscheinlich Präsenz und Führungsanspruch dokumentieren. Es zeigt ihn im Gespräch mit Vertrauten.
Vergeltung für Baghouz
Nach den weltweit verbreiteten Meldungen über den Zusammenbruch des IS nimmt er die Kämpfe in Baghouz, dem Ort im Südosten in Syriens der als letzte Bastion seiner Anhänger bezeichnet wurde, zum Anlass, um über Vergeltung zu sprechen, über den "Gerichtstag", der kommen wird, und davon, dass der neuorganisierte IS nun auf einer größeren Ebene agiert, der Aktionsradius geht weit über Irak und Syrien hinaus, wie der "Kalif" erklärt.
Die Frage, ob er derzeit noch lebt, wird durch das Video nicht eindeutig beantwortet. An der Stelle, wo al-Bagdadi aktuelle Ereignisse erwähnt - die Anschläge in Sri Lanka am Ostersonntag mit über 200 Toten und den Anschlagsversuch in Saudi-Arabien am selben Tag, der gescheitert ist, was der IS-Führer allerdings nicht erwähnt - ist von ihm nur die Stimme zu hören, es gibt kein Bild von ihm, das zeigt, wie er sich dazu äußert. Experten ziehen daraus den Schluss, dass diese Aussagen nachträglich eingefügt wurden.
Darüber hinaus bewahren einige Berichte zur Videobotschaft des "Kalifen" eine gewisse Vorsicht. "Der Islamische Staat veröffentlichte am Montag ein Video eines Mannes, von dem behauptet wird, dass es sein Anführer ist, Abu Bakr al-Baghdadi", heißt es etwa in der New York Times. "Wenn der Mann im Video als Mister al-Bagdadi bestätigt wird", war noch in einer ersten Version zu lesen; die Authentizität sei nicht bestätigt, allerdings würden Experten schon die Auffassung vertreten, dass sein Videoauftritt echt sei.
Kalifen gaben immer guten Märchenstoff ab und das gilt besonders in Zeiten, wo in Medien einiges an Täuschungsmanövern möglich ist. Ohnehin ranken sich allerhand Spekulationen um al-Bagdadi, etwa ob er nicht eine vom CIA geschaffene Kunstfigur ist. Dazu kamen nach den Gefechten um die "letzte Bastion des IS" in Baghouz neuerlich Fragen über den Verbleib und den Zustand des IS-Kalifen (Was ist mit dem IS-Kalifen Al-Baghdadi?).
Wie wichtig Medien auch für den IS sind, bestätigt Abu Bakr al-Baghdadi gleich mehrfach. So erwähnt er in dem 18-minütigen Video, dessen Titel englisch mit "In the Hospitality of the Emir of the Believers" wiedergegeben wird, namentlich für Medien zuständige IS-Mitglieder, einen Belgier und die französischen Brüder Clain.
Deren Arbeit scheint ihm offensichtlich wichtig, wie ihm auch das Anfertigen des Videos wichtig genug war, um Risiken einzugehen, die Dschihad-Experten als nicht gering einschätzen (auch hier und hier).
Was bedeutet sein Überleben für den IS?
Mit der Videobotschaft kehrt al-Bagdadi die Fragestellung um, die seit dem Verdacht, wonach er längst tot sei, darauf hinauslief, was sein Tod für den IS bedeuten würde. Die Frage stellt sich angesichts des Videos nun erstmal in einer anderen Form, nämlich: Was bedeutet sein Überleben für den IS?
Die Antworten, die im Video gegeben werden, lauten, dass der IS mit der Niederlage in Baghouz nicht zu Ende ist, sondern dass er nun auf einer neuen, internationalen Stufe einen Zermürbungskrieg führen wird. Al-Bagdadi ruft zur Vergeltung auf und weist seine Anhänger, die sich bei der langwierigen Eroberung von Baghouz zumindest zum Teil als hartnäckig fanatische Kämpfer zeigten, darauf hin, dass die IS-Idee in einer anderen, größeren Form weiterlebt.
Das dürfte auch die sektenähnlich, aggressiv ideologisch agierenden Frauen in den kurdischen Lagern in ihrem Wahn bestärken und wahrscheinlich auch die Kinder, deren Indoktrination ein großes Problem ist. In den Lagern gibt es bereits Spannungen, die Beobachter von einer Zeitbombe sprechen lassen.
Die Implikationen, die von Experten in der Video-Botschaft gelesen werden, gehen weit darüber hinaus. Sie sprechen gar von einer neuen Strategie.
Die Treueschwüre, die al-Bagdadi in seinem Auftritt erwähnt, einige davon in Afrika, in Mali und in Burkina Faso, wie auch die Aufzählung der "Verwaltungsgebiete des IS" (Wilayat), wozu insbesondere nun auch die Türkei gehört, werden als Bestandteil einer Strategie verstanden, die nun nicht mehr auf ein Kalifat in Irak und Syrien setzt, sondern auf eine internationale Präsenz und auf Anschläge und Angriffe in einem möglichst großen Gebiet weltweit.
So wird die Niederlage in den beiden zentralen Ländern des Nahen Ostens umformuliert zur Möglichkeit eines "größeren Sieges". IS-Experten wie Aymenn al-Tamimi, bekannt durch seine Sammlung und Analayse von IS-Dokumenten, haben die "neue Stufe" bereits als Botschaft aus den Anschlägen in Sri Lanka gefolgert.
Im Video sieht Bagdadi wegen seines grauen mit Henna gefärbten Bartes älter aus als bei seinem letzten Auftritt. Er macht einen ruhigen, gut genährten Eindruck, nicht den eines von Flucht ausgezehrten Kämpfers. Neben ihm ist eine Kalaschnikow und ein Sprengstoffgürtel drapiert, die Wände des Raumes, wo er seine Reden an verpixelte Getreue hält, sind mit Laken behängt, um keine Schlüsse auf seinen Aufenthaltsort zuzulassen.
Längst werden Fahnder jede kleine Spur untersuchen, die einen Hinweis auf den Aufenthaltsort gibt. Ob sich daraus ein "Zugriff" ergeben könnte, bleibt wie bisher Thema von Spekulation. Davon unberührt bleibt aber, dass sich al-Bagdadi mit dem Video Wirkung unter seinen Anhängern und in der Führung der Miliz verschafft hat.