Ich klage an!

G.P.U.

Wie mich Telepolis zum Nazi machte

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Faschismus ist wie Schweinegrippe. Nach 1945 einigte man sich auf folgendes Szenario: Ein paar Verbrecher namens Hitler, Goebbels und Göring hatten das deutsche Volk mit ihrem braunen Gedankengut infiziert wie mit einer ansteckenden Krankheit. Einer der Orte, an denen Dr. Goebbels die Krankheit in deutsche Hirne übertrug, war das Kino. Die überwiegende Mehrheit der insgesamt 1094 im Dritten Reich uraufgeführten deutschen Spielfilme war harmlose Unterhaltung und ganz unpolitisch. Es gab aber auch einige Propagandafilme, nach neuesten Schätzungen etwa 40 Stück, in denen bis heute gefährliche Faschismus-Viren schlummern, die harmlose Leute befallen, wenn diese Filme nicht isoliert und unter Quarantäne gestellt werden.

Auf die Zahl 40 komme ich, weil es nach offiziellen Angaben der Murnau-Stiftung (von nun an abgekürzt zu: MS) noch etwa 40 "Vorbehaltsfilme" gibt. Die MS beansprucht die Rechte am Großteil der in der NS-Zeit produzierten Filme (wie fundiert dieser Anspruch ist, ließe sich letztlich nur vor Gericht klären, aber das soll hier nicht das Thema sein). Ich habe bei der Stiftung angefragt, um eine Liste der Vorbehaltsfilme gebeten und auch um nähere Angaben dazu, nach welchen Kriterien darüber befunden wird, welcher Film in diese Liste aufgenommen wird und welcher nicht. Auf eine Antwort warte ich jetzt schon sehr lange. Da die Verantwortlichen mit Informationen geizen, bin ich auf meine Kombinationsgabe angewiesen. Wenn man alles Unmögliche ausgeschlossen hat, sagt Sherlock Holmes, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein - ganz gleich, wie widersinnig es auch erscheinen mag. Hier folgt die Version von der Geschichte, die ich nach eingehenden Recherchen für die wahrscheinlichste halte. Gern lasse ich mich eines Besseren belehren.

Verantwortungsbewusste Ostereier

Bei Wikipedia gibt es eine Liste der Vorbehaltsfilme, die selbst unter Vorbehalt steht, weil sie nicht ausreichend belegt ist (Stand dieser und aller weiteren aus dem Internet bezogenen Informationen: Januar 2010). Bleibt noch die Website der MS. Wer da bei "Schnellsuche" den Begriff "Vorbehaltsfilm" eingibt, erhält die Antwort, dass die Anfrage leider kein Ergebnis erbracht hat. Das muss noch nichts mit dem Thema zu tun haben. Auch die Eingabe bestimmter Filmtitel bleibt ergebnislos. Wer nicht gleich aufgibt, kann sich allerdings zu einigen Informationen durchklicken. Über "Filmbestand" - "Filmgeschichte" - "1933-1945" gelangt man zu dieser Mitteilung:

Die Verfassung der Murnau-Stiftung sieht vor, die in ideologischer Absicht produzierten Filme jener Zeit verantwortungsbewusst zu bewahren und keine unangemessenen Aufführungen dieser so genannten "Vorbehaltsfilme" zuzulassen. Die Murnau-Stiftung stellt sicher, dass Vorbehaltsfilme nur im Rahmen von fachkundig eingeleiteten und kommentierten Veranstaltungen und Gesprächsrunden vorgeführt werden.

Aha. Wer solche Formulierungen wählt, bringt sich selbst in Erklärungsnot. Was sind das nun für Filme? Gibt es überhaupt Filme ohne Ideologie? Jean-Luc Godard zum Beispiel meint, dass jeder Schnitt und jede Kamerabewegung bereits ideologisch motiviert ist. Müssten dann alle deutschen Filme, die zwischen 1933 und 1945 entstanden und von der Zensur zugelassen wurden, verboten werden? Oder nur solche Filme, in denen die Ideologie gleich erkennbar ist, weil der Held eine wehende Hakenkreuzfahne vor sich herträgt oder die Heldin unter einem Führerbild schläft? Oder kommt es primär auf die böse Absicht an? Oder auf das Resultat? Wie stellt man so etwas fest? Bisher ist das, was die Murnau-Stiftung da mitteilt, sehr unbefriedigend. Also noch ein Versuch.

