"Ich halte Saudi-Arabien langfristig für noch gefährlicher als den Iran"
Der deutsch-ägyptische Autor und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad musste wegen Morddrohungen untertauchen. Ein Gespräch mit ihm über die Gefahr, die von Islamisten ausgeht und wie Deutschland gegenüber Ägypten reagieren sollte
Herr Abdel-Samad - der Salafisten-Scheich Assem Abdel-Maged, bekannt für wüste Schmähungen gegen säkulare und christliche Ägypter, hat Ihnen öffentlich mit dem Tod gedroht und rief auf dem Sender Elhafez zu Ihrer Ermordung auf (vgl. Giordano-Bruno-Stiftung fordert Einschreiten gegen Aufrufe zur Ermordung Hamed Abdel-Samads). Welche Rolle spielt Abdel-Maged in Ägypten, wie viel Einfluss hat der erwähnte Fernsehsender?
Hamed Abdel-Samad: Er ist Anführer der militanten Terrorgruppe Al-Dschamaa Al-Islamiya, die für mehrere Terroranschläge in Ägypten verantwortlich war, darunter auch die Ermordung des Präsidenten Sadat Anfang der 80er Jahre. Er wurde mehrfach verurteilt und saß viele Jahre in Haft. Mittlerweile ist er staatstragend, einer der wichtigsten Verbündeten des Präsidenten Mursi und Leiter seiner Unterstützungskampagne. Das ist vermutlich der Grund, warum er sich ermächtigt fühlt, Todesurteile auszusprechen, ohne juristische Konsequenzen zu fürchten.
Auf Initiative des Innenministers sind Sie Mitglied der Islamkomferenz der Bundesregierung. Was erwarten Sie jetzt von der politischen Führung in Berlin bezüglich der gegen Sie gerichteten Drohungen?
Hamed Abdel-Samad: Das ist bislang eine Angelegenheit des Auswärtigen Amtes. Das Innenministerium ist gefragt, wenn ich wieder in Deutschland bin. Da erwarte ich entsprechende Schutzmaßnahmen. Ich finde die Bundesregierung sollte in Ägypten anders auftreten als bislang. Zurückhaltung ist nicht mehr angebracht. Ich erwarte mehr Druck auf Kairo, damit die ägyptische Regierung sich nicht nur von diesem Mordaufruf distanziert, sondern auch juristische Schritte gegen Abdel-Madged und alle diejenigen, die den Mordaufruf gemacht oder vorbereitet haben. Ich stehe in Kontakt mit dem Auswärtigen Amt. Auch der SPD-Chef Sigmar Gabriel hat Kontakt zu mir aufgenommen und sicherte mir seine Solidarität und Unterstützung zu.
Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftrage der Bundesregierung, äußerte: "Der öffentliche Mordaufruf gegen Herrn Abdel Samad ist durch nichts zu rechtfertigen. Ich erwarte, dass sich die ägyptische Regierung deutlich und unmissverständlich davon distanziert. Ich fordere die ägyptische Regierung auf, Meinungs- und Religionsfreiheit zu garantieren und die Sicherheit von Herrn Samad zu gewährleisten." Halten Sie das für ausreichend?
Hamed Abdel-Samad: Nein. Ägypten braucht die finanzielle Unterstützung Deutschlands und die Europäische Union in dieser Übergangsphase. Es kann nicht sein, dass das Land in den Genuss der Entwicklungshilfe kommt, ohne die Mindeststandards der Rechtstaatlichkeit zu erfüllen. Es muss ein noch deutlicheres Signal aus Berlin kommen.
Wie hat sich Ihr Leben seit dem Mordaufruf verändert und welche persönlichen Sicherheitsvorkehrungen haben Sie seitdem getroffen?
Hamed Abdel-Samad: Ich kann mich nicht mehr in Kairo frei bewegen, wie ich das früher gerne tat. Auch öffentliche Veranstaltungen kann ich nicht mehr besuchen, weder als Referent noch als Gast. Das ist schon bitter. Als ich auf dem Tahrir-Platz vor zwei Jahren gegen Mubarak demonstriert habe, hätte ich mir nie gedacht, dass mein Land nach dem Sturz Mubaraks noch unfreier wird. Ich bereue es trotzdem nicht, denn wir hatten es in Ägypten mit einer Diktaturzwiebel zu tun, die aus mehreren Schichten bestand: die Schicht des Mubarak-Clans, die Militärdiktatur und die religiöse Diktatur. Und man muss eine Schicht nach der anderen abschälen, um zu einem demokratischen Kern zu gelangen. Freiheit ist teuer!
Der Salafismus ist in Ägypten auch parlamentarisch vertreten, als zweitstärkste Fraktion. Könnten Sie etwas über die Hintergründe dieser Entwicklung sagen. Wird diese Entwicklung von saudischen Quellen finanziert und unterstützt, wie andernorts im Nahen Osten?Wenn ja, wie beurteilen Sie dann die Tatsache, dass Saudi-Arabien vom Westen als enger Alliierter betrachtet und permanent aufgerüstet wird?
Hamed Abdel-Samad: Die Salafisten sind sehr vielfältig. Es gibt noch viele Salafisten, die apolitisch sind. Diejenigen, die sich an der Politik beteiligen, werden von Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten massiv unterstützt. Saudi-Arabien versucht, die radikal wahabitische Richtung des Islam zu verbreiten, und meint, dadurch den schiitischen Gegner Iran in Schach halten zu können. Der Westen ist strategisch ungeduldig und glaubt auch, durch militärische Unterstützung Saudi-Arabiens könne man die iranische Gefahr unterbinden. Ich halte Saudi-Arabien allerdings langfristig für noch gefährlicher als den Iran.
Salman Rushdie sagte in einem Interview: "Mithilfe des enormen Wohlstands, den unsere Petro-Dollars brachten, haben die Saudis ihre sehr fundamentalistische Version des Islam verbreitet, die zuvor innerhalb der islamischen Welt nur den Status einer Art Sekte besaß. Dadurch - durch die Verbreitung der saudischen Form - hat sich die ganze Natur des Islam zum Nachteil verändert." Teilen Sie diese Einschätzung?
Hamed Abdel-Samad: Das stimmt zum Teil. Aber die Saudis haben keine neue Ideologie erfunden. Sie haben nur Teile des Islam wiederbelebt, die seit seiner Entstehung zum Herzstück des Islam gehören, nämlich die wortwörtliche Interpretation der Texte. Es gibt keine Religion, die sich durch ein paar Petrodollars vollkommen verändern lassen kann. Sonst hätte der Westen mit viel Geld und Macht und Kolonialismus den Islam aufklären können. Es ist eine emotionale und kulturelle Angelegenheit, die viel älter als Saudi Arabien ist.
Befürchten Sie, Ihr Leben wird sich ab jetzt nachhaltig verändern, wie es bei Salman Rushdie der Fall war und ist?
Hamed Abdel-Samad: Ich hoffe nicht. Ohne Freiheit macht das Leben für mich keinen Sinn. Ich werde aber vorsichtiger sein müssen, wo ich auftrete und in welcher Gesellschaft ich mich befinde. Aber ich werde weiterhin das sagen und schreiben, was ich denke!
Vielen Dank Herr Abdel-Samad.
Zu Abdel-Samad siehe auch das Interview, das Reinhard Jellen 2010 mit ihm führte: Der Fels der Orthodoxie und ein Strom namens Aufklärung.