IS: amerikanische Geheimdienste falsch orientiert?

Experten werfen den US-Diensten vor, dass sie zu sehr auf den alten Kern der al-Qaida und deren Methoden fixiert sind

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Die USA können keine erfolgreiche Strategie gegen den IS aufbauen, weil sie ihn falsch einschätzen und nicht gut genug kennen. Der größte Geheimdienstapparat der Welt habe zu wenig davon begriffen, wie sich der "Islamische Staat" entwickelt, behaupten Geheimdienst-Insider. Dabei haben US-Geheimdienste dabei mitgeholfen, einen angeschlagenen Feind groß zu machen.

Abu Muhammad al-Maqdisi und Abu Qatada sind prominente Ideologen des Dschihad, sie hatten großen Einfluss auf die Ausrichtung al-Qaidas und die Rekrutierung neuer Anhänger und Schüler. Nun sind abgehalftert, werden vom IS geschmäht.

Gegenüber dem Guardian verschaffen sie ihrem Ärger ("Der IS stinkt, ist ein Krebs in der Dschihadbewegung") und ihrer Enttäuschung jetzt Luft und berichten in langen Gesprächen davon, wie geschickt, ruchlos und machtbesessen etc. die IS-Abweichler den al-Qaida-Mutterkonzern aushöhlen.

Die alte al-Qaida sei ausgebrannt, zerlegt in disparate kleine Gruppierungen, Zawahri sei isoliert, berichten sie. Weitab der wichtigen Geschehnisse hänge der 74-jährige Führer von Kommunikationskanälen ab und vom Treueschwur einzelner, verstreuter Gruppen.

Als einzig wirklich bedeutende Filiale gebe es nur mehr die Gruppe im Jemen. Al-Nusra agiert ziemlich eigenständig, Zawahiri hat nur symbolischen Einfluss, keinen auf deren Kampfstrategie. An der PR-Front habe al-Qaida völlig das Nachsehen: Junge Kämpfer würden alle zum IS streben.

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Das ist alles weitgehend bekannt, abgesehen von manchen Einzelheiten über Streitigkeiten und Konfliktlinien zwischen den Alten und den Abspaltern. Interessant ist, dass im Zusammenhang mit den Einblicken darauf verwiesen wird, dass sich die US-Geheimdienste noch nicht auf die neue Situation eingestellt hätten.

An der alten al-Qaida-Marke haften geblieben

Auch im amerikanischen Sicherheitsapparat gebe es eine Generationskluft, so ehemalige Mitarbeiter. Außer ein paar Jungen, die sich für die Abspaltung interessieren, hafte der Großteil der Intelligence an der alten al-Qaida-Marke und sehe nicht genau genug, was außerhalb der alten Organisation laufe.

Auch politisch würde man alles vermengen und für dasselbe halten. John Kerry halte Unterscheidungen für Kosmetik, sein Top-Vertreter im Irak, Brett McGurk, habe das Mantra ""Isis is al-Qaida". Dazu werden noch andere zitiert die al-Nusrah, al-Qaida und den IS in einen Topf werfen.

Der Counter-Terrorismus arbeite mit veralteten Mustern, lautet der Vorwurf, ähnlich wie man US-Militärs im Irak-Kriegs des letzten Jahrzehnts den Vorwurf machte, sie würden sich angesichts des ganz anders gearteten Kampfes gegen die Insurgency noch immer an Szenarien des Kalten Krieges orientieren.

Daraus lässt sich folgern, dass der immens große Überwachungsapparat der USA mit dem IS und vermutlich auch mit anderen dschihadistischen Gruppen überfordert ist, und spekulieren, dass man kaum, wenn überhaupt, über "human intelligence" verfügt und die Kommunikationsüberwachung große Lücken aufweist, was allein daran zu sehen ist, dass es bislang noch kaum Erfolgsmeldungen über gezielte Anschläge gab.

Drohnen auf Führungsmitglieder werden woanders abgeschossen, auf den alten, traditionellen Anti-Terrorhotspots Pakistan und Afghanistan.

Förderung von ISIL als Gegner Assads

Dies ist umso bemerkenswerter, als die Geheimdienste der USA einmal eine große Rolle bei der Bewaffnung der syrischen Gruppen spielten, von auch der IS profitierte. So wurden mithilfe der CIA 2011 und 2012 Waffen im großen Stil aus Libyen nach Syrien gebracht (über die sogenannte Rat-Line).

Ein US-Geheimdienstpapier von 2012 zeigt, dass man zu diesem Zeitpunkt gut orientiert war, was die Aussichten des ISIS angeht.

Deutlich ist darin die Rede davon, dass die Dschihadisten ein Kalifat anstreben. Angesichts dessen, dass man vor allem an Assads Schwächung interessiert war, war dies nicht unwillkommen: die alte Strategie, über die Unterstützung verschiedener Fraktionen im Nahen Osten, Gegner gegenseitig auszuspielen. Es scheint, dass man sich im Fall des IS getäuscht hat. Der "Zauberlehrling" ist größer geworden, als es die vermeintlichen Meister gedacht hatten.

Nächster Fehler mit al-Nusra?

Dass diese Bündnis-Strategie nicht zu kontrollieren ist und Rollenzuweisungen fluide sind, wird derzeit am Umgang mit der al-Nusra-Front sichtbar. Als kampfstärkster Gegner des IS wird sie für das Anti-IS-Lager immer interessanter. Das geht einher mit einer Berichterstattung, die die Nusra-Front immer häufiger als weniger extrem darstellt als sie tatsächlich ist.

So bereitet man eine größere Akzeptanz eines Bündnisses vor, das etwa die Türkei und Katar schon längst anstreben; auch das israelische Militär soll sich, um die Golanhöhen unter Kontrolle zu halten, mit der Nusra-Front informell arrangiert haben.

Dass die Nusra-Front aber keineswegs dem Dschihad abschwören will und ganz entschieden einen Kurs geht, mit dem westliche Staaten ihre Schwierigkeiten haben werden, hat deren Führer al-Julani erst vor Kurzem klargemacht. Klar sein dürfte auch, dass angesichts der vielen und alten verbindungen zwischen al-Nusra und dem IS längst nicht alle Türen geschlossen sind.