Über "Filmbestand" und "Erweiterte Suche" erreicht man ein Feld, in das man Filmtitel eingeben kann. Veit Harlans Jud Süß darf in Deutschland definitiv "nur im Rahmen von fachkundig eingeleiteten und kommentierten Veranstaltungen und Gesprächsrunden vorgeführt werden". Dadurch, dass man den Titel eingibt und auf "Go!" klickt, erfährt man das aber noch nicht. Man muss ein weiteres Mal den - nun unterstrichenen - Filmtitel anklicken. Erst dann erscheint der Hinweis, dass es sich um einen "VB-Film" handelt. Wieder klicken, und dann endlich:

Dieser Film gehört zu einem Kontingent von ca. 40 Titeln aus dem Rechtebestand der Murnau-Stiftung, die unter sog. Vorbehalt stehen. Vorbehaltsfilme (VB-Filme) sind vorwiegend Propagandafilme aus der Zeit des Dritten Reichs, deren Inhalt kriegsverherrlichend, rassistisch oder volksverhetzend ist, denen z.T. die Freigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) verweigert wurde und die auf Beschluss des Kuratoriums der Murnau-Stiftung von ihr nicht gewerblich ausgewertet werden. Stattdessen kommen diese Filme in geschlossenen Veranstaltungen - etwa im Rahmen der politischen Bildungsarbeit - zum Einsatz. Hier werden sie von kompetenten Referenten eingeführt und anschließend mit dem Publikum diskutiert.

Hier liegt also der Schlüssel zum Erfolg. Die MS bietet auf ihrer Website eine chronologisch geordnete Auflistung aller in ihrem Besitz befindlichen Filme an. Was beginnt wie ein fröhliches Ostereiersuchen, wird allerdings schnell zur drögen Fleißarbeit, wenn man genau wissen will, was unter Vorbehalt steht. Man nimmt sich die Liste vor, klickt von 1933 bis 1945 jeden Titel zweimal hintereinander an und entdeckt auf diese Weise die Vorbehaltsfilme, die da versteckt sind. Wer nur durch mindestens zwei Quellen abgesicherte Informationen mag, kann die Ergebnisse mit der unter Vorbehalt stehenden Vorbehalts-Liste von Wikipedia abgleichen. Eine Alternative ist filmportal.de, ein Online-Angebot des Deutschen Filminstituts und des Verbundes der deutschen Kinematheken und nach eigener Darstellung "die zentrale Internet-Plattform für umfassende, zuverlässige und kostenlose Informationen zu allen deutschen Kinofilmen".

Beim Filmportal regiert dasselbe Ostereiprinzip wie bei der MS, nur die Schnellsuche funktioniert besser: Filmtitel eingeben - unter "Anzahl der Treffer" den gesuchten Titel anklicken - unter "Verfügbarkeit" auf "Filmkopie" klicken - und da steht es dann: "Vorbehaltsfilm: Verleih nur unter besonderen Bedingungen". Allerdings steht es da nicht immer. Die MS bietet mehr VB-Filme an als filmportal.de. Weil nur die MS darüber zu befinden hat, was ein solcher Vorbehaltsfilm ist, sollten wir uns wohl an deren Website halten. Oder legen die Mitarbeiter von filmportal.de mehr Wert auf die Aktualisierung der Daten? Das kann nicht sein. Diese Filme sind so brandgefährlich, dass sie nur im Beisein einer Aufsichtsperson gezeigt werden dürfen. Ich bin deshalb davon überzeugt, dass man bei der MS um größtmögliche Sorgfalt bemüht ist. Andererseits wirft das kein gutes Licht auf das Filmportal, wo man doch sicher auch um die Gefährlichkeit dieser Filme weiß? Mein Vorschlag: Jeweils eine allgemein zugängliche und leicht aufzufindende Liste ins Netz stellen. Unstimmigkeiten entdeckt man so ganz schnell.

