Saddam Hussein und die Bundestagsdrucksache AZ V B4-296-92-VS
Der Waffenbericht aus Bagdad soll die Namen zahlreicher deutscher Unternehmen enthalten, die in den Irak lieferten - die Liste wurde nicht veröffentlicht, trotzdem sind die Namen bekannt
1991 stellte der damalige Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann dem Bundestag einen "Bericht über die Ausfuhren in den Irak" mit dem Aktenzeichen V B4-296-92-VS vor. Die Kritik der Opposition folgte stante pedes. "Große Lücken" weise der Bericht auf, hieß es damals aus der Grünen-Bundestagsfraktion. Würden die Informationen nicht umgehend ergänzt, so die Drohung, werde man alles daran setzen, eine parlamentarische Untersuchungskommission einzusetzen. Der stellvertretende Fraktionschef der Sozialdemokraten, Norbert Gansel, holte weiter aus. So oder so werde sich eine Untersuchung des Parlamentes "dicht am Rande eines Untersuchungsausschusses bewegen oder ihn sogar überschreiten", erklärte der SPD-Vize in der Wochenzeitung "Die Zeit".
Die Untersuchungskommission kam nie zustande, was hauptsächlich an der Ablehnung in der SPD-Fraktion lag. Ihre Stimmen wären notwendig gewesen, um einen Untersuchungsausschuss zu etablieren. Möllemann reagierte auf die Proteste, indem er einen auf 64 Seiten zusammengedampften Bericht ausgeben ließ. Darin waren zwar weitgehend bekannte Informationen zusammengefasst, allerdings auch Neues enthalten. So erfuhren die Bundestagsabgeordneten, dass über die gesamte Dauer des ersten Golfkrieges Waffen und waffentaugliches Material nach Irak geliefert worden war. Drei liberale Wirtschaftsminister hatten sich in dieser Zeit abgewechselt: Otto Graf Lambsdorff, Martin Bangemann und Helmut Haussmann.
Wie Hans Branscheid von der Hilfsorganisation "medico internacional" nun ausführlich und gut recherchiert berichtet, haben deutsche Rüstungsunternehmen damit nachgewiesenermaßen gegen die internationale Regel verstoßen, keine Waffen oder waffentauglichen Materialien in Kriegs- und Krisengebiete zu liefern. In Deutschland war diese Regel besonders im Fall des Irak also im wahrsten Sinne des Wortes liberal ausgelegt worden. Das Geschäft war größer als die Moral.
Vom 22. September 1980, an diesem Tag erklärte Bagdad Iran den Krieg, bis Ende 1988 importierten die beiden Regionalmächte Rüstungsgüter im Wert von umgerechnet 220 Milliarden US-Dollar. Hauptlieferanten waren Japan und Staaten der damaligen Europäischen Gemeinschaft, hier besonders die Bundesrepublik. Nach Angaben von medico verdienten deutsche Unternehmen dabei allein von 1982 bis 1986 umgerechnet rund 625 Millionen Dollar. Nach deutschem Gesetz sind Waffenexporte in ein Spannungsgebiet verboten.
Diese Geschäfte waren international nicht unbemerkt geblieben. So berichtete die "New York Times" Anfang 1984, dass die deutschen Unternehmen Karl Kolb" und die angegliederte Firma "Pilot Plant" Anlagen zur Entwicklung von Pestiziden in den Irak geliefert habe. Diese Anlagen seien "dazu brauchbar, Giftgas in größerem Ausmaß herzustellen". Der Bericht wurde von der Firma bestätigt und blieb folgenlos.
Bereits Anfang der achtziger Jahre, also mit Beginn des ersten Golfkrieges zwischen Irak und Iran war nördlich von Bagdad eine chemische Großanlage errichtet worden. In ihr sollten Mittel zum Schutz der Dattelernte produziert werden, wogegen jedoch erstens die Größe des Komplexes sprach und zweitens die Tatsache , dass das Gebiet weiträumig abgesperrt wurde. Die BBC berichtete von einem "weitläufigen 40 Kilometer fassenden isolierten Netzwerk von Straßen und Gebäuden in der Einöde". Auch an diesem Projekt waren gleich mehrere deutsche Unternehmen beteiligt. Die Liste lässt sich fortsetzen und verdient, um das Saad 16-Projekt in den späten achtziger Jahren ergänzt zu werden. In dem Komplex sollten Raketenkörper und Treibsätze entwickelt werden. Vor allem deutsche, US-amerikanische und britische Firmen waren auch am Aufbau des irakischen Atomprogramms beteiligt.
Die Inspektoren der Unscom hatten in ihren zwischen 1991 und 1998 verfassten Berichten zwar eine Vielzahl von Kooperationen von ausländischen Unternehmen mit der irakischen Rüstungsindustrie aufgelistet, doch wurden diese niemals veröffentlicht. Angeblich weil dadurch die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Ländern, darunter eben auch Deutschland als Hauptlieferant, gefährdet würde. Nach dem Golfkrieg wurden in deutschland gleichwohl zahlreiche Verfahren gegen deutsche Händler eingeleitet. Es kam auch zu einigen Verurteilungen. Im Januar beginnt ein Verfahren gegen vier Manager eines deutschen Maschinenherstellers. Sie werden beschuldigt, Bauteile in den Irak geliefert zu haben, die sich für Raketen verwenden lassen.
