IS und Corona: Freude über die Schwächung der "Kreuzfahrer-Nationen"
Prominente Dschihadisten sehen das Virus als Geschenk Allahs: Angst haben müssen nur die Ungläubigen
Wie es den Anschein hat, begreifen die Dschihadisten, deren Fokus auf dem Irak und Syrien liegt, die Corona-Virus-Epidemie als eine von Allah gegebene Schwächung der "Kreuzfahrer-Nationen", die nun mit den "schlimmsten Albträumen" konfrontiert sind, wie es in einem Leitartikel des al-Naba-Newsletter, einem Verlautbarungsorgan des IS ("Islamischer Staat"), formuliert wird.
Ins Englische übersetzt wurde der Kommentar von Aymenn Jawad Al-Tamimi, der in seinem Blog mehrere Quellen aus dem Lager der Dschihadisten, die sich zur Corona-Epidemie äußern, ins Englische übersetzt. (Kurz zur Person: Al-Tamimi gilt in Nahostexperten-Kreisen als Ausnahmeerscheinung, da er Übersetzer einer Vielzahl von Originalquellen (z.B. auch Verwaltungsdirekten des IS) ist. Von politischer Seite lebt immer wieder Kritik an seinen Verbindungen zu Dschihadisten und Islamisten auf ("zu nahe dran") - die ihm nicht nur Zugang zu Dokumenten ermöglichen, sondern auch Interviews mit Insidern ermöglichen -, zumal er der syrischen Regierung kritisch und distanziert gegenübersteht.)
"Segen und Geschenk"
Angst haben müssen die anderen, nicht diejenigen, die dem wahren Glauben anhängen, das ist die Gemeinsamkeit des Textes des IS und der Stimmen aus dem Dschihadistenlager, die Al-Tamimi präsentiert. Zu letzterem gehören ein Vertreter der al-Qaida, Khalid al-Siba'i, der bekannte Unterstützer der syrischen Dschihadisten-Milizen, der saudische "Scheich" al-Muhaysini, ebenfalls mit al-Qaida-Verbindungen, dazu mehrere Vertreter der Miliz Hayat Tahrir asch-Scham (HTS) sowie ausführlich der in der Region sehr bekannte und einflussreiche jordanische Prediger des dschihadistischen Salafismus, Muhammad al-Maqdisi, der das Corona-Virus als "Segen und Geschenk" darstellt.
Dessen Text, soweit er auf seinem Telegram-Kanal übermittelt wird, ist eine Aufzählung von benefits (Nutzen), die von der Reorientierung hin zu Allah, der Verschleierung, kein Händeschütteln mehr mit Vertretern der Götzendiener Tagut und der Schließung von Bars ein größeres Spektrum umfassen. Staaten wie Italien, Frankreich, Großbritannien und China würden sich gerade als falsches Ideal der Irregeleiteten zeigen. Der Schmutz ist ganz auf der Seite der anderen.
Also verflucht Corona nicht und seid geduldig und voller Hoffnung.
Telegram-Kanal von Muhammad al-Maqdisi
Bemerkenswert ist ein anderer Nutzen, der hervorgehoben wird: die Schließung der Moscheen und die Aussetzung Freitagsgebete, die von den Imamen gehalten werden, die von den Taguts bestimmt werden, derjenigen Imame gemeint, die von den Regierungen abhängig sind bzw. mit ihnen politische und aus der Sicht des wahren Glaubens irregeleitete Kompromisse eingegangen sind.
Die Schwächung nutzen
Wie der genannte "Scheich" al-Muhaysini an die "Rechtgläubigen" appelliert, sind Versammlungen in der Moschee jetzt Gebot der Stunde. Mit "Tausend Neins" setzt er den Schließungen der Moscheen entgegen. "Kommt zum Gebet!", sei jetzt die Losung für die Gebiete außerhalb der Kontrolle der ungläubigen Regierungen.
Die Gefahr der Ansteckung wird bei ihm relativiert, es gebe ja Kompromisslösungen, wichtig ist ihm, dass hier nicht die materialistische Sicht des Westens angesichts des Virus übernommen werde, sondern die spirituelle Aufforderung der Versammlung der Gläubigen befolgt werde.
Wie die Beschwörung einer "Gegenöffentlichkeit" in den Moscheen unter Herrschaft der Dschihadisten dann noch funktioniert, wenn sich covid-19 in Idlib und anderen Scharia-Zonen ausweitet, wird sich noch zeigen. In den Maßgaben, die der IS im genannten al-Naba-Newsletter-Leitkommentar äußert, ist man hauptsächlich auf die Schwächung der Gegner - "götzendienerische Staaten", "Kreuzfahrer-Nationen" - infolge der Corona-Epidemie konzentriert.
Kein Verzicht auf den Dschihad in westlichen Ländern
Der Aufruf ist anders, als von Medien in der vergangenen Woche plakatiert, kein Verzicht auf den Dschihad in westlichen Ländern aus Sorge, dass sich die Gotteskrieger infizieren könnten. Der Dschihad soll weitergeführt werden, er sei die teuerste, "most beloved", Art und Weise Gott gegenüber Gefolgschaft zu zeigen, heißt es am Ende einer Ausführung, die zum Kern hat, dass es kein Mitleid für die von Angst und finanziellen Verlusten geschwächten Gegner gibt.
Und das Letzte, was sie (die "Kreuzfahrer-Nationen") jetzt wollen, ist, dass diese kritische Zeit, die sie jetzt durchleben, zusammenfällt mit Vorbereitungen der Soldaten des Kalifats für neue Anschläge auf sie, ähnlich denen, die in Paris, London, Brüssel und anderen Orten stattgefunden haben.
IS-Kommentar zur Corona-Epidemie
Konkret werden IS-Kämpfer dazu aufgerufen, die Gefangenen in Lagern in Nordostsyrien zu befreien. Man sollte die Gelegenheiten, die sich gegenwärtig ergeben, nutzen. Die "Kreuzfahrer" seien nun mit der Sicherheit in ihren Ländern beschäftigt und seien dem Druck auf ihre Auslandseinsätze ausgesetzt, zu einem Zeitpunkt, wo der Abzug der Truppen, bzw. deren Heimkehr, schon länger Thema ist.
Wie Aaron Y. Zelin, vom Think Tank The Washington Institute for Near East Policy, in seiner Lagebeschreibung feststellt, war der IS seit der Niederlage in Baghuz, die als Ende des Kalifats gefeiert wurde, in Syrien und im Irak weiter aktiv.
Er zählt insgesamt in beiden Ländern weit mehr als 1.000 Angriffe oder Anschläge auf. Die Ziele lagen hauptsächlich im Gouvernement Deir e-Zor in Syrien und im Gouvernement Dyiala im Irak. Da sie gegenüber früheren Zeiten jedoch eine kleinere Zahl hatten, könne man nicht behaupten, dass der IS in den beiden Ländern stark wiedergekehrt sei. Vielmehr überlebe der IS und seine Kämpfer würden auf den opportunen Moment warten, um daraus Vorteile zu schöpfen.
Ob die Corona-Epidemie solche Gelegenheiten liefert, sei noch nicht abzusehen. Aber diese erschwere internationale und lokale Aktionen gegen die IS-Milizen.