Ermüdende Propaganda

Die größte Vorbehalts-Dichte gibt es von 1939 bis 1942. 1939 wurden sieben solche Filme produziert, 1940 waren es fünf, das Jahr 1941 hält mit 13 Titeln den Rekord, 1942 waren es immerhin noch fünf. Aber dann: Nur je ein Vorbehaltsfilm in den Jahren 1943 und 1945, 1944 gar keiner. Goebbels scheint in den letzten Kriegsjahren schlagartig die Lust an der Propaganda verloren zu haben. Jedenfalls gewinnt man diesen Eindruck, wenn man davon ausgeht, dass die Murnau-Stiftung seine gefährlichsten Hervorbringungen unter Verschluss hält und das dafür zuständige Gremium, das Kuratorium der Stiftung, weiß was es tut. Daran kann es keinen Zweifel geben. Zu diesem Kuratorium gehört z.B. eine Vertreterin (ein Vertreter) des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, also von Roland Koch. Das ist doch sehr beruhigend.

Joseph Goebbels

Wikipedia hat aktuell 46 Vorbehaltsfilme im Angebot. Ich komme nur auf 41, höchstens 42. Woraus sich diese Differenz ergibt, erkläre ich noch. Vorher möchte ich etwas anderes erwähnen, das ich gelernt habe. Als halbwegs vorgebildeter Mensch nimmt man an, dass viele der sogenannten "Kulturfilme" des Dritten Reichs unter Vorbehalt stehen. Sie liefen vor dem Hauptfilm; zu einem Kinoabend gehörten auch die Wochenschau, Reklame, ein Kurzfilm mit Spielhandlung, manchmal ein Zeichentrickfilm. Die Kulturfilme sind nicht ohne Grund berüchtigt. Bei vielen davon ist ganz offensichtlich, dass sie "in ideologischer Absicht produziert" wurden. Berichtet wurde über fremde Völker, das Brutverhalten der Vögel, getarnte Fische in der Tiefsee oder über heimische und fremde Farne - und zwar so, dass der Eindruck entstand, die teilweise abstrusen und immer menschenverachtenden Vorstellungen der Nazis von "Rassenhygiene", Abstammungslehre und Sozialdarwinismus seien auf irgendwelche Naturgesetze zurückzuführen, die auch der Mensch befolgen müsse, um zu überleben. Stehen solche "Kulturfilme" also unter Vorbehalt? Nein, kein einziger.

Wie verhält es sich mit Pimpfe lernen fliegen (Kulturfilm von 1942, 9 Minuten)? Inhaltsangabe der Murnau-Stiftung: "Um die Grundlagen des Fliegens kennen zu lernen bauen Pimpfe in der Hitlerjugend Modellflugzeuge. Sie lernen Gleit- und Segelfliegen und den Bau von Segelflugzeugen" - damit sie später gute Bomberpiloten werden können. Windige Probleme (1941, 12 Minuten), ein "Film über den Wind", wurde gemacht, um dem Zuschauer zu vermitteln, wie toll die deutschen Flugzeuge und insbesondere die Stukas sind. In Armer Hansi (1943, 18 Minuten) muss man auch nicht lange nach der Ideologie suchen: "Zeichentrickfilm um einen Kanarienvogel, der seinen Käfig verlässt, sich in der Natur verirrt und schließlich reumütig zurückkehrt."

Dazu gab es noch Kurzfilme wie Rüstungsarbeiter (1943, 15 Minuten - einsatzfreudiges Verhalten wird belohnt), oder Dokumentarisches wie Im Walde von Katyn (1943, 12 Minuten) über Exhumierung und Obduktion der ermordeten polnischen Offiziere ("Trauernde Bevölkerung, propagandistischer Sprecherkommentar", vermerkt die Murnau-Stiftung). Nichts von alledem steht unter Vorbehalt. Ich erkläre mir das so: Die genannten Werke haben eine Laufzeit von maximal 18 Minuten. Das Faschismus-Virus braucht offenbar lange Spielfilme zum Überleben. Und tatsächlich: Alles auf der ominösen Vorbehalts-Liste ist deutlich länger als eine Stunde. Wir haben also erste wichtige Erkenntnisse gewonnen.