Florian Rötzer: Gute Geschäfte
Nicht bekannt ist bislang, welche Namen in dem aktuellen gut 12.000 Seiten fassenden Bericht aus Bagdad genannt sind. Bekanntlich hat die US-Regierung den Bericht unter Druck und/oder auf Wunsch der Ratsmitglieder an sich gebracht, was eigentlich nicht vorgesehen war, und Kopien an die ständigen Ratsmitglieder Russland, China, Frankreich und Großbritannien verteilt (Machtspiele). Die übrigen zehn nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, zu denen ab 1. Januar auch Deutschland gehört, erhielten nun eine stark zensierte Version, die insbesondere die vom Irak aufgelisteten Zulieferer nicht enthält. Ob dabei wirklich Neues enthalten ist, dürfte allerdings fraglich sein. Man könnte auch davon ausgehen, dass der Irak Zulieferer, die für ihn aktuell noch wichtig sind, nicht in der Liste aufgeführt hat.
Nach Angaben der taz, die Kapitel des unzensierten Berichts erhalten haben soll, werden über 80 deutsche Unternehmen genannt, was Deutschland zum Hauptlieferanten Husseins macht. Die Taz führt folgende Unternehmen auf: "darunter MBB, Daimler-Benz, MAN, Interatom, H&H Metalform, Degussa, Buderus, Carl Zeiss, Leitz, Mauserwerke, Refu Elektronik. Preussag, Karl Kolb und Pilot Plant, Leybold, Klöckner, Export Union, Ferrostaal, C. Plath-Nuclear, Gildemeister, Fritz Werner, Pressluft Franz GmbH, Werner Beaujean, Metallextraktion, Neue Magdeburger, Hochtief, Iveco Magirus, Siemens."
In manchen Fällen soll die Zusammenarbeit bis 2001 weiter gegangen sein. Angeblich will die US-Regierung, um die deutsche Regierung unter Druck zu setzen, versuchen, diese Zusammenarbeit zu belegen. Im Visier steht offenbar besonders ein deutsches "Mikroelektronik-Unternehmen", über dessen Kooperation mit dem Irak die Bundesregierung seit 1999 informiert gewesen sei.
Zweitgrößter Lieferant waren allerdings die USA. Unbekannt ist, ob die US-Regierung auch aus den Kopien an die übrigen ständigen Ratsmitglieder die 24 US-Unternehmen entfernt hat. Nachweislich hatten die USA, wie ein Kongressausschuss 1994 festellte, ihrem Verbündeten in den 80er Jahren neben konventionellen Waffen auch Bauteile für Raketen geliefert. Selbst nach dem Einsatz von Giftgas gegen die Perser (ab 1982) und die Kurden erhielt Irak noch wichtige Ausgangssubstanzen für chemische und biologische Waffen, beispielsweise Milzbrand-, Botulinum-, Clostridium-, West-Nil-Virus- oder Pestkulturen (Der Irak, die USA und die Massenvernichtungswaffen). Während dieser Zeit stand ausgerechnet der jetzige Verteidigungsminister Rumsfeld in Kontakt mit Hussein, während Bush. Sen Vizepräsident und ab 1988 Präsident der USA war. Überdies erhielt Hussein bis 1990 Milliarden an Krediten für die Rüstung. Unter Umgehung der Sanktionen lieferte auch das US-Unternehmen Halliburton, damals noch vom jetzigen Vizepräsidenten Cheney geleitet, Mitte der 90er Jahre Technik an den Irak (Bush-Cheney Inc.).
Neben den in der "New York Times" 1984 erwähnten Unternehmen waren an den großen bekannten Projekten jedoch unter anderem die folgenden deutschen Unternehmen direkt oder indirekt beteiligt: Consultco, Wien (Consulting), Ferrostaal, Essen (Baugerät), Fritz Werner, Geisenheim (Industrieausrüstung), Gildemeister Projecta, Bielefeld (Werkzeugbau), Hammer, Kleinostheim(Klimaanlagen), Hasenclever, Battenberg (Baugerät), Heriger (Gebäude), MBB, Bonn (Zutrittskontrolle), Hochtief, Essen (Betonbau), MAN, Essen (Baugerät), Preussag (Wasseraufbereitung), Rhein-Bayern, Kaufbeuren (Fahrzeugbau), Water Engeneering Trading (Consulting, wurde nach Projekt wieder aufgelöst).
Entgegen allen internationalen Bestimmungen boomte das Geschäft vor allem in den achtziger Jahren. Das war in erster Linie dem Effekt des Petro-Dollar-Recyclings geschuldet. Der funktionierte denkbar einfach: Irak investiert in Waffen aus dem Westen. Um die notwendigen Mittel zu erwirtschaften, vermarktet er Erdöl, das vom Westen gekauft wird. Der Zirkel blieb solange ungebrochen, wie der Krieg lief, der die erworbenen Rüstungsgüter immer wieder vernichtete.
Vor dem Hintergrund dieser Wirtschaftsgeschichte steht die kritische Position der Bundesregierung und Gerhard Schröders gegenüber einem Feldzug unter US-Führung auch noch in einem anderen Licht. Die Koordinaten wären diesmal zu Ungunsten der bundesdeutschen Wirtschaft verschoben. Die Verstimmungen zwischen Washington und Berlin sind womöglich auch dem Unwillen einer exportstarken Regionalmacht geschuldet, die nicht einsieht, in einem Krieg Waffenhilfe zu leisten, in dem der Konkurrenz der Weg freigebombt wird.