Prozess gegen Saddam Hussein wird für neue Konflikte sorgen
US-Präsident Bush befürwortet eine Zusammenarbeit mit den Irakern und einen "fairen" Prozess im Irak, der Regierungsrat will einen Prozess vor einem irakischen Sondergericht und der Iran fordert ein internationales Gericht, bei dem auch die Unterstützung der USA und anderer westlicher Staaten von Hussein zum Thema würden
Die Gefangennahme von Saddam Hussein war ein großer Erfolg für die Bush- und Blair-Regierungen und die Koalitionstruppen. Doch das Weihnachtsgeschenk dürfte auch zu zahlreichen Problemen führen. Der Prozess könnte Hussein ein Schaubühne bieten und die Legitimation einer neuen unabhängigen irakischen Regierung gefährden. Aber nicht nur wer den Prozess führen und wie unabhängig das Gericht sein wird, bietet Konfliktstoffe. Man wird kaum vermeiden können, dass der Krieg, den Hussein gegen den Iran geführt hat, zum Thema werden wird. Und damit würde auch die Unterstützung des Hussein-Regimes durch westliche Länder und nicht nur die allein von Hussein zu verantwortenden Verbrechen gegen die Iraker zur Sprache kommen.
Ob die Anschläge von Widerstandsgruppen gegen die Koalitionstruppen und die von ihnen eingesetzten irakischen Sicherheitskräfte mit der Festnahme des ehemaligen Diktators aufhören werden, wird sich erst in den nächsten Zeit zeigen. Bislang spricht nicht viel dafür. Offenbar war Hussein jedoch nicht in der Lage, den Widerstand zu organisieren. Er hatte zwar in seinem winzigen Erdloch angeblich reichlich Bargeld in Form von 100-US-Dollar-Scheinen, aber sonst offensichtlich nichts. Das hat manche schon dazu verleitet anzunehmen, dass Hussein möglicherweise sowieso bereits ein Gefangener gewesen sein könnte, der sich dann gerne von den Amerikanern hat befreien lassen. Muwaffaq al-Rubaiye, ein Regierungsratsmitglied, der Hussein am Sonntag sehen konnte, sagte, er sei ein gebrochener Mann: "Er war, glaube ich, psychologisch am Ende und sehr demoralisiert. Er fühlte sich bei den Amerikanern sicherer." Man wird noch einige Spekulationen über die Gefangennahme erwarten können.
Zum Problem aber dürfte werden, vor welchem Gericht Hussein der Prozess gemacht werden wird. Ein amerikanisches Gericht kommt selbst für die Bush-Regierung nicht in Frage. Bei einem Gericht mit irakischen Richtern wird aber auch schwierig sein, wer die Richter bestellt, wie unabhängig sie von Interessengruppen sind und wie ein Proporz der verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Sunniten, Schiiten und Kurden) mit vermutlich unterschiedlichen Interessengruppen gewahrt werden kann, um eine Aussöhnung zu bewirken und Konflikte zu vermeiden. US-Präsident Bush hat angekündigt, mit den Irakern zusammen arbeiten zu wollen, um eine geeignete Lösung für ein Gerichtsverfahren im Irak zu finden, das "internationaler Prüfung" standhalte. Die Iraker müssten beteiligt werden. Die vom irakischen Regierungsrat geplanten Sondergerichte erwähnte Bush nicht explizit. Mitglieder des Regierungsrates sagten überdies, dass der Prozess gegen Hussein vor dem Sondergericht vom Fernsehen übertragen werden soll.
Dass Hussein vor ein unabhängiges internationales Gericht gestellt werden könnte, ist sehr unwahrscheinlich. Schon allein, weil das Ziel des Prozesses vermutlich die Todesstrafe wegen der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein soll. Bush will mit dem Prozess offenbar nur dessen Verbrechen gegen die Iraker sühnen. Weder die von der Bush-Regierung vorgebrachten Kriegsgründe noch die Kriegsverbrechen gegen den Iran sollen zur Sprache kommen - wohl auch mit guten Grund, denn dann würden sich die Hussein-Befreier auf gefährliches Glatteis begeben, schließlich unterstützten Bush sen., Donald Rumsfeld und andere aus der jetzigen US-Regierung bis zum Einmarsch in Kuwait und während des später kritisierten Einsatzes von Giftgas den Diktator (Giftgas: Wiederkehr des Verdrängten). Der Irak wurde noch Ende der 80er Jahre auch von den USA mit waffenfähigen B- und C-Waffen versorgt. Das Hussein-Regime ist mit Giftgas nicht nur gegen die Kurden vorgegangen, sondern bekanntlich auch gegen die Iraner, was von der Bush-Regierung aber nie wirklich thematisiert wurde.
