"Ich bin gegen Arbeitslosenunterstützung"
Federico Pistono über weltverbessernde Technologie und die Segnungen eines bedingungslosen Grundeinkommens
Federico Pistono ist 29 Jahre alt, bewegt sich auf der Bühne aber, als hätte er dort schon Jahrzehnte verbracht. In den kommenden 20 Jahren könnten weltweit eine Milliarde Arbeitsplätze verloren gehen, sagt der Absolvent der NASA Singularity University in Kalifornien. Doch das müsse kein Grund zur Besorgnis sein, sofern es gelänge, die Wirtschaft auf eine neue Grundlage zu stellen und mit einer freien Grundversorgung Einkommen und Arbeit voneinander zu trennen. Er kann viele Beispiele nennen, wo das schon gut funktioniert hat. Dass das Interview mit ihm dennoch eher kurz ausfiel, hatte andere Gründe - technische.
Herr Pistono, in Ihrem Buch "Roboter stehlen deinen Job, aber das ist OK" empfehlen Sie in einer Kapitelüberschrift "Wirf dein Auto weg". Waren Sie überrascht, von einem Autokonzern eingeladen zu werden (Die Befreiung der Arbeit durch die Maschine), um Ihre Ideen zu präsentieren?
Federico Pistono: Als ich vor ungefähr drei Jahren das erste Mal von einer Firma eingeladen wurde, war ich überrascht. Aber dann habe ich ein Muster erkannt. Es gab mehr und mehr Einladungen von Versicherungen, Automobilherstellern, Energiekonzernen und aus anderen Sektoren. Mir wurde bald klar, dass sie zum einen hungrig nach Ideen sind. Zum anderen möchten sie verstehen, wie sich die Dinge möglicherweise entwickeln werden. Sie teilen nicht unbedingt meine Position, aber sie möchten die Ideen diskutieren und im Auge behalten. Es könnte ja vielleicht doch etwas dran sein.
Einige machen sich auch tatsächlich Sorgen darüber, was mit der Gesellschaft passieren könnte. Eine Firma wünscht sich Kunden. Wenn die Kaufkraft sinkt und die Mittelklasse verschwindet, werden aber nicht viele übrig bleiben. Wirtschaftsunternehmen beginnen zu erkennen, dass ein Zusammenbruch der Mittelklasse und der gesamten Gesellschaft für niemanden wünschenswert ist, sie selbst eingeschlossen.
Wächst demnach das allgemeine Bewusstsein, dass große, grundlegende Veränderungen stattfinden?
Federico Pistono: Schwer zu sagen. Ich hatte gestern in meinem Vortrag erwähnt, dass sich die Menschen mehr und mehr in ihren eigenen Blasen bewegen, die nur noch individuelle gefilterte Informationen zu ihnen durchdringen lassen. Mein Eindruck ist tatsächlich, dass sich gerade viel verändert und das auch von Firmen und Individuen wahrgenommen wird, ebenso wie von Organisationen oder Regierungen. Aber das liegt vielleicht daran, dass ich vorrangig mit solchen Institutionen und Personen Kontakt habe. Ich bräuchte eine Kontrollgruppe, um die Frage beantworten zu können.
Lassen Sie mich meinen Eindruck beschreiben. Ich verfolge die Entwicklung der Robotik seit mehr als 15 Jahren. Meiner Einschätzung nach hat die Technologie einen Stand erreicht, der es nötig macht, ihre ethischen und sozialen Aspekte zu thematisieren. Das fokussiert sich vor allem in drei Bereichen: bewaffneten Militärrobotern, Robotern in der Alten- und Krankenpflege sowie autonomen Fahrzeugen. Insbesondere letztere scheinen jetzt auch einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln, dass Künstliche Intelligenz nicht einfach nur eine weitere Funktion auf einem technischen Gerät ist, sondern gesellschaftsverändernde Kraft hat.
Federico Pistono: Fragen von Krieg oder Frieden haben nichts mit Robotern zu tun, es geht einzig und allein um Macht und Politik. Daran ändern Roboter nicht viel, sondern wirken allenfalls wie eine geringfügige Erweiterung des Gewehrs. Das Problem ist das imperialistische Verhalten von Ländern wie den USA. Ob sie dafür Drohnen einsetzen oder einen jungen Hispano, der zum Militär geht, um sein Studium finanzieren zu können, spielt keine Rolle. Es ist halt eine von vielen Möglichkeiten, die Welt zu kontrollieren - was seit Jahrzehnten die Leitlinie der US-Außenpolitik ist. Das ist das Problem.