Bleibt noch die Frage, warum es so kompliziert ist, an die ohnehin spärlichen Informationen zu den VB-Filmen zu gelangen? Bei der MS erfährt man bestenfalls, ob ein Titel auf der Liste steht oder nicht. Wikipedia fügt noch ein paar Verbotsgründe hinzu, mit denen wenig anzufangen ist, weil sie so allgemein gehalten sind (G.P.U. ist "antisowjetisch", Ohm Krüger ist "antibritisch"). Ist die karge Informationsvergabe durch die MS damit zu erklären, dass sich in Deutschland Behörden und behördenähnliche Institutionen viel schwerer damit tun als in anderen demokratischen Ländern, eine benutzerfreundliche Website zu gestalten? Oder haben wir es hier mit einem Geheimnis zu tun, das nur widerwillig preisgegeben wird (wobei das eine das andere nicht ausschließt)?

Ohm Krüger

Der Verdacht liegt nahe, weil auch die Filme selbst mit dem Schleier des Geheimnisvollen überzogen sind. Wer sie als mündiger Staatsbürger außerhalb von geschlossenen Veranstaltungen sehen will - nicht, weil er ein Nazi ist, sondern weil er ein legitimes Informationsbedürfnis hat -, der ist auf zumeist miserable Kopien angewiesen, die im Netz oder auf Flohmärkten kursieren. Oft sehen die Bilder aus wie das, was man in Nigel Kneales Quatermass and the Pit von einer grauen, hasserfüllten Vorzeit zu sehen bekommt, in der die Marsmenschen die Erde kolonisierten. Das macht die NS-Filme zu einem Faszinosum, das sie nicht sein sollten.

Quatermass and the Pit

Beim Suchen im Netz bin ich auf Gerrit M. gestoßen. Herr M. ist Pädagoge und möchte wissen, ob er sich strafbar macht, wenn er sich solche Nazifilme beschafft und diese privat anschaut. Allein schon die Tatsache, dass diese Frage gestellt werden muss, ist ein Armutszeugnis für eine Demokratie, zu deren wesentlichen Bestandteilen die Informationsfreiheit gehört (es geht hier um 70 Jahre alte Propagandafilme, nicht um Kinderpornographie im Internet). Noch schlimmer ist, dass eine juristische Antwort sehr kompliziert ausfallen würde und mit vielen neuen Fragezeichen versehen wäre. Das verstärkt die Aura des Geheimnisvollen und des Verbotenen. Herr M. schreibt, er sei "nicht der Meinung, dass durch Verheimlichung, Verbot und Verschleierung irgendetwas in der Welt besser wurde". Dem kann ich mich nur anschließen.

Zensur durch Urheberrecht

Im Juni 1934 hielt Bernhard Rust, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vor Lehrern eine auch im Völkischen Beobachter (23.6.) abgedruckte Rede, in der er die große Bedeutung des Mediums Film für die Erziehung der Schulkinder hervorhob. Der Film, so Rust, müsse den Kindern ein Verständnis von Deutschlands Vergangenheit, aktuellen politischen Problemen sowie den Zielen des Dritten Reichs vermitteln und außerdem die Nazi-Ideologie transportieren. In den folgenden Jahren trug das Regime dafür Sorge, dass die Kinder gruppenweise ausgewählte Filmvorführungen besuchten, begleitet von eigens dafür geschultem Personal, das hinterher erklärte, wie das Gesehene zu verstehen war. Solche Sondervorführungen mit begleitender Kommentierung gab es auch für viele Erwachsenengruppen.

