Ich glotz im Netz

Die Konvergenz von Internet und TV hat viel zu bieten, vor allem für Hersteller und Fernsehsender

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Mit dem interaktiven TV (ITV) soll der Fernseher in Zukunft wie ein Computer zum Surfen im Netz und Verschicken von E-Mails benutzt werden können, bietet zudem Zugang zu erweiterten Angeboten des normalen Programms wie beispielsweise spezieller Kamerawinkel und zusätzlicher Statistiken bei Sportsendungen. Der Zuschauer wird zum unabhängigen Programmgestalter, der das breite Angebot auf seine individuellen Bedürfnisse abstellen kann - soweit die vollmundigen Verheißungen seitens der Hersteller und Sender.

Diese Zukunftsvision wird vorläufig noch durch die technischen und kommerziellen Schwierigkeiten beeinträchtigt, die derzeit durch den Andrang der verschiedenen Kabelbetreiber, Software-Firmen und Mediengesellschaften entstanden ist, die alle versuchen, ein Stück vom ITV-Kuchen abzubekommen und damit ein technisches Durcheinander verursachen.

Die Voraussetzungen für ITV: Ein mit Set-Top-Box (Decoder) ausgestatteter Fernseher oder ein PC mit handelsüblichen Kabelmodem; ein aufgerüstetes und rückkanalfähiges (862 Megahertz) Kabelnetz; ein Server bei Kabelkopfstationen oder Netzbetreibern, auf dem alle angebotenen Videos, Sendungen und sonstigen Angebote gespeichert sind und bei Bestellung sofort an den Kunden geschickt werden können.

Damit interaktives Fernsehen denn auch tatsächlich funktionieren kann, müssen Normen festgelegt, die verschiedenen Interessen, Möglichkeiten und technischen Entwicklungen unter einen Hut gebracht werden. Zu diesem Zweck hat sich die Branche kürzlich in San Jose getroffen, wo unter anderem das neue, "offene" Format MPEG-4 vorgestellt wurde, das in den Kreisen inzwischen schon als Mythos gehandelt wurde.

Bei der Analyse des Markts wurde vor allem einen Blick auf die Entwicklung in Europa geworfen: In Großbritannien haben inzwischen etwa sieben Millionen Kunden ein Abonnement für interaktives Fernsehen in der einen oder anderen Form, das sind mehr als in jedem anderen Land der Welt. Dort ist das System ein "geschlossenes", d.h. die Anwenderentwicklung wird in Übereinstimmung mit dem jeweiligen Provider gehandhabt. Der italienische Senat hat letzte Woche festgelegt, das analoge Fernsehen, das über die traditionelle Antenne empfangen wird, bis zum Jahr 2006 ganz abzuschaffen, um den Weg für die digitale Übermittlung freizumachen. Damit ist Italien das erste Land der Welt, das sich für die Umrüstung auf die digitale Technik auf eine so knappe Zeitspanne festgelegt hat.

Die Interessen der Hersteller am Zusammenwachsen von Netz und TV liegen klar auf der Hand. Allein in Europa wird sich die Branche auch in den nächsten Wochen zu zahlreichen Meetings treffen. Aber was hat eigentlich das Fernsehen davon?

KAUF! MICH! EIN!

Noch vor ein paar Jahren wurde das chaotische junge Internet vom Mammutmedium Fernsehen weitestgehend ignoriert; großzügigerweise konnte man im Netz vielleicht eben mal Einzelheiten über das Programm der Sender abrufen. Eigentlich wurde das World Wide Web vom dominanteren Medium jedoch höchstens als lästiger Störfaktor ernst genommen, der die Zuschauer vom möglichst ausdauernden Genuss des Fernsehens abhalten könnte.

Das hat sich geändert, seit sich die Möglichkeiten der neuesten technischen Entwicklungen selbst bis zum verschlafensten Programmchef herumgesprochen haben. Der Gedankengang ist simpel: Der (private) Sender lebt von der Werbung, die Werbeindustrie wiederum lebt vom Konsumenten. Genauer gesagt, möglichst vielen Konsumenten, möglichst viel konsumierenden Konsumenten: Vorbei könnte also die Zeit der Heizkissen und formschönen 77-teiligen Besteck-Sonderanfertigungen sein, die spontan per Telefon zu erwerben sind. Mit ITV heißt es: What You See Is What You (Can) Get! Der ultimativ demokratische Einkauf.