Roboter verstärken nur die ohnehin vorhandenen Tendenzen. Wenn es darum geht, den Frieden zu stärken, können Roboter nach Landminen oder Chemiewaffen suchen, können in radioaktiv verseuchte Bereiche vordringen und helfen, den Schaden zu minimieren. Der größte Teil des Militärbudgets geht jedoch in aggressive Aktionen, nicht in die Verteidigung oder Friedenserhaltung. Und die USA geben allein mehr Geld für die Rüstung aus als alle anderen Länder zusammen.
Für die Sicherung des Friedens könnten Roboter Großartiges leisten, etwa Medikamente, Nahrung oder Kleidung in entlegene Krisengebiete transportieren. Das Startup Matternet, hervorgegangen aus der Singularity University, plant, mit Drohnen entlegene Regionen in Afrika und Südamerika zu versorgen, wo es teilweise nicht einmal Straßen gibt. Mit einem Netzwerk von Ladestationen, an denen die Drohnen autonom ihre Akkus aufladen, können auf diese Weise große Bereiche abgedeckt werden. Schon der Transport von so einfachen Dingen wie Seife kann einen großen Unterschied machen.
Die Hälfte der Todesfälle in Entwicklungsländern geht auf das Fehlen simpelster sanitärer Einrichtungen zurück wie auch auf mangelnde Aufklärung über die Notwendigkeit, sich die Hände zu waschen oder Wasser vorm Trinken aufzukochen. Die meisten Kinder sterben an Durchfall durch verunreinigtes Wasser. Hunderte Millionen Menschenleben ließen sich auf diese Weise retten, aber es fehlt der politische Wille. Es gibt viele Projekte wie Matternet, aber sie verfügen nicht einmal über ein Millionstel der Finanzmittel, die in den militärisch-industriellen Komplex fließen.
Die Konferenz, auf der Sie gesprochen haben, behandelte die Zukunft der Arbeit. Ihr Buchtitel legt nahe, dass es kein Problem ist, wenn Roboter den Menschen die Arbeitsplätze wegnehmen.
Federico Pistono: Wie fanden Sie die Übersetzung?
Schwer zu sagen, ich kenne ja nicht das Original. Es liest sich aber sehr gut. Zu Beginn schreiben Sie, dass Sie als junger Mensch vielleicht eine andere Perspektive auf das Thema haben als andere, kenntnisreichere, aber ältere Forscher. Ich befürchtete daraufhin, es könnte eine Hymne auf die Beschleunigung und den technischen Fortschritt folgen, war aber positiv überrascht. Ihre Ratschläge für ein glücklicheres Leben enthalten viel Weisheit und sprechen einen 60-Jährigen ebenso an wie wahrscheinlich auch 16-Jährige.
Federico Pistono: Diese Empfehlungen beziehen sich mehr aufs Individuum, nicht so sehr auf die Gesellschaft, obwohl es auch ein Kapitel gibt, das sich mit Unternehmen und Politikern beschäftigt. Als ich das Buch schrieb, waren mir die Experimente zum bedingungslosen Grundeinkommen noch nicht bekannt. Studien zur Arbeitslosigkeit, die ich gelesen hatte, kamen zu dem Ergebnis, dass Arbeitslose zu den unglücklichsten Gruppen der Gesellschaft zählen, selbst wenn sie finanzielle Unterstützung beziehen. Daher war ich zunächst gegen solche Unterstützungen.
Allerdings hatte die Studie einen Fehler: Es gab keine Kontrollgruppe. Sie hätten zum Vergleich eine Stadt oder Gemeinde betrachten sollen, wo jeder Unterstützung bezieht. Das ist der entscheidende Unterschied: Wenn du zu den wenigen gehörst, die Geld bekommen, bist du sozial stigmatisiert, wirst als unproduktives Mitglied der Gesellschaft betrachtet, das den anderen Geld wegnimmt. Aus diesem Grund bin ich gegen Arbeitslosenunterstützung. Sie schafft eine Armutsfalle. Die Motivation, daraus auszubrechen, geht gegen null.