Natürlich ist es ein Unsinn, Hitlers 12-jähriges Reich mit der BRD gleichzusetzen. Die geschlossenen Veranstaltungen unserer Tage, bei denen die Vorbehaltsfilme "von kompetenten Referenten eingeführt und anschließend mit dem Publikum diskutiert" werden, finden unter völlig anderen Vorzeichen statt. Jud Süß wurde im Dritten Reich Ärzten, Krankenschwestern und Feuerwehrleuten im Rahmen von Diskussionsveranstaltungen gezeigt, um sie dazu zu bringen, Juden im Notfall keine Hilfe zu leisten. Heutige Referenten sprechen darüber, wie durch Jud Süß der Völkermord an den Juden vorbereitet und befördert wurde. Sie weisen gezielt auf die Ideologie hin, die den Kinogängern untergejubelt werden sollte, weil sie so an Wirksamkeit verliert. Aber rein strukturell (Gruppenveranstaltungen im Beisein einer Aufsichtsperson, die erläutert, wie ein Film zu deuten ist) gibt es Ähnlichkeiten, die bei mir persönlich ein ungutes Gefühl verursachen. Ich bin sehr dafür, Filme in ihren zeitlichen Kontext zu stellen und sie mit jemandem zu diskutieren, der über diesen Kontext etwas sagen kann. Wenn das aber als einzige Möglichkeit angeboten wird, sie legal zu sehen, wird daraus, beste Absichten hin oder her, eine Zwangsveranstaltung mit Indoktrinationscharakter.

Das von der MS gewählte Verfahren hat auch etwas Beleidigendes. 65 Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches traut man uns, den Bürgern eines demokratischen Staats, offenbar immer noch nicht zu, dass wir uns selbst und ohne Anleitung ein Urteil über Filme bilden können, in denen die Vernichtung der Juden, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, die Versklavung anderer Völker, der Kampf gegen den jeweils aktuellen Feind, das Ideal von der Herrenrasse oder sonst ein krimineller Schwachsinn propagiert wird. Sollte dieses Misstrauen berechtigt sein, hätten wir ein Problem, das sich nicht dadurch beheben lässt, dass wir 40 Filme verbieten.

Noch ein Fundstück aus dem Netz. In einem Diskussionsforum der FDP hat ein User namens "tempranillo" im Juli 2009 die Debatte darüber eröffnet, ob Vorbehaltsfilme noch zeitgemäß sind. Man findet da sogar eine offizielle Stellungnahme der MS. Darin heißt es (ich zitiere wörtlich - ob die sprachlichen Mängel von der FDP oder der MS kommen, weiß ich nicht):

Das Kuratorium der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung bedient sich generell zur Urteilsbildung über die Freigabe der sog. Vorbehaltsfilme für die öffentliche Vorführung Sachverständiger. Diese nehmen eine Überprüfung der Filme insbesondere im Hinblick auf ihre propagandistischen Absichten, ihre historischen Aspekte, welche Wirkungsziele wurden mit den Filmen bei ihrer Produktion verfolgt, welche unmittelbaren Folgen hatte die seinerzeitige Verbreitung, und ihre gegenwärtige Wirkung vor. Überwiegend handelt es sich um Kriegs- und kriegsverherrlichende Filme, Filmwerke die das Führerprinzip propagieren, "Durchhaltepropagandafilme" und andere Filme, die auf unterschiedliche Weise nationalsozialistisches Ideen- und Gedankengut verbreiten.

Ich kann nur hoffen, dass sich die Herren Westerwelle, Rösler und Brüderle beim Regieren nicht mit ähnlichen Floskeln abspeisen lassen wie dieses Diskussionsforum ihrer Partei. Wir wissen jetzt Folgendes: Es gibt Filme aus der NS-Zeit, die sind irgendwie propagandistisch und gefährlich. Alles Weitere regelt das Kuratorium der MS, das sich bei der Meinungsbildung einiger Sachverständiger bedient. Diese Sachverständigen nehmen eine Überprüfung vor. Wollen wir uns damit wirklich zufrieden geben? Wer sind die Sachverständigen? Nach welchen Kriterien überprüfen sie? Wo kann man nachlesen, was die Überprüfung ergeben hat? Wäre nicht gerade bei solchen Verboten Transparenz besonders wichtig?

Das Verbot von ca. 40 Filmen ist keine Kleinigkeit. Faktisch ist es ein Verbot, auch wenn versucht wird, das Problem wie bei Hitlers Mein Kampf durch einen ziemlich fragwürdigen Gebrauch des Urheberrechts zu regeln und man theoretisch jeden der Vorbehaltsfilme sehen darf: in einer geschlossenen Veranstaltung mit Referent, oder indem man nach Wiesbaden fährt, wo die Murnau-Stiftung ihre Filme auf Videokassette oder DVD vorrätig hält. Für ein solches Verbot mag es gute Gründe geben. Aber wer dafür verantwortlich ist, sollte ein Interesse daran haben, dass gar nicht erst der Eindruck entstehen kann, hier werde etwas verborgen und mit Geheimwissen operiert. Wo also ist die offizielle Liste mit den verbotenen Filmen, und wo ist die für jedermann leicht einsehbare und nachvollziehbare, nicht auf ein Schlagwort reduzierte Begründung für das jeweilige Verbot?