Endlich keine lästigen Unwägbarkeiten mehr, die der Werbeindustrie seit Jahren Kopfzerbrechen bereitet haben: Vergehen normalerweise zwischen der Ausstrahlung eines Spots und dem angenommenen nächsten Einkauf des potenziellen Konsumenten noch viele kostbare Stunden - kaum auszudenken, was da inzwischen alles wieder vom beabsichtigten Kauf eines Produkts ablenken kann! - könnte mit dem ITV auch der von der Werbung so hoch geschätzte Spontankauf endgültig seinen Siegeszug ins Wohnzimmer einhalten.

Ins Netz gegangen

Heute lässt es sich kein Fernsehsender, der etwas auf sich hält, mehr nehmen, im Netz präsent zu sein. Laut TV TODAY das ab seiner neuesten Ausgabe auch ein Internet-Programm anbietet, lassen sich die Sender das zwischen 4,5 und 100 Millionen Mark pro Jahr kosten.

Die ARD bietet das tägliche Leben ihrer Reporter live sowie eine Mitbestimmung der Reportagethemen. Beim ZDF ist Cornelia zu sehen, die erste virtuelle Moderatorin. Noch ist die Gute etwas einsilbig, an ihrer Dialogfähigkeit wird jedoch weiter gearbeitet. Nächste Woche soll mit "Nelly Net(t)" die erste interaktive Spielshow für Kinder im TV und im Netz an den Start gehen. RTL, auch im Netz die Nummer Eins der Sender (und mit dem größten Etat für den Online-Auftritt bestückt) bietet sämtliche Spiele von "Wer wird Millionär?" zum Nachspielen an. Für alle, denen die unerträgliche Spannung beim echten Quiz zu viel ist. SAT.1 läuft auch im Netz mit seiner "Quiz Show" dem RTL-Erfolg hinterher. Hier wird jedoch ein "totales Liveerlebnis" beim Spielen im Netz versprochen, um etliche Minuten genauer als bei der Konkurrenz. Wir gratulieren. Bei ProSieben soll mit Comedy wie "TV total", "Trigger Happy TV" und einem umfangreichen Archiv an Gag-Highlights soll bei Laune gehalten werden, Multiuser-fähige Science-Fiction-Spiele und die "Moorhuhn"-Meisterschaft wollen neue Maßstäbe im Spielebereich setzen.

Andere Sendungen erleben durch das Internet neue Beständigkeit: "Big Brother", das in der dritten Staffel seine Fernsehzuschauer inzwischen halbiert hat, erfreut sich im Netz an der immer noch gleich hohen Fangemeinde. "TV total" hat es, netzgestützt, so weit gebracht, dass das Produkt in Zukunft, auch wenn keiner mehr einschaltet, sehr gut ohne das originäre Medium Fernsehen auskommen wird. Andere Sendungen haben zu sehr auf den Erfolgsfaktor Internet vertraut: "Crazy ? Die Show" fällt eher durch ihre vorzeitige Absetzung auf als es ihr mit Show-Elementen wie Live-Wetteinsätzen im Netz gelungen ist. Zu wenig Quote bedeutet immer noch das Aus im TV, ein Weiterbestehen im Netz ist dieser wie anderen quotenschwachen Sendungen inzwischen aber sicher. So kann wenigstens das Internet allen noch so geschmacksverirrten Fans etwas Trost bieten.

Bleibt noch eine Frage: Gehören Homeshopping-Sender und -Sendungen, die Kaffeefahrten des Fernsehens, bald der Vergangenheit an? Ist diese meditativste Form des Konsums, die dennoch ihre größte Faszination aus dem Umstand bezieht, dass auf diese Art tatsächlich Geld verdient werden kann, vom Aussterben bedroht? Gibt es also doch noch Hoffnung?