"Ich will einen voll funktionierenden Saddam"

Spott, Fassungslosigkeit und Hoffnung in der arabischen Welt

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"Es kann Weihnachten werden, der erste Hirte ist schon da", frohlockt Willi Winkler hämisch in seinen spitzen Anmerkungen zu den Fernsehbildern vom gefangenen Saddam Hussein. Indes sich die Bush-Familie darüber freut, dass George W., Nummer 43, das politische Vermächtnis von George, Nummer 41, durch die Entdeckung des lang gesuchten Hirten im Erdloch endlich erfüllt hat ("a nice moment"), haben viele Araber große Schwierigkeiten mit der frohen Botschaft, deren Bilder widersprüchliche Gefühle ausgelöst haben. In Israel gibt man sich sehr erleichtert und verrät der Öffentlichkeit erstmals einen Plan zur gezielten Tötung Saddams, der 1992 wegen eines tragischen Unglücks fallen gelassen wurde. Ein französischer Anwalt, der sich als "Anwalt des Teufels" schon einen geeigneten Ruf erworben hat, erbot sich in einem Rundfunkinterview die Verteidigung des Tyrannen zu übernehmen.

Kein Araber und kein Muslim wird jemals diese Bilder vergessen, schreibt der marokkanische Journalist Kahlid Jamai. Es würde der menschlichen Würde widersprechen, Saddam wie einen Gorilla vorzuführen, der gerade aus dem Wald gekommen ist, und dazu jemand, der seinen Kopf nach Läusen absucht.

Schock und Lähmung

Die viel zitierte "arabische Straße ist benommen und die arabischen Medien scheinen sich in einem Schock zu befinden", kommentiert der saudi-arabische Journalist Tarek al-Hamed das emotionale Klima, das jedoch auch von Erleichterung vielerorts bestimmt sei.

Dass die palästinensische Regierung diesbezüglich keine offizielle Bewertung abgab, ist für den Ha'aretz-Kommentator ohnehin klar: "Saddam unterstützte die palästinensische Sache seit Jahren." Kein Wunder also, dass sich die Palästinenser auf den Strassen sehr enttäuscht zeigten.

Der Grund, weshalb das syrische Fernsehen nichts von der Gefangennahme zeigte, liegt nach der Meinung des Ha'aretz-Journalisten darin, dass es zu viele Ähnlichkeiten zwischen den Baath-Regimen hier und dort gebe. Wie überhaupt sich jetzt alle arabischen Regimes Fragen zu ihrer Legitimität stellen müssten...

Es ist für die Öffentlichkeit im Nahen Osten äußerst ungewöhnlich, einen nationalen Führer in einem "solchen Moment der Schwäche" zu sehen. Jahrelang habe Saddam, so Stern, sehr darauf geachtet, dass man keine Bilder von ihm machte, die ihn gehend zeigten, da er einen hinkenden Fuß hat: "Sogar die, die wussten, dass er ein Diktator war, hatten große Schwierigkeiten damit, wie die Amerikaner Saddam erniedrigten. Viele glauben, dass es eine Verschwörung gab, die ihn auslieferte."

Zeyad, aus dessen Blog das Bild stammt, ist vermutlich nicht der einzige Iraker, der mit Witz versucht, den Bildern Herr zu werden, die im gesamten Mittleren Osten schockähnliche Gefühlslagen provoziert haben.

Ich bin bis jetzt noch nicht dazu fähig, die tiefe Trauer, die mich die letzten zwei Tage übermannt hat, los zu werden. Man hat mir e-mails geschickt, die mich nach Erklärungen fragten. Ich wünschte, ich könnte, aber ich kann nicht...Wenn du dein ganzes Leben lang von einem brutalen Diktator regiert wirst, der zum Gott erhoben worden ist, und dann ohne Vorwarnung siehst, dass dieser Diktator im öffentlichen Fernsehen als "Mensch" gezeigt wird, würdest du wahrscheinlich meine Position verstehen....Die Bilder waren schockierend...Ich war an diesem Tag wirklich verwirrt und ging auf die Strasse und wurde beinahe von Fedajin und wütenden Teenagern getötet...Ich wollte ihn nicht so entwürdigt sehen, so sehr ich ihn hasste. Sein Fall muss öffentlich vor einem irakischen Gericht verhandelt werden. Die übrigen arabischen Diktatoren sollen es sehen und daraus lernen

Zayed

Erst soll er erzählen, dann in die Hölle

Auch Salam Pax will einen "voll funktionierenden" Saddam, der Rede und Antwort steht: "auf einem Stuhl vor einer TV-Kamera; 10 Stunden täglich soll er davon berichten, was genau in den letzten 30 Jahren passiert ist.