Nun bin ich kein Jurist. Also will ich jemanden zitieren, der Jura studiert hat und inzwischen selbst an der Uni lehrt. Thomas Henne kennt sich in der Materie sehr gut aus. Was er in einem Aufsatz über Harlans Jud Süß schreibt1, gilt für die Vorbehaltsfilme generell:

[Das Urheberrecht] soll, wie der Name sagt, die Rechte des Urhebers schützen, nicht aber die Zugänglichkeit eines Werkes aufgrund polizeilicher und politischer Überlegungen begrenzen. Für Letzteres gibt es das Polizei- und das Strafrecht [...]. [Somit] verstößt jedenfalls der Einsatz des Urheberrechts zur jahrzehntelangen Nichtverbreitung trotz bestehendem Interesse evident gegen den Zweck des Urheberrechts, die Verbreitung eines Werks zu regeln. Auch die fortdauernde Einstufung des Jud Süß-Films als "Vorbehaltsfilm" durch die Murnau-Stiftung mit den daraus resultierenden Folgen ist problematisch - die Kriterien sind unklar, eine Begründung wird nicht gegeben, ein zuständiges Gremium ist nicht ersichtlich. FSK-Einstufungen können angefochten werden, doch nicht die noch folgenreichere Etikettierung als "Vorbehaltsfilm". All das erscheint rechtsstaatlich mindestens problematisch.

Ich als juristischer Laie würde es so formulieren: 65 Jahre nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur sollten die in der Bundesrepublik Deutschland dafür zuständigen Stellen einen Weg gefunden haben, mit den Hinterlassenschaften von Hitlers Unrechtsstaat so umzugehen, dass dieser Umgang unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten über jeden Zweifel erhaben ist. Manchmal ist das schwer. Wir erleben das regelmäßig, wenn Neonazis von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen wollen. Alternativlos ist es in einem demokratischen Rechtsstaat aber auch. Wenn man die öffentliche Vorführung bestimmter Filme verhindern will, muss man ein Verbot anstreben und dafür Begründungen liefern, die notfalls auch einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Wenn man eine solche Begründung nicht beibringen kann, darf man die Filme nicht verbieten - so widerlich sie vielleicht auch sein mögen.

Zwischen Propaganda-Häppchen und Diffamierungs-Overkill

Die Vorbehalts-Praxis der Murnau-Stiftung ist längst nicht mehr zeitgemäß. Sie erinnert allzu sehr an eine Zensur durch die Hintertür. Der Ehrlichkeit halber darf man das nicht nur dieser Stiftung anlasten. Ich weiß nicht, wie heldenhaft ich mich verhalten würde, wenn ich dort etwas zu sagen hätte. Würde ich, auch wenn mir das dann um die Ohren fliegt, für eine DVD-Veröffentlichung von Im Kampf gegen den Weltfeind oder von Stukas sorgen, weil ich der Meinung bin, dass interessierte Bürger ein Recht haben, solche Filme zu sehen? Oder würde ich mir das lieber doch nicht antun?

Im Kampf gegen den Weltfeind

Beim Umgang mit dem Dritten Reich ist das Erregungspotential noch immer extrem hoch. Man kann das derzeit an den Reaktionen auf Oskar Roehlers Jud Süß - Film ohne Gewissen sehen. Mag sein, dass das ein schlechter Film ist. Nehmen wir an, dass es so ist: auch schlechte Filme über das Dritte Reich sind erlaubt (ich kenne einige, die mit Preisen bedacht wurden, weil sie so schön und distanzlos die Ästhetik des NS-Kinos reproduzieren). Bei Roehler-Verrissen ist eine ordentliche Begründung offenbar genauso wenig erforderlich wie für das Verbot der Vorbehaltsfilme. Vieles von dem, was bei uns als "Filmkritik" durchgeht, besteht zum größten Teil aus Unterstellungen einem Regisseur gegenüber, der es gewagt hat, sich an diesem heiklen Thema zu vergreifen.