Allerdings hat nun die iranische Regierung mitgeteilt, dass sie einen Prozess gegen Hussein vor einem internationalen Gericht verlangt. Hussein hatte 1980 den Iran überfallen, um die iranische Erdölprovinz Khusestan einzunehmen. Daraus entwickelte sich ein langer und äußerst blutiger Krieg, der bis 1988 ging. Da im Iran seit 1979 durch den Sturz des Schahs eine islamische Republik unter Khomeini entstanden war und damit der Iran nicht mehr ein Verbündeter der USA war, unterstützten westliche Länder aus Angst vor weiteren Regimewechseln Hussein mit Geld und Waffen. Zuvor war der Irak von der ehemaligen Sowjetunion unterstützt. Der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak endete 1988 zwar mit einem Waffenstillstand, aber noch immer wurde kein offizieller Frieden ausgehandelt.
Die iranische Regierung hat die Festnahme von Saddam Hussein begrüßt. Er habe "unzählige Verbrechen" begangen. Das schwerste Verbrechen sei gewesen, dass er im Krieg Chemiewaffen gegen die iranische Soldaten und Zivilisten eingesetzt habe: "Wir wollen, dass die Verbrechen des irakischen Diktators von einem kompetenten internationalen Gerichtshof untersucht und er von diesem angeklagt wird", sagte der Regierungssprecher Abdullah Ramezanzadeh: "Es muss vom Gericht klar gestellt werden, wer diejenigen waren, die den irakischen Diktator unterstützten, um dadurch drei große Krisen in der Region auszulösen. Damit ist die Invasion im Iran, die Besetzung des Kuwait und schließlich der dritte Golfkrieg gemeint, aber damit wird natürlich auch indirekt auf die USA und andere westliche Länder angespielt, die den Irak mit Waffen und Technik unterstützten oder zumindest darüber Geld verdienten. Das schließt Länder wie die USA oder Großbritannien ebenso ein wie die "Kriegsgegner" Frankreich, Deutschland (Saddam Hussein und die Bundestagsdrucksache AZ V B4-296-92-VS) oder Russland.
Für einen Prozess gegen Hussein habe man bereits Dokumente vorbereitet. Zwar sei klar, dass die Iraker, die lange Zeit unter der Macht des Diktators gelitten haben, den Vorrang bei einem Prozess gegen ihn haben müssen, aber das schließe keineswegs "das Recht von anderes aus, ihre Klage vor einem internationalen Gerichtshof zu bringen". Der iranische Generalstaatsanwalt ging aber noch weiter und forderte in einem Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan, dass ein Prozess gegen Saddam auch auf iranischem Boden durchgeführt werde müsse. Der Diktator habe nicht nur chemische Waffen eingesetzt, sondern auch iranische Städte mit einem Luftkrieg überzogen und sie mit Bodentruppen zerstört. Viele Iraner seien gefangen und grausam gefoltert worden.
Ramezanzadeh wies auch auf die Forderungen nach Reparationszahlungen hin, die in die Hunderte von Milliarden Dollar wegen des Angriffskriegs gingen. Diese Angelegenheit hinge auch von den künftigen Beziehungen der beiden Nachbarländer ab. Die iranische Regierung versucht, Einfluss auf die Politik im Irak zu nehmen, vornehmlich über die schiitische Bevölkerungsgruppe. Die US-Regierung wirft den Iranern vor, dass sie versuchen würden die Schiiten zu unterwandern und einen Gottesstaat zu etablieren. Der Iran wieder fürchtet, dass die US-Regierung direkt oder über iranische Oppositionelle gegen die iranische Regierung vorgehen könnte, schließlich wurde der Iran ebenso wie der Irak und Nordkorea zur "Achse des Bösen" erklärt. Druck übt die US-Regierung im Augenblick vornehmlich gegen das vermutete Atomwaffenprogramm aus. Die iranische Regierung zeigt sich versöhnlich oder ängstlich, wird den Atomwaffensperrvertrag unterschreiben, hat den irakischen Regierungsrat anerkannt und anderweitige Hilfe für das Land angeboten.