Ich kümmere mich nicht um einen fairen Prozess, worüber sich Amnesty International sorgt und mir ist es egal, ob die irakischen Richter dafür ausreichend qualifiziert sind, wir alle wissen, dass er in der Hölle verrotten soll. Worum es mir wirklich geht, ist, dass er eine öffentliche Verhandlung bekommt, weil ich alle noch nicht erzählten Geschichten hören will.

Dagegen äußert der für seine provokanten Einlassungen berühmte New York Times-Kolumnist William Safire ganz eigene Bedenken gegenüber den Geschichten, die Saddam dem Gericht präsentieren könnte.

Saddam bleibt seiner Meinung nach noch immer der alte, ein bösartiger Megalomane. Die erste Konfrontation mit vier ausgewählten Regierungsratmitgliedern ist für Safire schon Beweis genug dafür. Auf die Frage, warum er damals den Schiitenführer Ayatollah as-Sadr töten ließ, gab Saddam verächtlich zurück: "Sadir oder Ridschil?" - ein Wortspiel, das mit "Brust (sadir) oder Fuß (ridschil) übersetzt werden kann. Ganz entsprechend würde Saddam auch den Prozess Prozess gegen Saddam Hussein wird für neue Konflikte sorgen gegen ihn zu seinem Gunsten ausnützen. Er habe sich genau deswegen nicht seiner Pistole bedient, schreibt Safire, weil er einen Prozess anvisiert, der als "Mutter aller Genozid-Prozesse" mit Nürnberg konkurriert und diejenigen von Eichmann und Milosevic toppen könnte:

Dort, im globalen Rampenlicht, kann er als der große arabische Held posieren, der den Islam vor den Bushies und den Juden gerettet hat.

Ob sich der "Bettler von Bagdad" noch einmal zu einem "Helden" relaunchen kann, bleibt aber ziemlich fragwürdig, auch wenn sich einer Meldung des Middle-East-Internetmagazins "Al Bawaba" zufolge, der französische Anwalt Jacques Verges in einem Radio-Interview dahin gehend geäußert, bei der Verteidigung Saddam auf "Unschuld" zu plädieren. Vor jedem Gericht.

Verges, dem nachgesagt wird, dass er bei der französischen Resistance mitgekämpft hat, hat sich als "Advokat des Teufels" einen Namen gemacht. Seine Verteidigung von Klaus Barbie, dem "Schlächter von Lyon" und dem legendären Terroristen Carlos, der in den 70er und 80er Europa weit Anschläge verübte, sorgte für Schlagzeilen.

Anscheinend geht es dem Franzosen im Fall Saddam Hussein vorerst um die Aufmerksamkeit, die mit einem Saddam-Prozess derzeit zu erzielen ist. Denn, wie Verges betonte, das Ganze sei noch "hypothetisch". Der Anwalt verknüpfte diese Einschränkung allerdings mit der Warnung, dass ein Prozess, der sich mit Anklagen zum Völkermord an die Kurden in den 80er Jahren sowie den Giftgasangriffen auf iranische Truppen und die Niederwerfung der kurdischen und schiitischen Aufstände befassen würde, auch westliche Politiker implizieren könnte.

Ein Plan zur Tötung Husseins

Öffentlichkeitsarbeit ganz anderer Art in Sachen Saddam Hussein betreibt dagegen die israelische Zensurbehörde. Erst jetzt durfte - zur großen Verärgerung des IDF-Chefs Ya'alon - ein Plan veröffentlicht werden, demzufolge israelische Elite-Truppen 1992 den irakischen Diktator in einer gewagten Operation töten wollten. Saddam, der bei der Beerdigung seines Schwiegervaters nach den Annahmen der IDF ganz sicher persönlich erscheinen und mit einem helleren Anzug deutlich zu erkennen sein würde, sollte bei der Gelegenheit von zwei Raketen getroffen werden, die einige Kilometer vom Friedhof entfernt abgefeuert werden sollten. Nach dem Anschlag sollten die Soldaten mit einem Flugzeug von einem improvisierten Startbahn im Irak aus nach Israel zurückfliegen. Der Plan, der nach den Scud-Angriffen auf Israel im ersten Golfkrieg, als Vergeltung konzipiert worden war, und gegen Skeptiker, die das Risiko eines biologischen Vergeltungsschlages geltend machten, weiter verfolgt wurde, wurde allerdings fallen gelassen, weil bei einer Übung fünf Soldaten, die das Ziel darstellten, versehentlich mit einer echten Rakete beschossen wurden.