"Ich bin mir sicher, dass es wieder einen Crash geben wird"

Seite 2: "Markt ist oft die Chiffre von Macht"

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Wie viel Politik braucht es, damit der Markt als einzige Instanz im Wirtschaftsleben erscheint?

Sahra Wagenknecht: Das hat die Politik durch Deregulierung überhaupt erst herbeigeführt und insoweit sind natürlich auch viele Prozesse, bei denen heute gesagt wird, dies und das habe der Markt entschieden, gerade wenn von den Finanzmärkten die Rede ist, in Wahrheit Machtverhältnisse. Wir haben heute eine Situation, in der beispielsweise wenige Investmentbanken im Zusammenspiel mit Ratingagenturen darüber entscheiden, welchen Zinssatz ein Staat zu zahlen hat.

Dabei wird behauptet, es handele sich um ein Urteil des Marktes, in Wirklichkeit sind es aber fünf oder sechs Investmentbanken, die dort ihren Daumen heben oder senken. Markt ist also oft die Chiffre von Macht: Um uns weiszumachen, das sei ein anonymer Markt, weil das so schön herrschaftsfrei klingt, wird in dieser Weise von den Märkten gesprochen, aber die Realität sieht ganz anders aus.

Wirtschaftsfeudalismus maßgeblich von Gerhard Schröder und Josef Fischer durchgesetzt

In Deutschland wurde der Wirtschaftsfeudalismus, wie Sie ihn in Ihrem Buch beschreiben, maßgeblich von zwei Politikern durchgesetzt, die seinerzeit ja sehr von der sozialen Durchlässigkeit der Gesellschaft profitierten, nämlich Gerhard Schröder und Josef Fischer. Waren diese beiden linksliberalen Politiker seinerzeit zynisch oder naiv mit ihrer Politik?

Sahra Wagenknecht: Ein gewisser Prozentsatz Zynismus wird schon dazugehören, aber es ist für mich nicht entscheidend, was das für Persönlichkeiten waren. Das Problem ist doch ein strukturelles: Wir haben heute auf vielen Ebenen eine unglaubliche Macht der Wirtschaft gegenüber der Politik, eine Käuflichkeit der Politik.

Dazu gehört, dass zum Beispiel Politiker, die brav machen, was die großen Wirtschaftslobbys von ihnen erwarten, nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik durch Aufsichtsratsmandate und vieles andere mehr den Hintern vergoldet bekommen.

Hierfür sind Fischer und Schröder klassische Beispiele: Beide sind danach in die Wirtschaft gewechselt, haben dort viel Geld verdient und zwar aufgrund von Entscheidungen, die sie vorher in ihrer aktiven Politikerlaufbahn getroffen haben. Ein Oligarchen-Kapitalismus, in dem sich Unsummen in wenige Hände konzentrieren, ist letztlich mit Demokratie nicht vereinbar.

Was wäre, wenn ...

Wenn Sie kurz darüber spekulieren wie Deutschland heutzutage dastehen würde, wenn seinerzeit nicht die Deregulierung des Bankensektors und die Suspendierung der Steuern auf Veräußerungsgewinne beschlossen worden wären?

Sahra Wagenknecht: Zumindest hätten wir deutlich mehr staatliche Einnahmen und es wäre wahrscheinlich auch nicht dazu gekommen, dass so viele Aktien auf den Markt geworfen worden wären, die dann in die Hände von Finanzinvestoren gelangt sind. Das Modell Deutschland bestand ja einmal darin, dass große Banken einen erheblichen Teil der Aktien hielten, aber sie haben damit nicht gehandelt, weil das steuerlich für sie ungünstig war.

Das riesige Geschenk von Schröder war, dass sie diese Aktien mit einem unglaublichen Gewinn verkaufen konnten, den sie anschließend nicht zu versteuern brauchten. Das hat natürlich viel zur Instabilität der Märkte und zum Druck auf Unternehmen und ihre Beschäftigten beigetragen. Sicherlich wäre Deutschland heutzutage auch nicht eine Insel der Seligen, aber es wäre zumindest ein Land, in dem die Ungleichheit geringer wäre und wir hätten auch nicht einen so hohen Anteil von Menschen, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können und Angst vor Altersarmut haben müssen.

Haben Sie eine Vorstellung, wie viel Steuergelder seinerzeit der deutsche Staat bei der Bankenrettung ausgegeben hat?

Sahra Wagenknecht: Hier ist von unterschiedlichen Summen die Rede. Bereitgestellt wurde ein irrer Betrag von mehreren hundert Milliarden Euro. Gleichzeitig wird gesagt, sie hätte nur 23 Milliarden Euro gekostet, aber dabei handelt es sich auch nur um die Beträge, die definitiv schon abgeschrieben sind. Beispielsweise bei der Commerzbank ist es immer noch offen, wie viel die Bankenrettung gekostet hat. Hier ist der Staat immer noch finanziell involviert und es sind noch weitere Verluste zu erwarten. Auch bei anderen Engagements des Staates weiß man nicht hundertprozentig, wie teuer es noch werden wird.

Auf jeden Fall ist sicher, diese Maßnahme hat viele Milliarden gekostet haben, um Banken wie die Commerzbank am Leben zu halten, deren Geschäftsmodell bis heute unter anderem darin besteht, Steuerhinterzieher bei ihren Aktivitäten zu unterstützen und damit ihren eigenen Retter zu schädigen, nämlich den Steuerzahler. Es ist schon ziemlich pervers, wie das alles laufen gelassen wird.

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