Ob es ihm geglückt ist oder nicht: Roehler versucht, sich auch ästhetisch mit Harlans Jud Süß auseinanderzusetzen. Beurteilt wird dieser Versuch aber mehrheitlich von Kritikern, die den Harlan-Film vor langer Zeit oder überhaupt noch nie gesehen haben (man merkt das gleich an den vielen sachlichen Fehlern in den Verrissen). Damit meine ich: die ihn ganz gesehen haben. Wir haben den "schlimmsten Film des Dritten Reichs" nämlich längst auf ein paar Häppchen reduziert und tun dann so, als wüssten wir, wovon wir sprechen. Wer glaubt, er kenne Jud Süß, weil er mal die immer gleichen, bei jeder Gelegenheit wiederholten drei Ausschnitte gesehen hat, der irrt.

Früher, als die Deutschen die Demokratie einübten, gab es einen oft gebrauchten Spruch, an den hin und wieder denken sollte, wer sich mit dem Dritten Reich beschäftigt: "Glauben heißt nichts wissen." Bei den Vorbehaltsfilmen läuft es letztlich darauf hinaus, dass wir glauben sollen. Es gibt verantwortungsvolle Leute, die sich für uns um das unselige Filmerbe der Nazizeit kümmern. Das Verantwortungsbewusstsein dieser Leute will ich hier überhaupt nicht in Frage stellen. Bestimmt wird viel Sachverstand zu Rate gezogen, bevor über einen Vorbehaltsfilm befunden wird. Ich will auch keine Einrichtung der BRD mit dem Propagandaministerium des Joseph Goebbels vergleichen. Aber die Zeiten, in denen man ungeprüft glauben musste, dass die Autoritäten alles gut und richtig machen, sollten ein für allemal vorbei sein.

Etwa zur gleichen Zeit, als Harlan Jud Süß drehte, stellte Fritz Hippler den Pseudo-Dokumentarfilm Der ewige Jude her. Hipplers Machwerk habe ich im Lauf der Jahre mehrfach im Rahmen dieser "fachkundig eingeleiteten und kommentierten Veranstaltungen" gesehen. Da kam immer derselbe Herr, der - wenn die Erinnerung nicht trügt - immer denselben einführenden Vortrag hielt. Es gab aber nie eine befriedigende Antwort auf die Frage, warum der Film bis heute verboten werden muss. Natürlich ist die Vorstellung bedrückend, dass Der ewige Jude ganz normal in einem Kino läuft und ein paar Nazis zu johlen anfangen, wenn die Juden mit Ratten gleichgesetzt werden. Aber ist ein Verbot die bessere Alternative? Ich möchte das bezweifeln.

Der ewige Jude bietet alles auf, was man sich an antisemitischen Vorurteilen nur denken kann. Hippler verausgabt sich total, und damit überforderte er das Publikum. Sein Diffamierungsfilm ist so plump, dass er nur diejenigen überzeugte, die nicht mehr überzeugt werden mussten, weil sie ohnehin schon Hakenkreuze auf den Augen hatten. Die anderen, also das eigentliche Zielpublikum, wollten diesen Diffamierungs-Overkill nicht sehen. Der ewige Jude wurde bald abgesetzt. Goebbels gab nie wieder einen antisemitischen Film in Auftrag, der mit Hipplers Holzhammermethoden arbeitet. Wir verbieten also ein Machwerk, das Goebbels als Propagandafilm für misslungen hielt und aus dem Verkehr zog, weil dieses Machwerk ein gefährlicher Propagandafilm ist. Sollte Der ewige Jude heute, in einem demokratischen Land mit Medien- und Informationsfreiheit, eine Wirkung entfalten, die ihm im Dritten Reich versagt blieb, weil Hippler zu dick aufgetragen hatte? Könnte sich Goebbels gar getäuscht haben? In diesem Fall wahrscheinlich nicht.

Teil 2: Meister der Elastizität