Wenn du zum Beispiel 700 Euro Arbeitslosenunterstützung beziehst und dann ein Jobangebot bekommst, bei dem du vielleicht 800 oder 900 verdienst, aber dafür täglich 8 oder 10 Stunden arbeiten sollst, wirst du nicht sehr motiviert sein, das Angebot anzunehmen. Dafür müsste es schon deutlich attraktiver sein, vielleicht bei 4000 Euro liegen oder so. Bei einem Grundeinkommen, das jeder bezieht, sieht es anders aus. Alles, was durch Arbeit verdient wird, kommt hinzu, die Motivation, eine Arbeit aufzunehmen ist entsprechend höher. Zugleich bist du nicht gezwungen, irgendeine beliebige Arbeit aufzunehmen, weil du durch das Grundeinkommen abgesichert bist. Du kannst dich also mit Dingen beschäftigen, die vielleicht finanziell nicht lohnend sind, dir aber Befriedigung verschaffen, dein Leben mit Sinn erfüllen.
Es gibt so viele Dinge, die sozial sinnvoll sind, aber sich finanziell nicht lohnen. Mit einem Grundeinkommen wären wir alle frei, sie zu erforschen. Danach gefragt, was sie gerne tun würden, werden die meisten Leute sagen, sie seien schon immer an X interessiert gewesen, aber das würde sich niemals rechnen, also arbeiten sie lieber in einer Bank.
Noch einmal zu Robotern für den Frieden...
Federico Pistono: Ich mag den Titel. Wir sollten eine Website "robots for peace" einrichten.
Gute Idee. Tatsächlich bin ich inspiriert worden durch die Website www.peacefulsocieties.org, die unterstreicht, wie stark das Gewaltpotenzial einer Gesellschaft vom Grad der Ungleichheit abhängt, insbesondere zwischen den Geschlechtern. Das heißt aber doch, Roboter und Automatisierung können als mächtiger Hebel wirken in Richtung Frieden oder Gewalt, je nachdem ob die durch sie bewirkte Produktivitätssteigerung gleichmäßig verteilt oder in wenigen Händen monopolisiert wird.
Federico Pistono: Das ist eine politische Entscheidung, ganz klar. Ein Teil der Profite muss sicherlich an die Firma gehen, die die Maschinen betreibt. Ein anderer Teil sollte in einen nationalen Wohlfahrtsfonds fließen, dessen Erträge zum Teil gleichmäßig in der Bevölkerung verteilt werden wie etwa in Alaska oder Norwegen. Ein bestimmter Prozentsatz wird investiert, sodass der Fonds wachsen kann. In Norwegen hat er seit seiner Gründung vor knapp 20 Jahren mittlerweile einen Wert von fast einer Billion US-Dollar erreicht.
Das sind gute Ideen. Aber warum ist es so schwer, die zu realisieren? Was sind die Gegenkräfte?
Federico Pistono: Die üblichen Verdächtigen. Warum konnte Norwegen diesen unglaublichen Fonds schaffen, während es im Emirat Katar, das sich ebenfalls auf reichhaltige Ölquellen stützt, nur eine Handvoll Multimilliardäre gibt, denen eine große Zahl von armen Einwanderern gegenübersteht, die unter sklavenähnlichen Bedingungen existieren müssen?
Der Unterschied liegt in affektiven Institutionen, die aus einer starken Kultur der Solidarität und Gegenseitigkeit erwachsen. In einer homogenen Gesellschaft wie Norwegen ist das einfacher als in einer multikulturellen wie Deutschland oder den USA, aber das heißt nicht, dass es unmöglich wäre. In Norwegen hat es funktioniert, weil es keine mächtigen Spieler gab. Die Ölindustrie war in den Anfängen und die Norweger mussten sich überlegen, was sie damit anfangen sollen. Sie hätten es privatisieren können, wie von Margaret Thatcher oder Ronald Reagan vorgeschlagen. Aber sie haben sich für die soziale Alternative entschieden.
Das heißt also, ...oh, ich sehe gerade, der Speicher meines Aufnahmegerä...
Mist! Ausgerechnet jetzt, wo es gerade spannend wird. Roboter als Grundlage eines Wohlfahrtsfonds - wir könnten den nachfolgenden Generationen also noch andere Dinge hinterlassen als nur Klimaerwärmung und steigenden Meeresspiegel. Faszinierender Gedanke. Im Moment beschäftigt mich aber mehr die Frage, was ich mit meinem letzten Interviewpartner mache, der bereits im Nebenraum wartet. Innerhalb einer Minute brauche ich eine Lösung für den vollen Audiospeicher...