"Ich bin es gewohnt, Außenseiter zu sein!"

Seite 2: "Rechte Leser sind auch häufig zugleich Antikapitalisten"

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Sie stehen seit Jahrzehnten als öffentliche Person im Rampenlicht, wahlweise als Historiker, Verlagsleiter, Soziologe oder Investor. Haben Sie nicht gelegentlich das Bedürfnis, sich in eine Filterblase zurückzuziehen, beziehungsweise, sich nur mit Gleichgesinnten zu umgeben, die Ihren Thesen und Theorien mehr oder weniger zustimmen?

Rainer Zitelmann: Nein. Ich diskutiere gerne mit Menschen, die eine andere Meinung haben. Ich bin es gewohnt, Außenseiter zu sein. Sehen Sie, ich schreibe oft in konservativ-liberalen Medien, und auch da gibt es viele extrem negative Kommentare zu meinen Artikeln. Die kommen dann überwiegend von rechten Lesern, die übrigens auch häufig zugleich Antikapitalisten sind.

Ihre politischen Thesen waren schon immer umstritten. Spätestens seit der Veröffentlichung Ihrer Dissertation vor rund 30 Jahren. Hauptsächlich wurden Sie dabei von linken Kritikern angegriffen. Hat sich das eventuell in den letzten Jahren verändert - flankiert vom Aufstieg der virtuellen Medien und der Macht der sozialen Netzwerke?

Rainer Zitelmann: "Umstritten" ist ja so ein Wort, bei dem in einer sehr konformistischen Gesellschaft, wie es die Bundesrepublik lange war und in Teilen immer noch ist, alle sofort erschrecken. Ich nicht.

Ja, die Kritik an meinen Positionen kommt heute ebenso von Leuten, die der AfD nahestehen oder die Trump-Fans sind. Ich habe beispielsweise sehr viele kritische Artikel zu Trump geschrieben - und jedes Mal wurde ich von rechten Trump-Fans hart angegangen. Und wenn ich die AfD kritisiere, weiß ich vorher schon, mit welchem Shitstorm ich zu rechnen habe. Mich zwingt ja niemand, das zu lesen. Ich lese es aber, ebenso wie ich die Kommentare bei TELEPOLIS gelesen habe. Ich glaube zwar nicht, dass diese Kommentare repräsentativ sind für die Leserschaft dieser Medien, aber sie sagen doch etwas aus über die Befindlichkeit in bestimmten Kreisen. Sehr weit rechts und sehr weit links stehende Leserbriefschreiber vereint übrigens ihre Unduldsamkeit gegen andere Meinungen, vor allem gegen liberale Meinungen.

"Warum man ein 'Verräter' ist, wenn man seine Meinung ändert, das bleibt das Geheimnis dieses Leserbriefschreibers"

Betrachten wir bitte noch einmal einen Kommentar, den ich recht interessant fand: "Erst Maoist, natürlich ein kritischer, dann Marktradikaler, hier ein wenig kritischer, das ist doch eine prima Story des endlich Bekehrten, des in den kapitalistischen Schoß Heimgekehrten. Eine typisch deutsche Geschichte. Zahlreiche Maoisten können ähnliche Geschichten erzählen, wurden Regierungsmitgliedern oder IG Metall-Chef. Und mit dem Wachsen des eigenen Wohlstandes vergaßen sie die Verlierer dieses Systems, die sie auch noch beschimpfen. So wird man Förderer der AfD. Für all diese Konvertiten gilt, man liebt den Verrat und hasst den Verräter. Dies führt beim Verräter zu noch größerer Anpassung, die vielen gefällt, der Verräter aber bleibt weiter der Verräter und bekommt nicht die erhoffte Liebe und Anerkennung. Zwischentöne sind nur Krampf, im Klassenkampf, diesen alten FJD-Spruch haben die Konvertiten verinnerlicht. Aber vielleicht liegt die Wahrheit - was immer das auch ist - eben in diesen Zwischentönen. Nur ein staatlich regulierter Kapitalismus kann helfen, wie gerade China zeigt [...]"

Nun, als politischer Konvertit darf man Sie sicherlich bezeichnen. Diesbezüglich stellt sich die Frage: Sind Sie eigentlich 100% davon überzeugt, dass Ihr aktuelles politisches Weltbild für Sie von Dauer ist oder besteht die Möglichkeit, dass Sie eines Tages wieder eine entgegengesetzte Weltanschauung vertreten?

Rainer Zitelmann: Naja, auch bei diesem Leserbrief ist ja einiges daneben. Erstmal zu den Fakten: Ich war nie und bin nicht Förderer der AfD, sondern der FDP, der ich seit 24 Jahren angehöre und die ich auch unterstütze. Ja, als Teenager und in den ersten Jahren meiner Studienzeit war ich Marxist. Manche Leserbriefschreiber glauben das offensichtlich nicht - daher hier ein Link zu den damals von mir herausgegebenen Schülerzeitungen (ich war damals 14).

Aber meine Meinungsänderung kam nicht mit dem "Wohlstand", sondern sie fand in meiner Studentenzeit statt, in der ich mir nicht mal einen Fernseher oder ein Telefon oder eine eigene Waschmaschine leisten konnte. Für eine spätere Karriere an der Uni, was ich eigentlich vorhatte, wäre es übrigens sehr viel vorteilhafter gewesen, ich wäre links geblieben.

Und nun zur Bewertung: Warum man ein "Verräter" ist, wenn man seine Meinung ändert, das bleibt das Geheimnis dieses Leserbriefschreibers. Also ich würde an mir zweifeln, wenn ich meine Meinung nicht verändern würde. Ich bewundere den Investor Warren Buffett und seinen Partner Charlie Munger. Der betonte immer wieder, wie entscheidend wichtig lebenslanges Lernen ist. Und Lernen heißt dabei nichts anderes, als offen und bereit dafür zu sein, bisherige Meinungen und Einstellungen zu korrigieren. In einem Buch über Munger heißt es: "Munger likes to say that a year in which you do not change your mind on some big idea that is important to you is a wasted year."

"Utopisten kommen mir vor wie Leser von Groschenheft-Liebesromanen"

Ein Kommentator fragte:" Ob sich Zitelmann inzwischen wohl selbst als libertär einschätzen würde? Wie lautet Ihre Antwort?

Rainer Zitelmann: Das ist nicht ganz falsch. Irgendwo zwischen nationalliberal und libertär. Aber ich mag heute keine festgelegten Weltanschauungssysteme und erst Recht keine Utopien. Eine libertäre Utopie ist mir zwar deutlich sympathischer als eine sozialistische oder völkische, aber letztlich habe ich eine Aversion gegen jede Form des utopischen Denkens.

Utopisten kommen mir vor wie Leser von Groschenheft-Liebesromanen, die dann die dort beschriebenen romantischen Idealbeziehungen mit ihrer Ehe vergleichen. Da muss fast jede real existierende Ehe ziemlich schlecht bei wegkommen. In meinem aktuellen Buch Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung vergleiche ich daher nicht Kopfkonstrukte mit der Wirklichkeit, sondern tatsächlich existierende Systeme in der Geschichte.

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